Podiumsgespräch«Israel hat den Rebellen eine Dienstleistung erwiesen»
Der syrische Machthaber Baschar al-Assad wurde gestürzt. Was bedeutet das für das Land, die Region und die Welt? Ein Podiumsgespräch der ZHAW mit dem Nahost-Experten und Schweiz-Syrer Khaldoun Dia-Eddine.

Assad wurde am Sonntag gestürzt. Syrerinnen und Syrer haben sich in mehreren Städten versammelt und das Ende des Regimes gefeiert.
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Was ist mit den USA?
Was ist mit den USA? Laut Michael Walsh ist sowohl Biden als auch Trump schon mit ausländischen Akteuren in Gesprächen. Das mache es schwieriger für Biden und seine Administration. Trump wolle wahrscheinlich wenig mit dem Syrien-Konflikt zu tun zu haben. Demnach sei Bidens Position geschwächt, da er nur noch wenige Wochen im Amt sei.
Rolle Israels
Israel sei ein «Key-Player» in der Region. Das Assad-Regime habe die Grenze zu Israel beschützt, sagt Dia-Eddine. Jetzt habe Israel mehr Personal an der Grenze zu Syrien platziert, zudem habe man mehrere Orte bombardiert. Als Grund habe man angegeben, dass man nicht wolle, dass HTS und andere Gruppierungen, die ehemalige Verbindungen zu Al-Qaida haben, wichtige Orte einnehme. Dia-Eddine glaubt nicht, dass Israel mit den neuen Kräften zusammenarbeiten möchte.
Was sind die Auswirkungen für die Region?
Was sind die Auswirkungen des Sturzes für die Region? Laut Michael Walsh der UC Berkley ist der Syrien-Konflikt im grösseren Kontext des Nahen Osten eingebettet. Es gebe eine Beziehung zwischen den Konflikten. Die sogenannte Achse des Widerstands habe einen Einfluss auf Syrien, aber auch auf Libanon, Iran und andere Staaten in der Region.
Die Rolle Russlands sei relevant. Iran und Russland müsse man auseinanderhalten, auch wenn sie Verbündete seien. Russland habe diese Woche einen klaren strategischen Entscheid fällen müssen. Sie hätten festgestellt, dass Iran, ihr Partner, geschwächt ist. «Sie riskierten ihre Position in anderen Staaten.»
Was tun die Russen jetzt? «Gehen sie zum Beispiel nach Libyen oder Sudan?», fragt Walsh. «Oder werde man die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten auf die Ukraine konzentrieren?»
Was ist das Interesse der HTS?
Nicht HTS sei als Erstes in Damaskus eingetroffen, sondern andere Gruppierungen. Die HTS gilt als treibende Kraft. Was ist ihr Interesse? «Wir wissen nicht, was passieren wird. Aber aktuell spricht vieles dafür, dass Syrien einen anderen Weg gehen wird. Es sieht positiv aus.» Der Chef der HTS sei in mehreren Medien aufgetreten. Aktuell befinde er sich in Damaskus und habe den Leuten versprochen, die Situation in den Griff zu bekommen. «Seit Sonntag hat man Verordnungen verhängt, zum Beispiel: Wenn jemand schiesst, muss man ein Jahr ins Gefängnis. Es scheint, dass die Message an die Armee und die Polizei ist: "Gehen Sie zurück auf Ihre Posten, denn Syrien ist für die Bevölkerung und nicht für einen Clan".»
Wieso konnten die Rebellen so schnell voranschreiten?
«Assad hat keine echte Basis in der Bevölkerung», so Dia-Eddine. Die Armee von Assad sei auch gesplittet. Es gebe nur die Eliten und die anderen. Die Soldaten seien arme Leute, die Militärdienst führen müssen und nicht mehr wegkönnen. Die Milizen aus dem Ausland hätten Assad unterstützt. «Jede Gruppe hat andere und eigene Interessen. Das ist ein Systemfehler.»
