Mirjana Karanović: «Mother Mara» - Provokation des Patriarchats?

Völlig überraschend stirbt Maras Sohn mit 20 Jahren. An der Abdankung verstummt die Trauergemeinschaft, sobald die Mutter den Raum betritt. Alle haben Mitleid, doch die erfolgreiche Anwältin aus Belgrad zeigt keine Trauer, wirkt eher apathisch. Ihr Sohn war ihr Antrieb, für ihn hat sich die Alleinerziehende in ihre Arbeit gestürzt, um beide materiell abzusichern. «Eine typische Balkanmutter», sagt die Hauptdarstellerin und Regisseurin Mirjana Karanović im Interview mit 20 Minuten. Mit diesem Ziel vor Augen hat sich die Figur Mara selbst verloren und vergessen, ihr Glück zu suchen. «Sie ist einsam und hat ihr unglückliches Leben mit der Karriere kompensiert», erklärt die 68-jährige Schauspielerin.

Nach der Beerdigung kehrt Mara dann auch sofort zurück in ihre Kanzlei. Sie spürt jedoch, dass sich ihr Leben grundlegend verändert hat. Während andere in der Therapie ihre Trauer verarbeiten oder sie im Alkohol ertränken, greift Mara zu einer anderen Bewältigungsstrategie: Sex mit dem Fitnesstrainer Milan, einem Freund ihres verstorbenen Sohnes. Ihr Verhältnis mit dem jungen Mann ist zu Beginn ohne jegliche Nähe. «Es scheint, als wolle sie durch den Sex die Kontrolle über ihr Leben erlangen und einen Raum schaffen, in dem niemand sie bemitleiden oder ihr Hilfe anbieten wird. Später werden sie zu Freunden, Liebhabern und Weggefährten», sagt Karanović.

Die 68-Jährige gilt als Grande Dame des südosteuropäischen Kinos. Ihren potenziellen Nachfolgerinnen rät sie: «Gönn dir nach einem Fehler ein paar depressive Tage und mach dann weiter.»

Mit ihrem Film «Mother Mara» wollte sie am Klischee der Balkanmutter rütteln. Frauen in ihrem Alter gelten entweder als Grossmütterchen oder als Hexe, nicht aber als Menschen mit Leidenschaften und Sehnsüchten. Die Presseagentur Prosa Films ist sich sicher: «Mit dem Tabubruch dürfte der Film weit über den Balkan hinaus provozieren.» Dabei sei das gar nicht Karanovićs Absicht gewesen. «Ich wollte eine starke, erfolgreiche, unabhängige Frau zeigen. Solche Geschichten haben zur Konsequenz, dass sich das Patriarchat provoziert fühlt», erklärt Karanović.

Sie war Mitte dreissig, als Jugoslawien zerfiel und Krieg ausbrach. Bis da sei Karanović ein unpolitischer Mensch gewesen. «Doch dann begannen viele Frauen, sich in Anti-Kriegsbewegungen zu engagieren, lernten, sich gegen die Polizei und die Politik zu wehren. Wir arbeiten noch immer daran, das emotionale Gepäck des Patriarchats loszuwerden», erzählt die Filmikone. Auch jetzt spüre sie, dass sich mit der aktuellen Grossdemonstration in ihrer Heimat wieder etwas verändere: «Mich fasziniert die Energie der Jungen, ihre cleveren Entscheidungen, wie sie den Protest anführen, Forderungen vortragen und Gewalt vermeiden. Ich hoffe auf das Beste.»