Ablenkung mit Hyperschallrakete«Putin kann niemanden mehr täuschen, sein Militär ist so gut wie besiegt»
Mit der Einweihung einer Hyperschallrakete will Wladimir Putin vom «Massaker von Makijiwka» ablenken, bei dem zahlreiche russische Soldaten getötet wurden.

Der russische Präsident Wladimir Putin.
via REUTERSDarum gehts*
Die Handys der russischen Soldaten hätten zum opferreichen Angriff auf die russische Soldatenunterkunft in Makijiwka geführt, heisst es aus Moskau.
Allerdings wird der Handy-Version widersprochen, auch von russischen Militärbloggern.
Wladimir Putin hat nach dem «Massaker von Makijiwka» öffentlichkeitswirksam die Hyperschallrakete «Zirkon» in den Dienst gestellt – ein Ablenkungsmanöver, so Beobachter.
Beim ukrainischen Angriff auf eine Unterkunft im russisch besetzten Makijiwka sind 89 russische Soldaten gestorben. Das bestätigte das Verteidigungsministerium in Moskau am Dienstagabend. Schon zuvor hatte ein Sprecher 63 Tote eingeräumt – das Dreifache der höchsten bisher eingestandenen Verluste in einer einzelnen Attacke in diesem Krieg.
Andere, unbestätigte Berichte nennen dagegen Opferzahlen in den Hunderten. In dem Gebäude hatten sich frisch einberufene russische Reservisten versammelt, um Neujahr zu feiern.
Angriff auf Makijiwka wegen Handys?
Das ukrainische Militär sei wegen der hohen Aktivität von Datenverkehr mit Mobiltelefonen auf den Standort aufmerksam geworden, erklärte der russische Generalleutnant Sergej Sewrjukow.
Das russische Verteidigungsministerium will die verantwortlichen Militärs vor Gericht stellen – auch das ein ungewöhnliches Eingeständnis dafür, dass etwas falsch gelaufen ist.*
«Version ist nicht sehr überzeugend»
Die offizielle Version stellt nun ausgerechnet der russische Militärblogger Semyon Pegow in Frage: «Die Geschichte mit den Handys ist nicht sehr überzeugend», so Pegow, der vor wenigen Wochen von Putin mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet worden war, weil er in der Ukraine durch eine Antipersonenmine verletzt wurde.
Die russischen Streitkräfte könnten genauso gut von Drohnen entdeckt worden oder von einem Informanten verraten worden sein, so Pegow. Die zerstörte Berufsschule lag im Grossraum Donetsk in einem dicht besiedelten Gebiet, wo in der Silvesternacht zahlreiche Menschen Mobiltelefone genutzt haben dürften.
Schuld auf Soldaten lenken
Die Handynutzung der russischen Soldaten seien «nicht der Hauptgrund» gewesen, heisst es von den ukrainischen Streitkräften. «Der Hauptgrund war, dass sie nicht in der Lage waren, dieses Personal verdeckt einzusetzen. Und das haben wir ausgenutzt», so ein Sprecher der Ostgruppe der ukrainischen Streitkräfte.
Er ist nicht der einzige, der vermutet, dass die militärische Führung mit der Handy-Version den Soldaten die Schuld für den Angriff auf Makijiwka geben wolle, statt selbst Verantwortung für den ukrainischen Schlag zu übernehmen.

