Jung und ungeimpft«Impfen? Das ist kein Thema bei uns»
Die Nachfrage nach Impfterminen lässt nach. Gerade jüngere Personen verzichten auf eine Impfung. Neele (19) und Janis (17) erzählen im Porträt, weshalb sie sich gegen die Impfung entschieden haben.
Darum gehts
Der Druck auf Personen, die nicht gegen Covid 19 geimpft sind, steigt.
Gerade in ländlichen Regionen wird weniger geimpft.
Zwei Nicht-Geimpfte erzählen, weshalb sie sich gegen die Impfung entschieden haben und ob sie sich unter Druck gesetzt fühlen.
Wer jung und ungeimpft ist, ist in den Augen vieler Buhmann und -frau der Nation. Impfunwillige seien unsolidarisch oder gar egoistisch heisst es. Dem BAG bereitet die Ausbreitung der ansteckenderen Delta-Mutation Sorge. Erste Stimmen fordern bereits, dass mehr Druck auf Nicht-Geimpfte ausgeübt werden soll. Doch die Nachfrage nach Impfterminen lässt nach. Gerade junge Personen in ländlichen Regionen lassen sich weniger impfen, als andere Gruppen. Warum ist das so? 20 Minuten hat sich im thurgauischen Weinfelden umgehört.
Schweizweit betrachtet wird in ländlichen Regionen weniger geimpft, als in städtischen. Im Kanton Thurgau sind gemäss Bundesamt für Gesundheit 37 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft (Stand 04. Juli 2021), womit er sich im nationalen Vergleich in den hinteren Rängen befindet. Bei den 20-29-Jährigen sind 22 Prozent vollständig geimpft, womit der Kanton im Mittelfeld ist.
Neele (19) gehört zu den 63 Prozent Ungeimpften im Kanton Thurgau. Die Fachfrau Betreuung, die in einer Kita arbeitet, hat sich gegen eine Impfung entschieden. «Ich bin jung und habe ein gesundes Immunsystem. Darum habe ich mich nicht impfen lassen», sagte Neele.
Impfung «Kein Thema»
Im Sommer 2020 begann sie ihre Lehre, mitten im Coronajahr. Für Neele ist die Pandemie manchmal weit weg. «Corona ist sicher nicht mehr das Thema Nummer eins. An vieles haben wir uns bereits gewöhnt.» Die Impfung? «Kein Thema bei uns», so Neele. Die 19-Jährige lebt mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in einer kleinen St. Galler Gemeinde. Aus ihrer Familie ist niemand geimpft, lediglich ihre Grosseltern.
Neele und ihre Familie hatten vor einigen Monaten Corona. «Ich war zwar positiv, hatte aber keinerlei Symptome. Der milde Verlauf hat mir die Angst vor der Krankheit endgültig genommen». Die restlichen Familienmitgliedern hätten Fieber und Geschmacksverlust gehabt. Aber die Krankheit sei schnell vorbeigegangen.

Weshalb möchten viele Jugendliche sich nicht gegen Corona impfen?
Neele (19)
Es gibt keine hitzigen Diskussionen
Einen gesellschaftlichen Druck, sich impfen zu lassen, spürt die junge Frau nicht, sagt sie. «Die Impfung ist weder bei der Arbeit noch unter Freunden ein grosses Thema», so Neele. Lediglich wenn es um das Thema Ferien geht, spürt Neele einen gewissen Druck. «Klar wäre auch ein Test möglich, doch für uns Lernende ist es schwierig, den, zusätzlich zu den Ferienkosten, noch zu bezahlen.» Diesen Sommer bleibt Neele in der Schweiz.
Sie wollen selber bestimmen
Neele sagt, dass sie nicht generell gegen Impfungen sei, oder an der Wirkung der Covid-Impfung zweifeln würde. «Bei diesem Thema gibt es nicht richtig oder falsch. Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden», betont Neele.
