Kriminalstatistik: Sind Ausländer an der Rekordgewalt schuld? Ein Streitgespräch

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KriminalstatistikSind Ausländer an der Rekordgewalt schuld? Ein Streitgespräch

Sprechen wir in der Schweiz zu viel oder zu wenig über Ausländerkriminalität? Gewaltforscher Dirk Baier und Forensiker Frank Urbaniok im Streitgespräch zur neuen Kriminalitätsstatistik.

Die neue Kriminalitätsstatistik zeigt eine klare Häufung der Ausländerkriminalität.
Über die Ursachen dafür sind sich Gewaltforscher Dirk Baier ...
... und der Psychiater Frank Urbaniok allerdings alles andere als einig,
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Die neue Kriminalitätsstatistik zeigt eine klare Häufung der Ausländerkriminalität.

Police cantonale ZH

Darum gehts

  • Die Kriminalstatistik zeigt einen Anstieg der Gewaltkriminalität in der Schweiz um acht Prozent.

  • Gewaltforscher Dirk Baier und Forensiker Frank Urbaniok diskutieren die Rolle von Ausländern bei der Kriminalität.

  • Urbaniok sieht kulturspezifische Faktoren als Hauptursache für die Überrepräsentation bestimmter Ausländergruppen.

  • Baier betont soziale und wirtschaftliche Faktoren als entscheidend für kriminelles Verhalten.

  • Beide Experten sind sich einig, dass Migration viele positive Aspekte hat, aber klare Regeln notwendig sind.

563'633 Straftaten wurden letztes Jahr in der Schweiz polizeilich registriert, ein Anstieg von rund acht Prozent. Seit Erhebungsbeginn 2009 wurden noch nie so viele schwere Gewalttaten registriert. Das steht in der am Montag veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik, die Details kannst du hier nachlesen.

Dirk Baier, Gewaltforscher an der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, und der forensische Psychiater Frank Urbaniok beschäftigen sich in ihrem Beruf beide viel mit Gewalt und Kriminalität. Doch gerade bei der durch Ausländerinnen und Ausländer begangenen Kriminalität driften ihre Meinungen weit auseinander. Im Interview erklären sie, wieso und was die Schweiz in ihren Augen tun müsste.

Was sticht Ihnen bei der neuen Statistik ins Auge?

Dirk Baier: Negativ, der Anstieg in drei Bereichen: Cybercrime, Gewaltkriminalität und Einbruchdiebstahl. Dass 30 Prozent mehr Vergewaltigungen registriert worden sind, gibt auf den ersten Blick Anlass zur Sorge. Die Zahlen dürften aber primär auf Gesetzesänderungen zurückzuführen sein und darauf, dass Sexualdelikte immer häufiger zur Anzeige gebracht werden. Positiv, dass der Trend einer steigenden Jugendkriminalität gestoppt werden konnte.

Frank Urbaniok: Die Statistik zeigt das, was ich leider erwartet habe: Gewalt- und Sexualdelikte nehmen weiterhin zu und gewisse Ausländergruppen sind weiterhin stark überrepräsentiert.

Wie siehst du die Rolle von Ausländern in der Kriminalstatistik der Schweiz?

Müssen wir über Ausländerkriminalität sprechen?

Urbaniok: Wir müssen das tun, was ich seit Jahren fordere: Die Fakten auf den Tisch legen. Und die zeigen, dass Menschen aus bestimmten Ländern wie zum Beispiel aus Algerien, Marokko oder Afghanistan deutlich häufiger kriminell werden als Menschen aus anderen Herkunftsländern oder Schweizer.

Baier: Mehr als 50 Prozent der Beschuldigten sind Ausländer, obwohl sie nur 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen, das hat noch einmal etwas zugenommen. Darüber kann man absolut sprechen. Was auffällt: Die Kriminalität nimmt nicht bei den Ausländern zu, die hier leben, sondern bei Kriminaltouristen oder Ausländern, die illegal hier sind, etwa, weil sie einen negativen Asylentscheid erhalten haben und untergetaucht sind.

Werden Algerier denn krimineller, weil sie Algerier sind, Herr Urbaniok?

Urbaniok: Nicht, weil sie einen algerischen Pass haben. Sondern weil es in ihren Heimatländern kulturspezifische Faktoren gibt, die dazu führen, dass mehr Menschen einen Hang zu Kriminalität haben. Religiöser Fundamentalismus oder ein anderes Verhältnis zu Gewalt sind Beispiele für solche Faktoren.

Baier: Das sehe ich anders. Ein gutes Beispiel sind Ukrainer: Sie fallen dieses Jahr mit einem grossen Kriminalitätsanstieg in der Statistik auf. Nach anfänglich grosser Unterstützungsbereitschaft aus der Gesellschaft verläuft die Integration mittlerweile schleppend, es gibt sprachliche Barrieren und nur ein relativ kleiner Teil hat Arbeit gefunden. Dabei hat man immer gesagt, dass die Ukrainer uns kulturell näherstehen. Das zeigt, dass andere Faktoren wichtiger sind bei der Frage, wer kriminell wird.