Der Gazakrieg habe die Landschaft geändert, mit dem Konflikt zwischen Israel und dem Iran. «Israel hat eine Dienstleistung für die Rebellen erwiesen, indem sie die Hisbollah geschwächt haben.» Es gebe Gerüchte, dass die Syrer Informationen an die Israelis weitergegeben hätte zu den iranischen Kräften und der Hisbollah.
Die Rebellen hätten Hama erobert. «Der Weg nach Homs war offen.» Die Russen hätten das zu unterbinden versucht, aber ohne Erfolg.
Wer hat wen unterstützt?
Laut Dia-Eddine sind die Rebellen nicht eine, sondern mehrere Gruppen. Eine hat sich von der Al-Qaida abgesplittet und war in Idlib. Die Kurden wurden von den Amerikanern und den Franzosen, die syrische Regierung von Iran und Verbündeten und die Rebellen von der Türkei unterstützt.
Ausländische Mächte und IS
«Die Rebellen waren mächtig, bis die Armee durch ausländische Kräfte wie Iran und Russland unterstützt wurde.» Später habe ISIS Ortschaften erobert. «Was wir in Europa vom IS erlebt haben, ist nur ein Prozent von dem, was sich in der Region ereignete», so Dia-Eddine.
50 Jahre Assad an der Macht
Baschar al-Assad und sein Vater stellten für 50 Jahre die Regierung in Syrien. Wie der Schweiz-Syrer sagt, Syrien war zuvor ein demokratisches Land. 1966 gab es einen Militärputsch, Assad war der Verteidigungsminister, später wurde er Präsident. «Die Kurden wurden unterdrückt. Die Muslimbruderschaft wurde ins Ausland gezwungen. Damit ging eine Verschlechterung der ökonomischen Lage einher.»
In den 80ern kam ein Clan an die Macht, erzählt Dia-Eddine. Nachdem Assad gestorben war, übernahm sein Sohn Baschar al-Assad. «Das, obwohl er zu jung war.»
Was ist passiert?
Am 27. November gab es die ersten Berichte, dass die HTS einen Angriff gestartet haben. Nur drei Tage später fiel Aleppo, erklärt Florian Keller der ZHAW. Nochmals wenige Tage später fiel Hama und weitere syrische Städte. Es zeichnete sich ab, dass der Bürgerkrieg, der seit elf Jahren wütete, enden könnte. Dem war so am Sonntagmorgen – Assad flüchtete nach Russland.
Wer ist Michael Walsh?
Michael Walsh ist ein Senior Fellow am Foreign Policy Research Institute. Er hat unter Biden gearbeitet.
Wer ist Khaldoun Dia-Eddine?
Khaldoun Dia-Eddine ist halb-Syrer, halb-Schweizer und ist in Syrien aufgewachsen. 1980 ist er in die Schweiz gekommen, aufgrund des Militärdienstes, welches er unter Assad hätte machen müssen. Heute unterrichtet er Internationales Business an der ZHAW.
Podium zu Ereignissen in Syrien
Wie haben es die Rebellen geschafft, innert so kurzer Zeit Assad zu stürzen? Und: Was bedeutet das für das Land, die Region und die Welt? In einem Online-Podium der ZHAW International Business um 13 Uhr diskutiert der Nahost-Experte und Schweiz-Syrer Khaldoun Dia-Eddine die Ereignisse der letzten Tage.
20 Minuten berichtet live.
Umsturz in Syrien
13 Jahre dauerte der Bürgerkrieg in Syrien: Nun haben die Rebellen unter Führung des islamistischen Bündnises Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und den Machthaber Baschar al-Assad gestürzt. Der Diktator flüchtete mit seiner Familie nach Russland.
In Syrien und in vielen Städten weltweit – auch in Zürich – versammelten sich am Wochenende Geflüchtete und feierten den Sturz Assads.

In Berlin haben sich laut Polizeiangaben rund 5000 Demonstrierende versammelt.
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