Pontoise FEvaëlle (11) in den Tod getrieben – Lehrerin steht vor Gericht
2019 nahm sich in Frankreich eine elf Jahre alte Schülerin wegen Mobbing das Leben. Nun steht eine Lehrerin von Evaëlle deswegen vor Gericht – eine juristische Premiere.
Darum gehts
Der Fall der französischen Schülerin Evaëlle, die sich vor sechs Jahren das Leben nahm, sorgte für grosses Aufsehen.
Die Elfjährige hatte sich nach massivem Mobbing zu Hause erhängt.
Nun steht eine Lehrerin vor Gericht, die Evaëlle laut Anklage regelmässig demütigte und das Mobbing durch Mitschüler förderte. Pascale B. drohen bis zu zwei Jahre Haft.
Als sie am 21. Juni 2019 von der Schule nach Hause kam, ahnte niemand, was Evaëlle gerade durchmachte. Die Elfjährige verhielt sich wie immer. Allerdings gab es am frühen Abend eine kleine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, weil einige Seiten aus Evaëlles Verbindungsheft herausgerissen worden waren. Das Mädchen begründete dies mit «einem Moment der Verärgerung», nachdem ein Mitschüler ihren Rucksack ausgeleert, ihre Sachen auf den Schulhof geworfen und sie dabei beschimpft hatte.
Ihre Mutter schalt Evaëlle, weil sie nicht mit einem Erwachsenen darüber gesprochen hatte. Wenige Stunden später fand ihr Vater das Mädchen leblos in ihrem Zimmer auf: Sie hatte sich an einem Schal erhängt.
Vergiftetes Klima gefördert?
Heute beginnt vor dem Strafgericht von Pontoise ein zweitägiger Prozess gegen die damalige Französischlehrerin von Evaëlle. Pascale B. wird vorgeworfen, drei Schülerinnen der Sekundarstufe I in der Kleinstadt Herblay beim Pariser Vorort Pontoise «belästigt» zu haben, darunter auch Evaëlle. Die Lehrerin wird verdächtigt, ein vergiftetes Klima geschaffen oder zumindest aufrechterhalten zu haben, unter dem das Mädchen litt. «Die Familie erwartet diesen Prozess ebensosehr wie sie ihn fürchtet», erklärt die Anwältin von Evaëlles Familie, Delphine Meillet. «Sie hoffen, dass die Justiz die Schuld dieser Frau anerkennt, die Autorität mit Allmacht verwechselt hat.» Zwei Mittelschüler wurden im Zusammenhang mit dem Fall Evaëlle bereits wegen Belästigung der Schule verwiesen.
Bereits in der vierten Klasse wurde das Mädchen regelmässig von ihren Klassenkameraden verspottet. Mit dem Eintritt in die sechste Klasse im September 2018 wurde aber alles schlimmer: In den Gängen und auf dem Schulhof waren die Demütigungen täglich. Es hagelte Beleidigungen, Mitschülerinnen weigerten sich, neben ihr zu sitzen. Auch ein Schulwechsel brachte keine Besserung.
Brandstiftung als Hilfeschrei
Im November versuchte Evaëlle zum ersten Mal, sich das Leben zu nehmen, indem sie einen Balken im Haus anzündete. Die Schule wurde sofort informiert, eine Liste von Schülern, die das Mädchen schikanierten, wurde übermittelt, das Mädchen wurde von der stellvertretenden Schulleiterin empfangen – aber ihr Martyrium setzte sich fort und wurde sogar schlimmer. Anfang Februar berichtete Evaëlle, dass sie von einem Schüler auf die Fahrbahn gestossen wurde, als der Bus ankam. Mehrere Zeugen bestätigten dies.
Nun geht es vor Gericht um die Frage, ob die Lehrerin Mitschuld an der Situation und letztlich dem Tod der Elfjährigen trägt. «Aus den Zeugenaussagen geht hervor, dass das Verhalten der Lehrerin als Freibrief wahrgenommen wurde, um Evaëlle anzugreifen», hält die Untersuchungsrichterin in ihrem Überweisungsbeschluss fest: Mehrere Schüler berichteten von verletzenden Bemerkungen von Lehrerin B. Evaëlle wurde trotz Sehproblemen in die hinterste Reihe der Klasse verbannt. Pascale B. habe Evaëlle mehrfach zum Weinen gebracht und sich dann darüber aufgeregt, dass sie weinte.
Vor versammelter Klasse abgekanzelt
Die Lehrerin, die sich selbst als «streng, aber gerecht» sowie «sehr aufmerksam gegenüber den Schülern» beschreibt, leugnet, gegenüber Evaëlle oder irgendeinem anderen Schüler ein Verhalten an den Tag gelegt zu haben, das als Mobbing angesehen werden könnte. Ihre Personalakte ist tadellos – aber mehrere ihrer Kollegen, darunter ihre ehemalige Schulleiterin, gaben an, dass sich B. auf bestimmte Schüler eingeschossen hatte und diese jeweils vor der Klasse demütigte. So soll sie Schülerinnen und Schülern, die sie ins Visier genommen hatte, vor versammelter Klasse als «dumm» und «nutzlos» bezeichnet haben.
Schliesslich wurde der Lehrerin 2020 die weitere Ausübung ihres Berufes untersagt. Nun drohen ihr sogar zwei Jahre Gefängnis. Es wäre das erste Mal, dass eine Lehrkraft wegen Mobbings an Schülerin verurteilt wird. «Die Eltern sind entschlossen, dass es nie wieder eine Affäre Evaëlle geben darf», so Anwältin Delphine Meillet.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Suizidgedanken? Oder hast du jemanden durch Suizid verloren?
Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Verein Familientrauerbegleitung.ch
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