Keine 10-Millionen-Schweiz: Bundesrat stellt sich gegen Initiative der SVP

Livetickeraktualisiert am Freitag, 21. März, 2025

Medienkonferenz10-Millionen-Schweiz: Bundesrat stellt sich gegen SVP-Initiative

Justizminister Beat Jans informierte zur SVP-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz». Der Bundesrat empfiehlt sie ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung – das Vorhaben gefährde Wohlstand und Sicherheit.

«Es geht heute um ein wichtiges Thema – es geht um den Wohlstand, die Sicherheit und die Handlungsfähigkeit der Schweiz», begann Bundesrat Beat Jans.
Der Bundesrat spricht sich gegen die SVP-Initiative aus: «Die Initiative würde uns zwingen, unter bestimmten Bedingungen internationale Abkommen zu kündigen, sie würde unsere Beziehung zur EU und zu unseren Nachbarländern unnötig belasten.»
Wäre die Schweiz nicht mehr Teil vom Schengen-Dublin-Abkommen, «müsste das schweizerische Asylwesen ausgebaut werden und würde teurer», warnte Jans
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«Es geht heute um ein wichtiges Thema – es geht um den Wohlstand, die Sicherheit und die Handlungsfähigkeit der Schweiz», begann Bundesrat Beat Jans.

Screenshot/Parlament

Darum gehts

  • In einer Medienkonferenz nahm Innenminister Beat Jans Stellung zur «Nachhaltigkeitsinitiative» der SVP.

  • Diese fordert, dass die Schweiz bis 2050 die Schwelle von zehn Millionen Menschen in der ständigen Wohnbevölkerung nicht überschreiten darf.

  • Der Bundesrat lehnt die Initiative ohne Gegenvorschlag ab und empfiehlt sie zur Ablehnung.

  • Am Donnerstag verkündete auch die FDP, dass sie sich gegen die SVP-Initiative stellt: Die Partei spricht dabei von der «Kündigungsinitiative».

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Freitag, 21.03.2025
15:31

Zusammenfassung: SVP tobt, restliche Parteien drücken klare Ablehnung aus

Der Bundesrat lehnt die SVP-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» ab. Er warnt davor, dass der Wohlstand und die Sicherheit der Schweiz bei einer Annahme gefährdet würden. Hinzu komme eine Verschärfung des Fachkräftemangels.

Insbesondere die Beziehung mit der EU und die bilateralen Abkommen würden ins Wanken geraten, so der Bundesrat. Zudem erwarte er auch eine höhere Anzahl an Asylgesuchen – denn der Schweiz drohe mit Annahme der Initiative auch der Ausschluss aus dem Schengen-Dublin-Abkommen.

SVP tobt: Jans vergrössere «Asyl-Chaos»

Beat Jans habe bei seinem Amtsantritt einen Kurswechsel versprochen – «stattdessen vergrössert er das Asyl-Chaos», wettert die SVP in einer Medienmitteilung. Der Bundesrat wolle das Asylproblem nicht angehen, spreche sich gegen die «Nachhaltigkeitsinitiative» aus – und verwende dabei die «Menschenrechtskarte» als «Vorwand». «Damit will sich der Bundesrat nur vor der eigenen Verantwortung drücken», schreibt die Volkspartei.

Grüne und Grünliberale drücken klare Ablehnung aus

Die Grünliberalen verschickten im Anschluss an die Medienkonferenz eine Medienmitteilung mit dem Titel «SVP will mit Vollgas in die Sackgasse». Die Partei lehne die Initiative «dezidiert» ab und stelle mit «Genugtuung» fest, dass sich sämtliche Parteien gegen das Vorhaben der SVP stellten und sich zum bilateralen Weg bekannten.

«Nur die Ablehnung dieser gefährlichen Initiative und ein klares Ja zu den Bilateralen III sichert unseren Wohlstand für die Zukunft ab», sagt GLP-Parteipräsident Jürg Grossen.

«Nur die Ablehnung dieser gefährlichen Initiative und ein klares Ja zu den Bilateralen III sichert unseren Wohlstand für die Zukunft ab», sagt GLP-Parteipräsident Jürg Grossen.

20min/Matthias Spicher

Auch die Grünen äusserten sich in einer Medienmitteilung zur «brandgefährlichen» SVP-Initiative und riefen zu mehr «Zusammenhalt und Solidarität statt Abschottung» auf.

Die FDP hatte sich bereits am Donnerstag klar gegen das SVP-Vorhaben gestellt und angekündigt, dass die Partei die Initiative «mit aller Kraft bekämpfen» werde. «Unsere Spitäler würden kollabieren, die Restaurants schliessen, viele KMUs könnten einpacken», warnen die Freisinnigen.

Ein Ja zur SVP-Initiative «würde skrupellosen Unternehmen Tür und Tor öffnen, um ihre Profite auf dem Rücken der Angestellten zu maximieren», warnt auch SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.

Ein Ja zur SVP-Initiative «würde skrupellosen Unternehmen Tür und Tor öffnen, um ihre Profite auf dem Rücken der Angestellten zu maximieren», warnt auch SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.

20min/Matthias Spicher

Auch die SP stellt sich entschieden gegen die SVP-Idee: «Ein Ja zur SVP-Initiative würde das Ende der Bilateralen bedeuten und damit unsere Beziehungen zur EU kaputtmachen – ein hochgefährliches Experiment in der aktuellen internationalen Lage», lässt sich SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer in der Medienmitteilung zitieren. «Es wäre zudem eine Rückkehr zum unsäglichen Saisonnier-Statut – und würde skrupellosen Unternehmen Tür und Tor öffnen, um ihre Profite auf dem Rücken der Angestellten zu maximieren.»

Mitte will Gegenentwurf entgegenstellen

Die Mitte veröffentlichte ebenfalls ein Statement: Aus ihrer Sicht seien jedoch weitere Massnahmen nötig, um der Initiative «erfolgreich entgegentreten zu können». Parteipräsident Gerhard Pfister kündigt an: «Die Mitte will der Initiative einen direkten Gegenentwurf auf Verfassungsebene entgegenstellen.» So sollen Bund und Kantone die Möglichkeit haben, bei im Vergleich zur EU überdurchschnittlichem Zuwanderungsdruck Regionen- und Branchenspezifisch Massnahmen ergreifen zu können.

Die Mitte will einen Gegenentwurf auf Verfassungsebene entgegenstellen, um der Initiative «erfolgreich entgegentreten zu können», wie Parteichef Gerhard Pfister ankündigte.

Die Mitte will einen Gegenentwurf auf Verfassungsebene entgegenstellen, um der Initiative «erfolgreich entgegentreten zu können», wie Parteichef Gerhard Pfister ankündigte.

20min/Matthias Spicher

Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse und der schweizerische Arbeitgeberverband drückten ebenfalls ihre klare Ablehnung zur SVP-Initiative aus. Der Arbeitgeberverband fordert jedoch wirksame Massnahmen in den Bereichen Asyl, Infrastruktur und Wohnen.

14:52

Medienkonferenz beendet

Nach der Fragerunde ist die Medienkonferenz beendet. Hier folgt in Kürze eine Zusammenfassung.

14:35

Kommt zuerst die Abstimmung zur SVP-Initiative oder zum EU-Verhandlungspaket?

Was, wenn zuerst über die SVP-Initiative abgestimmt wird, bevor das Volk über das EU-Vertragspaket abstimmt? Lohnt sich eine Abstimmung dann noch, will ein Journalist wissen.

«Der Bundesrat hat ein ganz grosses Interesse, den bilateralen Weg weiterzugehen, er würde alles unternehmen, um diesen bilateralen Weg zu retten», stellt Jans klar. Aber in Verhandlungen gebe es zwei Parteien – die Annahme der SVP-Initiative widerspreche dem ausgehandelten Vertrag mit der EU.

Beat Jans sieht die Initiative als eine Gefahr für die bilateralen Verträge mit der EU.

Beat Jans sieht die Initiative als eine Gefahr für die bilateralen Verträge mit der EU.

Screenshot/Medienkonferenz

«Ich gehe davon aus, dass die EU im Minimum Anpassungen und Gegenleistungen für diese Einschränkung verlangen würde.» Somit wäre das Abkommen im Kern gefährdet, so Jans. Er wolle zwar nicht den Teufel an die Wand malen, aber: «Diese Initiative will ja im Kern den bilateralen Weg beenden – und ich gehe davon aus, dass die EU diese Botschaft auch so verstehen würde», sagt Jans.

14:27

«Schweiz würde zur Schengen-Aussengrenze»

Welche Auswirkungen hätte es, wenn die Schweiz nicht mehr bei Schengen-Dublin dabei wäre, will eine Journalistin wissen.

Jans antwortet: «Wenn wir nicht mehr bei Schengen-Dublin dabei sind, werden wir zu einer Schengen-Aussengrenze.» Das heisse, dass die Schweiz nicht mehr vom Dublin-Verfahren profitieren könne. Künde die Schweiz zusätzlich die Flüchtlingskonvention auf, würde sie sich international «sehr isolieren», hält Jans fest.

Vincenzo Mascioli ist Staatssekretär für Migration. In der Medienkonferenz erklärt er: England habe 2018 rund 38'000 Asylgesuche gehabt, 2024 deren 108'000 Asylgesuche.

Vincenzo Mascioli ist Staatssekretär für Migration. In der Medienkonferenz erklärt er: England habe 2018 rund 38'000 Asylgesuche gehabt, 2024 deren 108'000 Asylgesuche.

Screenshot/Medienkonferenz

Auch der Staatssekretär für Migration, Vincenzo Mascioli, äussert sich zu der Frage. Als Beispiel nimmt er «England», welches aus dem Dublin-Abkommen zurücktrat. Nach dem Austritt habe man «annähernd eine Verdreifachung der Asylgesuche» gesehen, so der SEM-Chef.

14:19

Bundesrat lehnt die Initiative ab

«Die ‹Keine 10-Millionen-Schweiz›-Initiative ist nicht im Interesse der Schweizer Bevölkerung», fasst der Justizminister zusammen. Das Vorhaben bringe für die Schweiz «grosse Unsicherheit».

Beat Jans spricht sich klar gegen die «Keine 10-Millionen-Schweiz»-Initiative aus.

Beat Jans spricht sich klar gegen die «Keine 10-Millionen-Schweiz»-Initiative aus.

Screenshot/Medienkonferenz

Der Bundesrat höre jedoch die Sorgen der Bevölkerung – deshalb habe er bereits verschiedene Massnahmen eingeleitet. So sollen etwa mehr Personen in den Arbeitsmarkt integriert werden – und mit der EU habe man eine Schutzklausel ausgehandelt, mit welcher die Schweiz in begründeten Fällen die Zuwanderung beschränken könne.

14:15

Fahndungsdatenbank: 300'000 Schweizer Abfragen täglich

Beat Jans kommt auf die Fahndungsdatenbank zu sprechen. Alleine aus der Schweiz gebe es täglich 300'000 Abfragen. «Ohne das Schengen-Informationssystem wären unsere Polizei- und Grenzbehörden erst einmal blind», so Jans.

14:13

Schengen-Wegfall würde Asylkosten steigern

Asylsuchende könnten im Schengenraum nur einmal ein Asylgesuch stellen – die Schweiz überstelle dreimal mehr Asylsuchende in andere Länder, als sie selbst übernehmen müsse. «Wenn das wegfällt, müsste das schweizerische Asylwesen ausgebaut werden und würde teurer», warnt Jans. Die Schweiz wäre verpflichtet, eine «beträchtliche Anzahl» mehr Zweitgesuche zu bewältigen als heute.

14:11

«Zuwanderung und Wohlstand gehören zusammen»

Die Zuwanderung in die Schweiz habe im Wesentlichen zwei Gründe:

Die Schweizer Wirtschaft sei erfolgreich, schaffe Arbeitsplätze und Wohlstand. «Zuwanderung und Wohlstand gehören zusammen», so Jans.

Zweitens würden Schweizerinnen und Schweizer immer älter – und immer mehr Menschen gingen in Rente. «Damit ihre Arbeit weiterhin gemacht wird, sind wir auf Zuwandernde angewiesen», so der Bundesrat.

14:08

Schweizer Gesundheitssystem würde ohne ausländische Fachkräfte «zusammenbrechen»

«Wenn sie kürzlich im Spital waren, dann wissen sie es: Ohne das Personal aus Deutschland oder Frankreich können sie da lange klingeln – es kommt niemand», sagt Jans in Bezug auf den Fachkräftemangel. Das Schweizer Gesundheitssystem würde ohne diese Menschen zusammenbrechen, warnt Jans.

14:05

«Bewährten Schweizer Weg stärken»

«Die Initiative würde uns zwingen, unter bestimmten Bedingungen internationale Abkommen zu kündigen, sie würde unsere Beziehung zur EU und zu unseren Nachbarländern unnötig belasten», führt der Justizminister aus.

