Assads SturzWie geht es weiter in Syrien? Die Ziele der Grossmächte
Der Sturz von Assad bringt Bewegung in die Machtverhältnisse im Nahen Osten. Wer welche Interessen hat – und wie es weitergehen könnte.
Syrien: Machthaber und Diktator Baschar al- Assad scheint Geschichte. Hier dringen Rebellen in seinen Palast ein.
20minDarum geht es
Der Sturz von Baschar al-Assad bringt die Machtverhältnisse im Nahen Osten durcheinander.
Russland, die Türkei, der Iran, Israel und die USA verfolgen in der Region unterschiedliche Ziele.
Moskau und Teheran stehen vor dem Verlust ihres Einflusses.
Die Türkei und Israel versuchen, ihre regionalen Interessen neu zu definieren.
Die USA bleiben als Verbündeter Israels ein stabilisierender Faktor.
Die unklare Lage birgt das Risiko weiterer Konflikte und Destabilisierung.
Die Zeit von Baschar al-Assad in Syrien ist zu Ende. Islamistische Rebellen haben ihn gestürzt. Die Situation im Nahen Osten ist komplex, diverse Mächte verfolgen jeweils ihre eigenen Interessen.
Politologe Alexander Dubowy analysiert für 20 Minuten, wie die wichtigsten regionalen Player sich bisher verhalten haben, welche Rolle sie beim Sturz Assads gespielt haben – und welche Ziele sie in der Post-Assad-Ära verfolgen.
Russland

Der russische Präsident Wladimir Putin mit Assad und dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Damaskus am 7. Januar 2020.
AFPInteressen bisher
«Moskau ist 2015 als Unterstützer des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingetreten. Syrien diente Russland als strategischer Stützpunkt und eine Art Brückenkopf in den Nahen Osten. Russland konnte sich so als globaler Akteur positionieren und vom Krieg im Donbass und der Krim-Annektion ablenken. Ausserdem war Syrien ein Testgelände für die Wagner-Truppe.»
Verhalten während des Assad-Sturzes
«Russland flog nur vereinzelt Luftangriffe. Es ist davon auszugehen, dass Russland schlicht nicht mehr tun konnte, weil seine Kräfte in der Ukraine gebunden sind.»
Künftige Ziele
«Der Sturz Assads war keinesfalls im Interesse Russlands. Die Zukunft der militärischen Position Russlands im Nahen Osten ist damit infrage gestellt. Russland wird jetzt mit Iran und der Türkei, möglicherweise sogar unter Einbezug der USA, versuchen, Syrien zu stabilisieren und den eigenen Einfluss zu wahren.»
«Es ist davon auszugehen, dass Russland schlicht nicht mehr tun konnte.»
Türkei

Von der Türkei unterstützte islamistische Kämpfer im syrischen Gouvernement Aleppo gegenüber den Stellungen des kurdisch kontrollierten Gebiets Tal Rifaat.
AFPInteressen bisher
«Die Türkei hält mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA) Gebiete in Nordsyrien besetzt. Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt zwei Hauptziele in Syrien: Zum einen strebt er an, dass zumindest ein Teil der Flüchtlinge in seinem Land nach Syrien zurückkehrt. Zum anderen möchte er den Einfluss kurdischer Kräfte schwächen.»
Verhalten während des Assad-Sturzes
«Alles deutet darauf hin, dass die Türkei Mit-Initiator dieser Offensive war. Zumindest wurde diese von Ankara gebilligt.»
Künftige Interessen
«Die Türkei könnte diese Phase nutzen, um weiter gegen die Kurden vorzugehen. Dabei muss sie aber auch auf die Interessen von Russland und des Iran Rücksicht nehmen. Auch die HTS-Miliz hat eigene Zielsetzungen. Ich glaube nicht, dass die Türkei wirklich eine langfristige Strategie hat, was nach dem Sturz Assads geschehen soll.»
«Ich glaube nicht, dass die Türkei wirklich eine langfristige Strategie hat.»
EXPERTEN-BOX

