Job-Abbau trotz Fachkräftemangel – wie passt das zusammen?

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MassenentlassungenJob-Abbau trotz Fachkräftemangel – wie passt das zusammen?

Unternehmen klagen über einen Mangel an Fachkräften in der Schweiz, entlassen aber gleichzeitig Menschen. Warum? Ein Erklärungsversuch.

Laut der IT-Branche gibt es in der Schweiz einen grossen Fachkräftemangel. Google baut in Zürich trotzdem 250 Stellen ab. Auch andere Firmen kündigten dieses Jahr Massenentlassungen an.
Alleine bei der Post fallen rund 3855 Stellen weg.
Die St. Galler Spitäler mussten ebenfalls eine Massenentlassung verkünden.
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Laut der IT-Branche gibt es in der Schweiz einen grossen Fachkräftemangel. Google baut in Zürich trotzdem 250 Stellen ab. Auch andere Firmen kündigten dieses Jahr Massenentlassungen an.

20min/Michael Scherrer

Massenentlassungen trotz Fachkräftemangel: Darum gehts

  • Schweizer Firmen setzen auf Automatisierung und entlassen Hunderte Angestellte.

  • So ist jeder zehnte Büro-Job in der Schweiz gefährdet, wie eine neue Studie zeigt.

  • Gleichzeitig entstehen neue Stellen – aber nicht dort, wo die Menschen ihre Jobs verlieren.

  • Müssen die Entlassenen sich nun alle umschulen? Ein Arbeitsmarktprofi nimmt Stellung.

Viele Menschen haben ihren Job durch Massenentlassungen verloren, obwohl es den meisten Unternehmen in der Schweiz finanziell gut geht. Trotzdem beklagen diese einen Mangel an Fachkräften, gleichzeitig setzen sie aber auf Automatisierung und künstliche Intelligenz und rationalisieren so Tausende Jobs weg.

Wie passt das zusammen? Oder klaffen Wahrnehmung und Realität weit auseinander, wenn es um Jobs geht? Marco Salvi, bei Avenir Suisse zuständig für Themen rund um den Arbeitsmarkt, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Jeder zehnte Büro-Job in der Schweiz ist gefährdet

Die Automatisierung führt laut einer neuen Studie zu einem Job-Abbau in Schweizer Firmen. Am stärksten betroffen sind Angestellte im Finanzwesen, der Informatik und im Backoffice. Mehr dazu in diesem Artikel.

Gibt es wirklich mehr Massenentlassungen als normal?
Die Entlassungen in den letzten Monaten seien nicht repräsentativ und der Schweizer Arbeitsmarkt nach wie vor in guter Verfassung, sagt Salvi. Indikatoren wie die Arbeitslosenquote, die Anzahl offener Stellen und die Erwerbsquote seien gut. In einigen Branchen seien die Aussichten zwar eingetrübt, etwa in der exportorientierten Industrie. Doch das habe weniger mit dem technologischen Wandel zu tun, sondern vielmehr mit der konjunkturellen Schwäche Deutschlands, das für die Schweiz der wichtigste Exportmarkt sei.

Die meisten Firmen weisen gute Finanzzahlen aus, trotzdem entlassen sie Leute – warum?
Finanzzahlen seien vergangenheitsorientiert und zeigten vor allem den Geschäftsgang der letzten Jahre. Die Entlassungen seien die Konsequenz einer grundlegenden Neubeurteilung der Lage und für die meisten Firmen das letzte Mittel. «Viele horten lieber die Arbeit während einer konjunkturellen Delle, denn kommt später wieder der Aufschwung, ist der Aufbau von Kapazitäten dann sehr teuer.»

Auch Firmen, die Menschen entlassen, reden vom Fachkräftemangel – wie passt das zusammen?
Qualifizierte Arbeitskräfte seien in der Schweiz seit jeher knapp, das sei ein strukturelles Problem, sagt Salvi. In den letzten Jahren habe es nicht nur einen Fachkräfte-, sondern auch einen Arbeitskräftemangel gegeben.

Ist der Fachkräftemangel bloss ein Hirngespinst?

Trotz Fachkräftemangels haben viele Mühe, einen neuen Job zu finden, gerade ältere Menschen. Warum?
Die Berufsmobilität nimmt laut Salvi nach 45 Jahren stark ab, gemäss der Konjunkturforschungsstelle der ETH gibt es zum Beispiel eine grosse Einkommensbusse für Menschen, die nach 55 arbeitslos werden. Die Erwerbsquote der Ü50 habe seit 2010 aber stark zugenommen, was auch im Interesse der Firmen sei.

Müssen sich die Menschen, die wegen Automatisierung ihre Jobs verlieren, nun alle neu orientieren?
Viel wichtiger sei, dass man lerne, mit Automatisierung und KIs umzugehen. Denn die Erwerbstätigen und Firmen in der Schweiz könnten mit den Technologien auch viel gewinnen. Und die hohe Weiterbildungsquote zeige, dass wir lernfähig seien. «International sind wir nach wie vor gut positioniert», so Salvi.

«Wer Skills hat, findet einen Job»

«Wer Skills hat, findet einen Job», sagt Personalexperte Marc Koller von Hunter Personal. Wer vor seiner Kündigung zum Beispiel im Gastgewerbe arbeitete, habe gute Fähigkeiten im Umgang mit Kundinnen und Kunden. Die seien gefragt. Und wer mit Lebensmitteln umgehen könne, sei auch in der Produktion beliebt.

Was bringt es, wenn die Automatisierung auch neue Jobs schafft, aber nicht im bisherigen Beruf?
Automatisierung führt laut Salvi nicht zu weniger Arbeit, sie verändert sie aber. Die Menschen überschätzten diese Entwicklung allerdings oft. Vor zehn Jahren habe es die Befürchtung gegeben, dass die «Plattformarbeit à la Uber» den Schweizer Arbeitsmarkt umkrempeln werde – «davon redet heute niemand mehr». 

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