In der aktuellen geopolitischen Lage solle man das «bewährte und für beide Seiten fruchtbare» bilaterale Verhältnis mit der EU nicht aufs Spiel setzen. Vielmehr solle man den «bewährten Schweizer Weg» stärken.

14:03

«Zuwanderung steuern, aber Schweiz nicht isolieren»

«Es geht heute um ein wichtiges Thema – es geht um den Wohlstand, die Sicherheit und die Handlungsfähigkeit der Schweiz», beginnt Bundesrat Beat Jans. Der Bundesrat lehne die SVP-Initiative ab. «Der Bundesrat will die Zuwanderung steuern, aber nicht die Schweiz international isolieren», so Jans.

14:00

Medienkonferenz beginnt

Anwesend sind Justizminister Beat Jans, der Staatssekretär für Migration Vincenzo Mascioli sowie Bundesratssprecher Andrea Arcidiacono.

Bundesrat lehnt SVP-Initiative ab

Die SVP fordert mit ihrer Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz», dass das Land bis 2050 die Schwelle von zehn Millionen Menschen in der ständigen Wohnbevölkerung nicht überschreiten darf.

Die SVP reichte die Unterschriften für ihre Nachhaltigkeitsinitiative im April 2024 ein.

Die SVP reichte die Unterschriften für ihre Nachhaltigkeitsinitiative im April 2024 ein.

20min/Stefan Lanz

Der Bundesrat sieht darin jedoch eine Gefahr für den Wohlstand, die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und die Sicherheit der Schweiz – zudem stelle die Initiative den bilateralen Weg mit der EU in Frage. Er empfiehlt dem Parlament, die Initiative ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag vorzulegen und sie zur Ablehnung zu empfehlen.

Bundesrat rechnet bei Annahme mit mehr Asylsuchenden

Nach Ansicht des Bundesrats hätte eine Annahme der Initiative negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Funktionieren der Gesellschaft. Das Freizügigkeitsabkommen mit der EU müsste gekündigt werden, wenn mehr als zehn Millionen Menschen in der Schweiz leben und keine Ausnahme- oder Schutzklauseln ausgehandelt werden könnten. Damit entfiele auch der Zugang zum europäischen Binnenmarkt.

Weiter bestünde auch die Gefahr, dass die Schweiz nicht mehr am Schengen- und Dublin-System teilnehmen könnte. Der Bundesrat glaubt, dass dies zu mehr irregulärer Migration und einer höheren Anzahl Asylsuchenden in der Schweiz führe. Ausserdem würde die Kriminalitätsbekämpfung erschwert und die innere Sicherheit gefährdet, weil die Schweiz keinen Zugang zur europäischen Fahndungsdatenbank hätte.

Mehr Massnahmen im Wohnungswesen und Arbeitsmarkt

Massnahmen, welche die Zuwanderung begrenzen, würden dem Wohlstand schaden und internationale Verpflichtungen der Schweiz verletzen, argumentiert der Bundesrat.

Er anerkennt aber auch, dass das Bevölkerungswachstum Herausforderungen mit sich bringe: Deshalb habe der Bundesrat zusätzliche Massnahmen beschlossen, um das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. So sollen etwa ältere Stellensuchende und Personen, die über den Familiennachzug in die Schweiz gekommen sind, stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Im Gesundheitswesen herrscht Fachkräftemangel – der Bundesrat befürchtet eine Verschärfung der Situation, sollte die Initiative angenommen werden.

Im Gesundheitswesen herrscht Fachkräftemangel – der Bundesrat befürchtet eine Verschärfung der Situation, sollte die Initiative angenommen werden.

20min/Vanessa Lam

Zudem habe der Bundesrat zusätzliche Massnahmen beschlossen, um dem knappen Wohnungsangebot zu begegnen. Mit der EU konnten zudem Ausnahmen und eine Schutzklausel ausgehandelt werden, mit denen die Schweiz in begründeten Fällen die Zuwanderung aus der EU beschränken kann – ohne dabei den bilateralen Weg oder das Freizügigkeitsabkommen in Frage zu stellen.

SEM arbeite an Lösungen gegen Asylmissbrauch

Das Staatssekretariat für Migration arbeite zudem daran, eine Reihe neuer Massnahmen mit den Kantonen, Städten und Gemeinden zu erarbeiten. So sollen die unbegründeten Asylgesuche weiter gesenkt und Missbräuche im Asylbereich verhindert werden.

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