Alexander Dubowy
PrivatAlexander Dubowy befasst sich als Berater mit Fragen internationaler Politik- und Sicherheitsthemen. Der Politikanalyst forscht insbesonders zu Osteuropa, Russland und den GUS-Staaten («Gemeinschaft Unabhängiger Staaten» mit den meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion).
Iran

Plakat mit den Porträts des iranischen Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei und des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf dem Saadallah al-Jabiri-Platz in der nordsyrischen Stadt Aleppo am 7. Januar 2020.
AFPInteressen bisher
«Der Iran war ein zentraler Verbündeter Assads, hat ihn über die Hisbollah-Miliz unterstützt. Syrien unter Assad war ein wichtiger Teil von Irans ‹Achse des Widerstands› gegen Israel und westlichen Einfluss. Für die eigenen Machtansprüche war die Unterstützung Assads durch die Hisbollah ein wichtiges Asset. Ausserdem war Syrien für den Iran wichtig als Brücke für die Versorgung der libanesischen Hisbollah mit Waffen und Ressourcen.»
Verhalten während des Assad-Sturzes
«Iran und Hisbollah waren durch die Angriffe Israels zu stark geschwächt, um Assad wirklich zu Hilfe zu eilen.»
Künftige Interessen
«Der Iran ist mehr noch als Russland der Verlierer dieser Entwicklungen. Zudem schwebt die Gefahr eines grossen regionalen Kriegs in der Luft, auch wenn weder Israel noch der Iran das wollen.»
«Iran ist mehr noch als Russland der Verlierer.»
Israel

Israelischer Luftangriff am 8. Dezember 2024 in den Aussenbezirken von Damaskus.
AFPInteressen bisher
«Israel betrachtete die Präsenz des Irans und der Hisbollah in Syrien als Bedrohung. Israels Ziel war es, iranische Militärstützpunkte und Waffenlieferungen in Syrien zu verhindern, die Hisbollah zu schwächen und mit der Kontrolle der Golanhöhen Angriffe und Infiltrationen aus Syrien zu verhindern.»
Verhalten während des Assad-Sturzes
«Israel nutzte die Chance, Luftschläge auf Waffen- und Munitionsdepots sowie Chemiewaffenfabriken in Syrien zu fliegen.»
Künftige Interessen
«Seit dem 7. Oktober 2023 ist Israel in einen mehrdimensionalen Abwehrkampf verstrickt. Israel ist auch weiter bestrebt, gegen alle Gefahren vorzugehen. Den Sturz des Assad-Regimes dürfte Israel grundsätzlich begrüssen, gleichzeitig droht eine chaotische Zeit, in der dschihadistische Gruppen grosse Teile Syriens kontrollieren und eine Gefahr für Israel darstellen könnten.»
«Der Sturz des Assad-Regimes dürfte Israel freuen.»
USA

US-Streitkräfte patrouillieren 2022 in der Nähe der Stadt Rumaylan in der nordöstlichen syrischen Provinz Hassaka nahe der türkischen Grenze.
AFPInteressen bisher
«Die USA sind ein Stabilitätsanker im Nahen Osten und als zentraler Verbündeter Israels in der Region auch militärisch präsent.»
Künftige Interessen
«Ein kompletter Abzug der USA aus dem Nahen Osten ist kaum denkbar. In Wahrheit möchte dies auch niemand in der Region wirklich. Denn obwohl die USA oft verteufelt werden, ist ihre Präsenz im Nahen Osten zentral für das regionale Kräfteverhältnis.»
«Ein kompletter Abzug der USA aus dem Nahen Osten ist kaum denkbar.»
Fazit

Im Libanon lebende Syrer und Syrerinnen sind am 8. Dezember 2024 auf dem Weg zum Grenzübergang Masnaa zwischen Libanon und Syrien, um nach dem Machtwechsel in Damaskus nach Hause zurückzukehren.
Murat Sengul/Anadolu via Getty Images«Die Situation ist komplex, widersprüchliche Interesse treffen aufeinander. Letztlich ist eines sicher: Wirkliche Freundschaftsbande gibt es in diesem Konflikt kaum. Jede Macht, von den Rebellengruppen bis zu den Grossmächten, verfolgt letztlich ihre eigenen Ziele – und passt je nach Bedarf die Strategie zur Erreichung dieser Ziele an.»
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