JugendgewaltJeder Fünfte zwischen 12 und 18 läuft mit einem Messer herum
Immer mehr minderjährige Jugendliche tragen ein Messer mit sich und setzen es auch ein. Eine Umfrage der ZHAW zeigt, dass die Stichwaffen besonders von 14- bis 16-jährigen Jungen getragen werden. Gewaltforscher Dirk Baier erklärt das Phänomen.
Darum gehts
Seit 2017 setzen zwölf- bis 18-jährige Personen bei Gewaltdelikten immer häufiger ein Messer ein. Letztes Jahr wurden 18 Minderjährige wegen versuchter und effektiver Tötungen mit Schneid- oder Stichwaffen verhaftet. Vor fünf Jahren waren es noch drei. Die Hintergründe dieses Anstiegs von Messerangriffen waren bis jetzt nicht bekannt. Eine neue Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) bringt nun aber Licht ins Dunkel.
Die Studie zeigt, dass es bei allen Jugendlichen – unabhängig vom Migrationshintergrund – immer beliebter geworden ist, ein Messer mit sich zu führen. Dabei ist ein klarer Gendergap zu beobachten: Während jede fünfte männliche Person zwischen zwölf und 18 angegeben hat, ein Messer bei sich zu tragen, ist es in der gleichen Altersklasse nur rund jedes zehnte Mädchen. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW und Autor der Umfrage, erklärt die Hintergründe.
«Ein jugendkulturelles Phänomen»
«Einerseits ist es sehr einfach, an Messer, insbesondere auch illegale Messer wie Butterfly- oder Springmesser, zu gelangen», sagt Baier. Andererseits gebe es generell einen Trend zu höherer Gewaltbereitschaft. «Gerade junge Männer unterstreichen zunehmend mit Gewalt und Dominanzgebaren ihre Männlichkeit», sagt Baier. Ein Messer sei ein einfaches Symbol, welches diesem Zweck diene. «Das Mitführen von Messern ist ein jugendkulturelles Phänomen», sagt der Gewaltforscher.
Besonders bei den 14- bis 16-Jährigen seien die Stichwaffen beliebt. «Es ist durchaus bedenklich, dass jeder fünfte männliche Jugendliche schon mal ein Messer bei sich trug», sagt Baier. Wichtig sei aber der Symbolwert der Messer: «Wer ein illegales Messer bei sich führt, geniesst Anerkennung unter den Gleichaltrigen und gilt als richtiger Mann.»
Der Freundeskreis beeinflusst das Tragen von Messern
Dies ist laut der Studie auch ein Grund, weshalb Jugendliche häufiger ein Messer mit sich tragen, wenn auch ihre Freunde mit Messer unterwegs sind. «Es entsteht ein Gruppendruck. Wer nicht mitmacht, ist uncool und riskiert den Ausschluss aus der Gruppe», sagt Baier. Ebenso werde der Zugang vereinfacht. «Ein Jugendlicher, der einen Freund hat, der Messer hat, kommt eher an solche Gegenstände heran», sagt Baier.
Jeder dritte Jugendliche habe angegeben, dass ein Messer ein Gefühl von Sicherheit vermittle und dass damit andere Menschen beschützt werden könnten. «Das hat sicherlich damit zu tun, dass das Messertragen ein Gruppenphänomen ist und dass man für seine Freunde im Konfliktfall einstehen möchte», erklärt Baier. Besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund stimmten den Aussagen in der Umfrage zu. «Warum diese Gründe für Migrantenjugendliche wichtiger sind, können wir derzeit nicht sagen; hier bräuchte es zusätzliche Forschung», sagt Baier.
«Das Tragen von Messern ist Ausdruck einer antisozialen Persönlichkeit»
Wie die Umfrage zeige, wird häufig im Ausgang ein Messer mitgeführt, wodurch es öfters zu Eskalationen kommt. «Wenn man im Jugendalter mehr Alkohol oder Drogen konsumiert, ist man wahrscheinlich in Freundesgruppen integriert, in denen abweichendes Verhalten zur Tagesordnung gehört», sagt Baier. Der Griff zum Messer sei dann auch nicht mehr weit.
Für Baier ist das Tragen von Messern «Ausdruck einer antisozialen Persönlichkeit». «Dabei handelt es sich um junge Menschen, die soziale Normen des Zusammenlebens brechen und die zu Impulsivität und Gewalt neigen», sagt Baier. Für diese jungen Menschen seien Messer, insbesondere illegale Messer, interessant. Auch das Bildungsniveau spiele laut Baier eine Rolle: «Höher gebildete junge Menschen greifen seltener auf Gewalt und Messer zurück und werden auch weniger Opfer.»
Im Video erklären zwei junge Männer, warum sie im Ausgang ein Messer dabei haben.
20 MinutenZur Umfrage
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Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen