Vollzeit-PapiMann gibt Job für Kind auf und wird gefeiert – für Frauen «befremdlich»
Auf Social Media gibt ein Vater bekannt, dass er gekündigt hat, um sich Vollzeit um sein Kind zu kümmern. Neben Zuspruch stösst der Beitrag auch auf Kritik.
Darum gehts
Ein Vater will sich Vollzeit um sein Kind kümmern und gibt dafür seinen Job auf.
Den Entscheid verkündet er auf Social Media und entfacht damit eine Debatte.
Laut Gleichstellungsexpertin Helena Trachsel wird die Entscheidung, Vollzeit zu Hause zu bleiben, bei den Geschlechtern nach wie vor unterschiedlich bewertet.
«Ich habe meinen Chef-Job gekündigt und kümmere mich ab morgen hauptberuflich um mein Kind» – mit diesem Satz hat der Social-Media-Chef eines deutschen Nachrichtenportals auf Linkedin eine Diskussion losgestossen. Seinen Entscheid begründet er zum einen damit, dass er während seiner Elternzeit erlebt habe, wie erfüllend es sein könne, Vollzeitpapa zu sein. Zum anderen wolle er seiner Frau für ihre Karriere «den Rücken freihalten».
Innert 24 Stunden erzeugte der Post über 9000 Reaktionen und rund 350 Kommentare. Viele davon sind sehr positiv: «Eine wunderbare Entscheidung», schreibt ein User. Wieder in die Arbeit einsteigen könne man immer. Die Zeit mit den Kindern sei hingegen endlich. «Ich habe es ähnlich gemacht. Dies war die beste Entscheidung, die ich in den letzten Jahren getroffen habe», kommentiert ein weiterer Nutzer.
Gleichzeitig findet man unter dem Beitrag auch kritische Stimmen – vor allem von Frauen. «Tolle Entscheidung. Schade aber, dass man als Papa dafür ein ‹Bravo› bekommt, denn für viele Mamas ist das Normalität», so eine Userin. «Schön, dass wir in einem Zeitalter angekommen sind, wo auch Männer ihre Elternrolle wahrnehmen. Jedoch befremdlich, dass Männer dafür gefeiert werden», heisst es von einer anderen.
Anzahl der Väter, die zu Hause bleiben, steigt
Gemäss einer neuen britischen Studie ist die Anzahl der sogenannten «Stay-at-home dads» seit 2019 um ein Drittel angestiegen. In der Zeitung «The Guardian» sprechen Experten von einem «monumentalen kulturellen Wandel».
Auch in der Schweiz steigt die Anzahl der Väter, die zu Hause bleiben, leicht an. Wie die neueste Erhebung des Bundesamts für Statistik zeigt, waren im Jahr 2021 Väter in 2,5 Prozent der Haushalte nicht oder Teilzeit erwerbstätig, während die Mütter Vollzeit arbeiteten. Vor zehn Jahren lag diese Zahl bei rund zwei Prozent. Zum Vergleich: 2021 blieben Mütter in circa 14 Prozent der Haushalte zu Hause, während die Väter Vollzeit arbeiteten. 2011 waren es noch knapp 24 Prozent.
«Fortschrittlich» versus «selbstverständlich»
«In der Schweiz kann man bei Erwerbsmodellen von Elternpaaren aktuell von keinem gesellschaftskulturellen Wandel sprechen», sagt Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich. Väter, die Vollzeit zu Hause blieben, während ihre Partnerinnen arbeiten gingen, seien weiterhin Einzelfälle. Dass ein Vater einen Entscheid wie denjenigen des Social-Media-Chefs publik macht, findet Trachsel wegen der Symbolwirkung wichtig.
Sie könne aber auch die kritischen Kommentare nachvollziehen. «Die Entscheidung, Vollzeit zu Hause zu bleiben, wird bei den Geschlechtern nach wie vor unterschiedlich bewertet. Während Männer als fortschrittlich und vorbildlich gefeiert werden, wird es bei Frauen weiterhin als selbstverständlich und voraussehbar angesehen. Dementsprechend entfällt der notwendige Applaus.» Das müsse sich ändern. Jede Person, die einen solchen Entscheid trifft, soll laut Trachsel gewürdigt werden.
Laut Sina Liechti, Sprecherin beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), sind die unterschiedlichen Reaktionen bei Müttern und Vätern nicht erstaunlich: «Sie hängen mit hartnäckigen Rollenvorstellungen zusammen – Vorstellungen davon, welches Familien- oder Erwerbsmodell ‹normal› ist.» Aus Gleichstellungsperspektive sei es wichtig, dass bereits Kinder möglichst frei von solchen Rollenbildern und Stereotypen aufwachsen könnten, damit auch die Berufswahl und später die Familienmodelle nicht von diesen abhingen.
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