Palästinenser erzähltDas Meer war sein Zuhause – jetzt ist es die Strasse
Youssef (30) wuchs am Strand von Gaza auf, das Surfen war seine Welt. Heute lebt er in einem Zelt. Die Proteste gegen die Hamas beobachtet er aus der Ferne – und glaubt nicht daran, dass sie etwas verändern.
Darum gehts
Youssef, ein ehemaliger Rettungsschwimmer und Surf-Pionier aus Gaza, lebt nun mit seiner Familie in einem Zelt.
Der durch den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöste Krieg zerstörte sein Zuhause und zwang ihn, auf der Strasse zu leben.
Er beobachtet die Proteste gegen die Hamas aus der Ferne und glaubt nicht an deren Wirksamkeit.
Youssef hofft auf ein neues Leben im Ausland, um seinen Kindern eine sichere Zukunft zu bieten.
«Hamas raus! Stoppt den Krieg!» – die Rufe hallen durch die zerstörten Strassen von Beit Lahiya im Norden des Gazastreifens. Es sind laut Augenzeugen vorwiegend Männer, die protestieren und sich damit in Gefahr bringen.
«Glaube nicht, dass Proteste gegen die Hamas etwas bringen.»
Auch Youssef lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Norden des Gazastreifens. Aber er geht nicht mit auf die Strasse. «Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen – ob gut oder schlecht», sagt der 30-Jährige gegenüber 20 Minuten. «Aber ich glaube nicht, dass Proteste gegen die Hamas etwas bringen. Sie machen sowieso, was sie wollen.» Er befürchte sogar, dass die Auflehnung der palästinensischen Bevölkerung schadet. «Innere Unruhe hilft nur der Besatzung. Sie will, dass ein Bürgerkrieg ausbricht.»
Einst war Youssefs Leben nicht von Misstrauen und Angst geprägt, sondern vom Meer. «Ich bin im Gazastreifen geboren und am Strand aufgewachsen. Das Meer war unsere Welt», erzählt er. Seine Kindheit mit sieben Geschwistern beschreibt er als «wunderschön und einfach».
«Mein Vater hat uns die Liebe zum Wasser weitergegeben»
Mit acht Jahren stand Youssef zum ersten Mal auf einem Surfbrett. Es wurde zu seiner Leidenschaft. «Mein Vater war Rettungsschwimmer, Fischer und Schwimmmeister – er hat uns allen die Liebe zum Wasser weitergegeben.»
Hunderte Bewohner des Gazastreifens protestieren auf der Strasse gegen die Hamas.
20min/Jan DerrerYoussef war einer der ersten Surfer im Gazastreifen, galt als Pionier. Er war in Dokumentarfilmen und Magazinen zu sehen. Dann trat er in die Fussstapfen seines Vaters und wurde Rettungsschwimmer und Fischer. «Ich verbrachte meine Tage auf dem Wasser, habe Menschen vor dem Ertrinken gerettet.» Er lernte seine Frau kennen, die an der Universität Arabisch studierte. Die beiden bekamen einen Sohn. «Wir hatten ein schönes, ruhiges Leben.»
Dann kam der 7. Oktober 2023. Und damit der Krieg.
«Unser Haus wurde komplett zerstört, das Leben ist zur Hölle geworden», sagt Youssef. Er und seine Familie leben jetzt auf der Strasse in einem Zelt. Dort kam auch seine Tochter zur Welt – mitten im Krieg, ohne medizinische Versorgung. «Jede Sekunde habe ich Angst davor, meine Frau oder meine Kinder zu verlieren.»
Viele seiner Angehörigen sind bereits getötet worden: sein Cousin, die Tochter seiner Tante, sein Onkel. Er selbst wurde verletzt. «Wir sind alle verstreut – meine Frau, meine Kinder und ich im Norden, der Rest meiner Familie im Süden.»
Dass seine enge Familie noch lebt, sei das Einzige, was ihn glücklich mache. «Daran halte ich mich fest, bis dieser Albtraum irgendwann vorbei ist.» Für die Zukunft wünsche er sich, dass alle Palästinenserinnen und Palästinenser in Frieden und Sicherheit leben können, dass die Besatzung seines Landes endet.
«Ich will mit meiner Familie im Ausland ein neues Leben anfangen.»
Doch so richtig glaubt er nicht daran, deshalb sieht er seine eigene Zukunft nicht im Gazastreifen. «Ich will mit meiner Familie im Ausland ein neues Leben anfangen – damit meine Kinder eine Zukunft haben.» Und dann will er wieder surfen. «Ich vermisse mein Hobby sehr und will es meinen Kindern beibringen – vielleicht gehören sie eines Tages zu den Besten der Welt gehören.»
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