Auch Janis (17) ist nicht geimpft. Er beginnt nach den Sommerferien das zweite Lehrjahr als Fachmann Betreuung in einem Altersheim. «Für mich war schnell klar, dass ich die Impfung nicht machen möchte. Ich bin jung, sogar noch minderjährig. Mein Körper ist noch in der Entwicklung, da möchte ich nicht einen neuen Impfstoff ausprobieren.»
Schuldgefühle nach Ansteckung
Er sei hin und hergerissen gewesen, so Janis. «Ich arbeite auf der Demenzstation und möchte die Leute dort schützen.» Aber er halte sich an die Massnahmen und sei sehr vorsichtig in seiner Freizeit.
Im Frühling wurde Janis positiv auf Corona getestet. Wo er sich infiziert hat, kann er nicht sagen. «Ich fühlte mich sehr schuldig und hatte Angst, dass ich jemanden im Heim angesteckt haben könnte.» Das sei jedoch nicht eingetroffen.
Im Gegensatz Neele spürt Janis mehr Druck, sich impfen zu lassen. «Bei der Arbeit wurde ich wiederholt gefragt, weshalb ich mich nicht impfen lasse.» Es habe etwas Mut gebraucht, auf die Impfung zu verzichten. «Wir waren nur zwei oder drei, die sich dagegen entschieden haben.» In seinem Umfeld oder zu Hause sei seine Entscheidung kein Thema. «Meine Eltern sind geimpft. Hauptgrund dafür war aber, dass sie einfacher ins Ausland reisen können.» Sie seien aber auch dagegen gewesen, dass sich Janis impfen lasse, da er jung und gesund sei.
Auch in der Berufsschule gebe es keine Streitigkeiten unter den angehenden Pflegefachmännern- und Frauen, wenn sich jemand nicht impfen lässt. «Ich weiss gar nicht, wer von meinen Mitschülern geimpft ist und wer nicht.»
Angst vor Nebenwirkungen
Janis hat grosse Bedenken, was die Nebenwirkungen der Impfung anbelangt. «Ich fürchte mich davor, da ich schon von einigen gehört habe, dass sie recht stark sind. Die Angst vor der Impfung ist grösser, als die Angst vor Corona.»
Stand heute gibt es wenig Freiheiten, die Geimpfte haben. Lediglich Clubbesuche sind unkomplizierter, wenn man bereits sein Impfzertifikat hat. Wer nicht geimpft oder genesen ist, braucht einen negativen Test.

Weshalb möchten viele Jugendliche sich nicht gegen Corona impfen?
Janis Muminovic (17)
Janis fühlt sich nicht eingeschränkt ohne Impfung. «Ich kann mir nicht vorstellen, in einen Club zu gehen. Zum einen, weil meine Kollegen kein Corona hatten und sich anstecken könnten. Aber auch, weil mir unwohl wird bei der Vorstellung, mit so vielen Leuten in einem Raum zu sein.» Viel eher trifft er sich mit Kollegen am Hafen in Kreuzlingen, wo er wohnt. Die Impfung oder Coronaeinschränkungen seien da meistens kein Thema.
Lehre war nicht immer einfach
Das vergangen Jahr war für Janis nicht immer einfach. «Wir mussten mit FFP2-Masken und Schutzkleidung arbeiten. Dadurch fühlte ich mich manchmal sehr distanziert von den Patienten.» In seiner Freizeit schreibt er Raptexte. «Darin verarbeite ich, was ich erlebe. Die Musik hat mir geholfen, das letzte Jahr gut zu überstehen», sagt Janis.
Das empfiehlt das BAG
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt die Impfung für die Schweizer Bevölkerung. Auf ihrer Homepage hält das BAG fest, dass eine Impfung vor einer Covid-19-Erkrankung und einem allfällig schweren Verlauf schützt, man auf sichere Art immun werde und Geimpfte mithelfen würden, die Anzahl Erkrankungen zu reduzieren. Ausserdem werde das Gesundheitswesen entlastet, mögliche lang anhaltende gesundheitliche Einschränkungen vermieden, und die Auswirkungen der Pandemie bekämpft.
Zudem verdichten sich die Hinweise, dass die Covid-19-Impfungen die Entstehung neuer Varianten bremsen.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
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