«Kulturspezifische Faktoren begünstigen, ob jemand einen Hang zur Kriminalität hat.»

Frank Urbaniok

Welche?

Baier: Die soziale Schicht, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaft, der Bildungsabschluss, schwierige Sozialisationserfahrungen, die auch mit toxischer Männlichkeit zu tun haben. Und ja, gewisse Vorstellungen von Männlichkeit sind bei Ausländern verbreiteter. Aber nicht, weil sie Ausländer sind, sondern weil sie häufiger Gewalt erleben, etwa durch prügelnde Väter.

Urbaniok: Das ist Augenwischerei. Die Zahlen zeigen einen glasklaren Zusammenhang zwischen Herkunft und Kriminalität. Die ständigen Versuche, andere Faktoren wie die Männlichkeit dafür verantwortlich zu machen, sind nichts als ideologisch motivierte Desinformation.

Dirk Baier ist Kriminologe und Experte für Jugendgewalt.

Dirk Baier ist Kriminologe und Experte für Jugendgewalt.

ZAHW

Fakt ist: Bei Gewalttaten gab es 23'772 beschuldigte Männer und 5962 beschuldigte Frauen. Zeigt das nicht, dass Männer gewaltbereiter sind als Frauen?

Urbaniok: Doch. Männer sind schon immer gegenüber Frauen in der Kriminalität überrepräsentiert. Wir haben Polizei, ein Rechtssystem und Präventionsprogramme, um mit den eigenen Tätern umzugehen und Risiken zu senken. Aber das ist doch beileibe kein Grund, uns zusätzlich noch Männer ins Land zu holen, die im Vergleich zu Schweizer Männern überproportional gewalttätiger sind.

Sind Sie ideologisch unterwegs, Herr Baier?

Baier: Nein. Mir greift Herrn Urbanioks Betrachtungsweise einfach zu kurz. Wir können über Ausländerkriminalität sprechen, aber dann müssen wir uns die Mühe machen, die Faktoren herauszukristallisieren, die wirklich verantwortlich dafür sind, dass Ausländer – ebenso wie Schweizer – kriminell werden. Und die gehen eben tiefer als die Herkunft.

Urbaniok: Der Hauptfaktor ist klar. Es sind kulturspezifische Prägungen von Personen aus bestimmten Herkunftsländern. Die Menschen erleben die erhöhte Gewaltbereitschaft durch Ausländer gewisser Nationalitäten – sie merken, was passiert, wenn sie in den Ausgang gehen oder sich an Bahnhöfen aufhalten. Es gibt in Europa zig Beispiele gescheiterter Migrationspolitik. Es braucht jetzt eine Wende in der Migrationspolitik.

Baier: Ich bin absolut dafür, Verfahren zu beschleunigen nach negativen Asylentscheiden. Wenn es lange Wartezeiten gibt, führt das zu Situationen, in denen Menschen eher frustriert und folglich kriminalitäts- und gewaltbereit werden.

Wie soll die Migrationswende aussehen?

Urbaniok: Das genaue Konzept stelle ich bald in 17 Massnahmen in meinem Buch vor. Was ich schon sagen kann: Wenn wir über die Rechte der Menschen sprechen, also etwa das Recht darauf, hier einen Asylantrag zu stellen, müssen wir alle Rechte berücksichtigen. Und dazu zählt auch das Recht der hier lebenden Bevölkerung darauf, nicht Opfer einer Sexual- oder Gewaltstraftat zu werden.

Baier: Ich bin gespannt. Ich glaube, dass wir Familien dabei helfen müssen, gewaltfrei zu erziehen und junge Menschen davon abzuhalten, in delinquente Gruppen abzurutschen. Wir müssen den Menschen, die hier leben, Perspektiven bieten, mit guter Bildung und einer starken Berufsausbildung. Wenn man das für alle Menschen hinbringt, gibt es schnell kaum mehr Unterschiede in den Kriminalitätsraten, ganz egal, woher die Menschen stammen.

Gibt es einen Punkt, in dem Sie sich einig sind?

Baier: Ich glaube, dass wir beide überzeugt sind, dass Migration viele positive Seiten hat und dass der Grossteil der Menschen, die in unser Land kommen, nicht kriminell wird.

Urbaniok: Dem stimme ich zu. Gerade auch ihnen zuliebe müssen wir denjenigen, die sich nicht integrieren wollen oder können und unsere Gesetze mit Füssen treten, konsequent die roten Linien aufzeigen.

Frank Urbaniok
ist forensischer Psychiater und Buchautor.

Frank Urbaniok ist forensischer Psychiater und Buchautor.

Tamedia

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