Bei dem ukrainischen Angriff auf ein Schulungsgebäude in Makijiwka starben zahlreiche russische Soldaten.
REUTERS«Dummheit des Feindes»
Hinzu kommen Berichte auch des britischen Geheimdienstes, wonach nahe der Truppenunterkunft auch Munition gelagert worden war, was weitere Explosionen auslöste und viel zur hohen Opferzahl beitrug. Solche folgenreiche Fehler sind russischen Kommandanten in diesem Krieg schon mehrfach unterlaufen. Die ukrainische Führung hat deswegen schon von der «Dummheit des Feindes» gesprochen, die es leicht mache, Erfolge zu erzielen.
Im russischen Staatsfernsehen ist der Angriff in Makijiwka kein Thema. Doch bei vKontakte, der russischen Version von Facebook, kocht es. Gruppen von wütenden Angehörigen von Soldaten organisieren sich und fordern Informationen.
Kritik an Wladimir Putin oder am Krieg im Allgemeinen wird allerdings kaum laut.
Abgeschirmter Putin
Der Kreml achtet seit Kriegsbeginn penibel darauf, den russischen Präsidenten nicht mit schlechten Nachrichten von der Front in Verbindung zu bringen. Als Russland im November den Rückzug aus Cherson verkündete, besuchte Putin eine neurologische Einrichtung, ohne sich zu äussern.
Auch zu der opferreichen Neujahrsnacht von Makijiwka sagte er bislang nichts. Stattdessen stellte der 70-Jährige am Mittwoch in einer im TV übertragenen Zeremonie die «Zirkon»-Hyperschallraketen auf der Fregatte «Admiral Gorschkow» in Dienst.
Ablenkungsmanöver mit Hyperschallrakete
Dass er die Hyperschallrakete Anfang 2023 in Dienst nehmen wolle, hatte Putin letzten März zwar angekündigt. Dass er dies gerade nach Makijiwka tut, überrascht Beobachter nicht.
Die «Zirkon»-Hyperschallraketen seien ein Ablenkungsmanöver, meint der bekannte britische Waffenexperte Hamish de Bretton-Gordon. «Putin klammert sich an einen Strohhalm. Doch ein paar Raketen, egal, wie schnell sie fliegen, werden ihm in der Ukraine nicht viel helfen», sagt er zu 20 Minuten. «Wir wissen, dass Putin die Präzisionslenkraketen ausgehen und er sogar Atomraketen in konventionelle Raketen umwandelt.»
Das sei ein Zeichen der Verzweiflung, erkennbar auch für das russische Publikum, die Nato und die Ukraine. «Das russische Militär ist so gut wie besiegt, und wenn Putin den Kriegsverlauf nicht bald ändern kann, ist er am Ende», so der Ex-Militär- und Waffenexperte von der Cambridge University. «Alles in allem ist es ein Bluff und Getöse, das niemanden mehr täuschen oder erschrecken sollte.»

Zu Russlands neuer Hyperschallrakete «Zirkon»
Wladimir Putin betont, dass der Einsatz der «3K22 Zirkon» die Leistungsfähigkeit des russischen Militärs erheblich steigern wird. Sie soll russische Kreuzer, Fregatten und U‑Boote bewaffnen und kann sowohl gegen feindliche Schiffe als auch gegen Bodenziele eingesetzt werden.
Die «Zirkon» ist eine von mehreren Hyperschallraketen Russlands und vieles über die neuste Hyperschallrakete ist geheim. Es existiert kein öffentlich zugängliches Bildmaterial, über die Leistungsdaten wird spekuliert.
Maximalgeschwindigkeit von acht bis neun Mach: «3K22 Zirkon» kann nach russischen Angaben auf bis zu 8000 bis 9000 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Sie erreicht eine Höhe von 28 km, hat eine Reichweite von mehr als 500 Kilometer und dient in erster Linie zur Schiffsbekämpfung. Wegen ihrer extrem hohen Geschwindigkeit ist die Hyperschallrakete von der Flugabwehr praktisch nicht aufzuhalten.
Desinformationen zur Rakete: Der Entwicklungsstand der «Zirkon» unterliegt seit dem Projektstart einer ausgeprägten Desinformationskampagne. So hiess es aus Moskau bereits 2017, dass sich die Rakete im Bestand der russischen Streitkräfte befinde. Anfang 2019 verkündete Wladimir Putin, die Einführung der «Zirkon» stehe unmittelbar bevor, im Januar 2020 meldete der Oberbefehlshaber der russischen Marine, die «Zirkon» leide immer noch an «Kinderkrankheiten» und dass er nicht mit der Einführung des Systems bis Mitte der 2020er-Jahre rechne. Im Oktober 2020 vermeldete die russische Nachrichtenagentur TASS schliesslich, dass von der Fregatte Admiral-Gorschkow eine Zirkon-Rakete gestartet wurde.
Gemäss russischen Angaben ist es im März 2022 in der Südwestukraine zu einem Einsatz der Hyperschallrakete «Kinschal» gekommen. Laut dem russischen Verteidigungsministerium wurde dabei ein unterirdisches Waffenlager zerstört. Im Westen wird mittlerweile auch davon ausgegangen, dass die «3K22 Zirkon» operationell ist.
* Dies ist eine aktualisierte Version von 11:57 Uhr
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