Andreas Zünd: Schweizer EGMR-Richter weist Ständeräte zurecht

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KlimaurteilSchweizer EGMR-Richter weist rebellische Ständeräte zurecht

Die Rechtskommission des Ständerats will, dass der Bundesrat das Klimaurteil des Menschenrechtsgerichtshofs ignoriert. Doch das sei gar nicht möglich, sagt nun der Schweizer EGMR-Richter Andreas Zünd.

Die Klimaseniorinnen hatten am Menschenrechtsgerichtshof ein Urteil gegen die Schweiz erwirkt. Sie müsse mehr für den Klimaschutz tun, so die Richter.
Das Urteil ist umstritten. Die ständerätliche Rechtskommission fordert nun, der Bundesrat solle dem Europarat mitteilen, dass man dem Urteil keine Folge geben werde, wie Kommissionspräsident Daniel Jositsch (SP) erklärte.
Andreas Zünd, Schweizer Richter am EGMR, sagt aber: «Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen.» Die Umsetzung eines Urteils bleibe hängig, solange das Ministerkomitee sie nicht als ausreichend deklariere.
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Die Klimaseniorinnen hatten am Menschenrechtsgerichtshof ein Urteil gegen die Schweiz erwirkt. Sie müsse mehr für den Klimaschutz tun, so die Richter.

Tamedia/Urs Jaudas

Darum gehts

  • Die Rechtskommission des Ständerats will, dass der Bundesrat das Klimaurteil des Menschenrechtsgerichtshofs weitestgehend ignoriert und dies dem Europarat mitteilt.

  • Der Gerichtshof habe die Menschenrechtskonvention nämlich überdehnt.

  • Der Schweizer EGMR-Richter Andreas Zünd wird jetzt aber deutlich. Es gebe keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen, sagt er.

Die Rechtskommission des Ständerates probt den Aufstand gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Sie will, dass die Schweiz das Klimaurteil des Gerichtshofs weitestgehend ignoriert und dies auch dem Europarat so mitteilt. Am Dienstag verabschiedete sie eine entsprechende Erklärung.

Der Bundesrat wird darin aufgefordert, in den entsprechenden Gremien des Europarates darüber zu informieren, «dass die Schweiz keinen Anlass sieht, dem Urteil des Gerichtshofes vom 9. April 2024 weitere Folge zu geben». Die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils seien durch die bisherigen und laufenden klimapolitischen Bestrebungen der Schweiz bereits erfüllt. Die Kommission hat dieser Forderung mit zehn zu drei Stimmen deutlich zugestimmt, in der bevorstehenden Session wird der Ständerat über die Erklärung an den Bundesrat entscheiden.

Im Ausnahmefall entscheidet Gerichtshof über ausreichende Umsetzung

Andreas Zünd, Schweizer Richter am EGMR, hält nicht viel davon, das Urteil des Gerichtshofs zu ignorieren.

Andreas Zünd, Schweizer Richter am EGMR, hält nicht viel davon, das Urteil des Gerichtshofs zu ignorieren.

20min/Michael Scherrer

Aber kann ein Land ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs einfach ignorieren? Andreas Zünd, der Schweizer Richter am EGMR, der mitverantwortlich für das Urteil ist, findet dazu klare Worte. «Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen», sagt er zu 20 Minuten. Das betroffene Land habe dem Ministerkomitee des Europarates in einem Bericht darzulegen, mit welchen Massnahmen das Urteil umgesetzt werde. «Solange das Komitee die Umsetzung nicht als ausreichend anerkennt, bleibt diese hängig und das Land muss weitere Massnahmen beschliessen», so Zünd. Das könne manchmal lange gehen.

«Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen.»

Andreas Zünd, Schweizer Richter am EGMR

Und wenn ein Land die Umsetzung eines Urteils weiterhin verweigert? «Die Umsetzung beruht auf diplomatischen Mitteln», erklärt Zünd. «Theoretisch ist es denkbar, und es ist in seltenen Ausnahmefällen vorgekommen, dass das Ministerkomitee die Frage der genügenden Umsetzung dem Gerichtshof vorlegt.» Dafür brauche es eine Zweidrittelmehrheit im Komitee.

Bund will Europarat bis Ende Oktober berichten

Das Bundesamt für Justiz, dessen Vorsteher Beat Jans in der Vergangenheit mit dem Urteil sympathisierte, will auf Anfrage keine konkrete Stellung zum Antrag der ständerätlichen Rechtskommission nehmen. Diesen habe man zur Kenntnis genommen, schreibt Informationschefin Ingrid Ryser. «Das BJ ist daran, das EGMR-Urteil rechtlich zu analysieren und den Bundesrat zu gegebener Zeit entsprechend zu informieren. Dem Ministerkomitee des Europarats werden wir bis Ende Oktober 2024 über die ersten Diskussionen in der Schweiz berichten.»

Von links wird der Kommissionsentscheid heftig kritisiert. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone kritisiert ihn als «schweren Angriff auf die Institutionen und die Achtung der Menschenrechte». Die Schweiz sei weit davon entfernt, die Pariser Klimaziele zu erreichen.

SP-Jositsch stimmte gegen seine Partei

Auch die SP, deren Ständerat Daniel Jositsch als einer ihrer drei Parteivertreter in der ständerätlichen Rechtskommission für die Erklärung stimmte, schreibt in einer Mitteilung, man sei «überrascht» über diese Stellungnahme. «Diese Bereitschaft der Politik, sich in die Judikative einzumischen, ist beunruhigend», so SP-Ständerat Carlo Sommaruga.

Das von den Klimaseniorinnen bewirkte Urteil besagt, dass die Schweiz zu wenig gegen den Klimawandel unternehme. Das Urteil ist politisch heftig umstritten. «Der Menschenrechtsgerichtshof überdehnt die Menschenrechtskonvention in diesem Urteil in einer unzulässigen Weise», sagte Präsident Jositsch stellvertretend für die Kommission. Aus ihrer Sicht habe der Gerichtshof damit nämlich ein neues Recht geschaffen. Die SVP will nun gar die Menschenrechtskonvention kündigen. Dafür gibt es bereits teilweise Zustimmung aus Mitte und FDP, die Kommissionsmehrheit hält davon allerdings nichts.

Soll die Schweiz mehr gegen den Klimawandel tun?

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