GesundheitswesenKrankenkassen geben Lobbys Schuld an der Prämien-Explosion
Die Krankenkassenprämien steigen weiter, die Politik unternimmt zu wenig dagegen. Stimmt das? Ein Blick hinter die Kulissen der mächtigen Gesundheits-Lobbys.
Darum gehts
Die steigenden Krankenkassenprämien sind ein Dauerbrenner im Bundeshaus, doch die Politik kriegt das Problem nicht in den Griff.
Die Krankenkassen gehen nun in die Offensive und werfen den Leistungserbringern vor, den Anstieg mit ihrem Lobbying zu forcieren.
Die Pharmabranche und die Spitäler weisen diese Kritik in grossen Teilen von sich.
Dutzende Parlamentarier sind mit verschiedensten Playern im Gesundheitswesen verbandelt und dafür gut bezahlt.
Ein letztes Mal muss der abtretende Gesundheitsminister Alain Berset (SP) im September eine erneute Explosion der Krankenkassenprämien im nächsten Jahr erklären. Erwartet wird ein Anstieg von rund sechs Prozent.
Seit langem rangieren die Prämien zuoberst im Sorgenbarometer. Die Politik ist sich des Problems bewusst, scheint es aber nicht in den Griff zu bekommen. Das liegt teilweise an der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung, aber auch an schlagkräftigen Lobbys im Gesundheitsbereich.
Der Verein «Lobbywatch» listet 130 Organisationen auf, welche mitmischen im Poker um begehrte Gelder im Gesundheitswesen. 13 Lobby-Gruppen sind besonders präsent. Darunter etwa die Pharma-Branche, Spitäler, Ärzte, Behinderten-Organisationen und die Krankenkassen.
Etliche Mandate für Ärzte, Verbände und Krankenkassen
Letztere sind in Bundesbern gut vernetzt. Bei der Mitte sind 13 Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit den Kassen verbandelt, bei der SVP sind es zwölf. Mitte-Nationalrat Lorenz Hess etwa sei Präsident des Verwaltungsrats von Visana und kassiere dafür rund 150’000 Franken pro Jahr, erklärte er kürzlich.
Noch präsenter sind allerdings die Leistungserbringer, welche sich für gute Rahmenbedingungen und selten für tiefere Prämien einsetzen. Rund 80 Mandate von Spitex-Verbänden, Behinderten-Organisationen, Ärzten oder Altersheimen haben Parlamentarier gesammelt. Viele dieser Ämter sind gut bezahlt, über die Höhe der Entschädigungen gibt es in den wenigsten Fällen Transparenz.
Krankenkassen sehen Schuld bei Lobby-Gruppen
Beim Dachverband Santésuisse laufen die Fäden der Krankenkassen zusammen. Zwar müssten diese die ungeliebten Rechnungen verschicken, lobbyierten aber konsequent für tiefere Prämien, versichert Direktorin Verena Nold.
Die Politik nehme die Anstiege zu wenig ernst, sagt sie. Die Schuld sieht sie bei den Vertretern der Leistungserbringer. «Wir stellen fest, dass jede Lobby-Gruppe offensiv ihre Anliegen im Parlament deponiert, sei es die Pharmaindustrie, die Ärzteschaft, die Apothekerinnen und Apotheker und weitere», so Nold.
Den Krankenkassen stünden also Interessengruppen gegenüber, welche sich «gegen sinnvolle Reformen zugunsten der Prämienzahlenden wehren». Besonders ein Dorn im Auge sind Santésuisse die hohen Medikamentenkosten. Eine Senkung sei immer wieder an den Lobbys gescheitert.
Novartis, Roche & Co: «Bevölkerung lehnt reinen Kostenfokus ab»
Auf der Gegenseite sieht man das anders. Interpharma vertritt 23 Pharma-Unternehmen, darunter Novartis, Roche oder Pfizer. «Die Bevölkerung wünscht ein qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen und lehnt einen reinen Kostenfokus ab», sagt Sprecher Michael Schoy mit Verweis auf eine Umfrage. Man bekenne sich aber zu einem nachhaltig finanzierten Gesundheitswesen.
«Mit den gesetzlich verankerten regelmässigen Senkungen der Medikamentenpreise werden jährlich wiederkehrend über eine Milliarde Franken eingespart», sagt er. Damit leiste die Pharma-Branche bereits einen grossen Beitrag zur Kostendämpfung. Potenzial sehe die Branche vor allem bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Der Bund müsse hier endlich «Nägel mit Köpfen» machen, so Schoy.
Spitäler wollen höhere Tarife, Kassen Leistungen kürzen
Die Schuld an steigenden Prämien weist auch H+, der Verband der Schweizer Spitäler, von sich. «Moderne und effiziente Spitalstrukturen können helfen, Kosten zu reduzieren», sagt Präsidentin Regine Sauter. Die Zürcher FDP-Nationalrätin, welche für das Mandat «ein Pauschalhonorar und eine Entschädigung für Spesen» erhält, ergänzt: «Im Moment kämpfen viele Spitäler mit einer Unterfinanzierung.»
Machen dir die steigenden Krankenkassenprämien Sorgen?
Den hohen Energie- und Materialkosten sowie der Inflation stünden fixe Tarife gegenüber. «Die Spitäler verlangen deshalb eine Anpassung der Tarife an die Teuerung», so Sauter. Viele andere Akteure kämpfen ebenfalls vehement für mehr Geld.
Santésuisse pocht deshalb auf radikale Massnahmen. Studien würden beweisen, dass gewisse Behandlungen für die Patientinnen und Patienten keine Wirkung zeigten. «Diese müssten aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Grundversicherung gestrichen werden», so Direktorin Verena Nold. Sicher ist: Widerstand ist vorprogrammiert.
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