Sissach BL«Wollen Sie die Kinder wie Vieh festhalten lassen?»
Im Kanton Baselland könnte eine Masernimpfung erstmals mit polizeilichem Zwang vollstreckt werden. Dagegen protestierten am Donnerstag über 100 Personen vor der Sissacher Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde.
Darum gehts
Über 100 Personen haben in Sissach an einer Mahnwache gegen die drohende «Zwangsimpfung» zweier Buben teilgenommen.
Das Bundesgericht hatte auf Basis der BAG-Empfehlung die Masernimpfung der Buben angeordnet, nachdem sich die Eltern nicht einig geworden waren und deswegen den Rechtsweg beschritten hatten.
Die polizeiliche Durchsetzung des Entscheids könnte bereits am Freitag passieren, dann läuft die Frist ab, die der Mutter gesetzt wurde.
Im Baselbiet könnte am Freitag der behördliche Vollzug einer rechtskräftig angeordneten Masernimpfung polizeilich vollstreckt werden. Das wäre ein schweizweit beispielloser Vorgang. Vor der Sissacher Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, die den rechtskräftigen Entscheid durchzusetzen hat, versammelten sich am Donnerstag über 100 Personen zu einer Mahnwache, um gegen die «Zwangsimpfung» zu protestieren. In Telegram-Gruppen hatten sie seit Tagen mobilisiert. Auf der Sissacher Hauptstrasse marschierten auch die Freiheitstrychler und andere Exponenten aus Kreisen der Corona-Massnahmengegner auf.
Auf Telegram kursiert auch ein Brief der Kindesmutter an den behandelnden Arzt, der die Masernimpfung am Freitag vollziehen soll. Darin äussert sie die Befürchtung, dass die Kinder von der Polizei angeliefert und dann «wie Vieh» festgehalten würden. «Geben Sie mir die Chance in einem Vorgespräch, die Situation so menschlich wie möglich und so wenig traumatisierend wie möglich zu gestalten», bittet sie den Arzt.
Eltern konnten sich nicht einigen, Bundesgericht entschied
Die Mahnwache in Sissach gründet auf einem aufsehenerregenden Bundesgerichtsurteil. Zwei Jungen sollen gegen Masern geimpft werden, das hat das oberste Schweizer Gericht per Entscheid entschieden. Während des Scheidungsverfahrens des Elternpaares 2019 hatte der Kindesvater beantragt, dass das Gericht über die Streitfrage der beiden Eltern entscheiden solle, berichtete die «Basler Zeitung». Gegen diesen Entscheid wehrte sich die Mutter der beiden Buben. Das Gericht lehnte das Anliegen des Vaters mehrfach ab, im Jahr darauf nahm sich das Bundesgericht der Frage an und entscheid, dass bei einer Patt-Situation der Eltern die BAG-Empfehlung zum Tragen komme.
Der Bundesgerichtsentscheid ist ein Paradigmenwechsel. In der Schweiz galt bisher: Sollten nicht beide Elternteile mit einer Impfung einverstanden sein, so werden die Kinder nicht geimpft. In seinem Urteil erkennt das Gericht in diesem Fall eine Kindeswohlgefährdung bei einer Nichtimpfung. Eine behördliche Anordnung der Masernimpfung, gemäss Empfehlung des Bundesamts für Gesundheit, sei für die heute Acht- und Zehnjährigen «grundsätzlich angezeigt», urteilte das Lausanner Gericht, so die BaZ. Eine Zwangsimpfung, die mit Polizeieinsatz durchgesetzt werden könnte, wäre ein Novum in der Schweiz. Dem BAG seien bisher keine vergleichbaren Fälle bekannt.
Regierung kommentiert Gerichtsentscheid nicht
Mit dem Fall musste sich am Donnerstag auch die Baselbieter Kantonsregierung befassen. Diese äusserte sich im Rahmen einer Interpellation von Grünen-Landrätin Laura Grazioli zum Fall. Die zuständige Sicherheitsdirektion ging allerdings nicht materiell auf die Fragen der Politikerin ein, die von der Regierung wissen wollte, wie sie dazu stehe, dass polizeiliche Gewalt zur Durchsetzung des Impf-Entscheids angedroht wurde.
Die Sicherheitsdirektion verweist auf die Zuständigkeit der Gerichte beziehungsweise der Kesb in diesem Einzelfall. Ausserdem äussere sich der Regierungsrat nicht zur Rechtsanwendung im Einzelfall und der Regierungsrat kommentiere auch keine Gerichtsentscheide.
Hast du Probleme mit deinen Eltern oder Kindern?
Hier findest du Hilfe:
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61
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