Proteste im Gazastreifen gegen Hamas: Nahost-Experte schätzt ein

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Experteneinschätzung«Hamas raus»: Ist der Aufstand in Gaza ein Wendepunkt?

Demos im Gazastreifen gegen die Hamas sind ungewöhnlich. Seit Dienstag jedoch wagen immer mehr Palästinenser offenen Protest. Ein Experte schätzt ein.

Inzwischen Tausende Menschen demonstrieren in Nordgaza gegen die Hamas und den Krieg mit Israel.

20min/jad

Darum gehts

  • Seit Dienstag protestieren Tausende Palästinenser in Gaza gegen die Hamas.

  • Die Demonstrierenden fordern ein Ende des Kriegs und der Hamas-Herrschaft.

  • Experte Andreas Böhm sieht die Proteste als mutiges Zeichen des Widerstands.

  • Die Hamas ist durch Israels Offensiven geschwächt, aber ein Machtwechsel ist ungewiss.

Im Gazastreifen regt sich seltener Widerstand gegen die eigene Führung: Seit Dienstag protestieren Tausende Palästinenser in mehreren Städten offen gegen die islamistische Hamas. Slogans wie «Hamas raus» und «Hamas-Terroristen» werden skandiert, Plakate fordern ein Ende des Kriegs. Nahost-Experte Andreas Böhm erklärt, was diese Proteste für die Region bedeuten können.

Herr Böhm, warum protestieren gerade jetzt so viele Menschen in Gaza gegen die Hamas?

Die anhaltenden Kriegshandlungen haben zu massiven Zerstörungen und einer humanitären Katastrophe geführt. Die Einwohner Gazas sind erschöpft und sehen die Hamas als Hauptverantwortliche für ihr Leid. Sie empfinden Hass gegenüber dieser Organisation, weil sie den Krieg entfacht hat und die Bevölkerung unterdrückt.

Wie gefährlich ist es, in Gaza gegen die Hamas zu demonstrieren?

Sehr gefährlich. Die Menschen begeben sich damit in doppelte Lebensgefahr: Einerseits besteht die permanente Bedrohung durch israelische Bombardierungen, andererseits riskieren sie, von der Hamas-Führung erschossen zu werden. Dass sich Menschen dennoch auf die Strasse wagen, ist unglaublich mutig.

Tausende Palästinenser protestieren in Gaza offen gegen die islamistische Hamas – ein seltenes und mutiges Zeichen des Widerstands.
Slogans wie «Hamas raus» und «Stoppt den Krieg» hallen durch zerstörte Städte wie Beit Lahiya im Norden.
Die Proteste sind gefährlich: Demonstrierende riskieren ihr Leben – durch israelische Angriffe und die Gewalt der Hamas.
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Tausende Palästinenser protestieren in Gaza offen gegen die islamistische Hamas – ein seltenes und mutiges Zeichen des Widerstands.

AFP

Was hat den Menschen den Mut gegeben, sich jetzt öffentlich gegen die Hamas zu stellen?

Die Hamas ist stark geschwächt. Das eröffnet der Bevölkerung wohl erstmals seit Langem Raum, ihren Unmut zu zeigen.

Haben Sie mit solch offenem Widerstand gerechnet?

Ganz überraschend ist das nicht. Dass die meisten Menschen in Gaza genug haben von der Hamas, weiss man schon lange. Bereits im vergangenen Jahr gab es kleinere Demonstrationen. Aber das jetzige Ausmass ist dennoch bemerkenswert.

So ist die Lage im Nahost-Konflikt

Was fordern die Demonstrierenden konkret? Geht es nur um den Sturz der Hamas oder auch um eine Zwei-Staaten-Lösung?

Es geht hier um ganz fundamentale Dinge, um ein Leben in Frieden und Freiheit. Letztlich wollen sie einfach nur überleben. Politische Konzepte oder die Verhandlungen um eine Zwei-Staaten-Lösung sind im Hinterkopf vielleicht präsent, spielen aber innerhalb der Bevölkerung in diesem Moment keine Rolle.

Gibt es unter den Demonstrierenden womöglich sogar Sympathien für Israel, das gegen die Hamas kämpft?

Nein, ganz und gar nicht. Die meisten Menschen können weder mit der Hamas noch mit Israel viel anfangen. Praktisch jeder hat Angehörige verloren, manche ihre ganze Familie. Sie durchleben eine ethnische Säuberung, was die israelische Regierung auch offen propagiert.

Das ist der Experte

Wer steckt hinter den Protesten?

Aus der Ferne ist das schwierig zu beantworten. Es ist denkbar dass die Bewegung zunächst spontan innerhalb der Bevölkerung entstanden ist – ohne klare Führung. Aber mit Sicherheit springen die politischen Gegner der Hamas, wie die Fatah Partei aus dem Westjordanland, auf diesen Zug auf.

Könnten diese Proteste das Ende der Hamas-Herrschaft einläuten?

Das wäre zu wünschen, ist aber allein auf diesem Wege kaum zu bewerkstelligen. Die Hamas ist die mit Abstand am stärksten bewaffnete Gruppe in Gaza. Solange es keinen ernsthaften Druck auf eine politische Alternative gibt – etwa angestossen durch arabische Staaten und letztlich die USA – wird sich daran wenig ändern. Erst dann wäre es wahrscheinlich, dass sich die Hamas zurückzieht, beziehungsweise ins Exil geht.

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