Die Politik rechnet mit dem BAG ab

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«Vermasselte Impfstoffbeschaffung»Die Politik rechnet mit dem BAG ab

Bürgerliche fordern, dass die Impfstoffbeschaffung des BAG untersucht wird. Die SVP macht BAG-Vize Nora Kronig persönlich für die schleppende Impfkampagne verantwortlich.

Aeschi hat im Parlament eine Reihe von Fragen eingereicht, in denen er voll auf BAG-Impfchefin Nora Kronig zielt, die die Beschaffung «vermasselt» habe.
«Zum heutigen Zeitpunkt könnten in der Schweiz ähnlich viele Menschen wie etwa in Israel oder in den USA geimpft sein», sagt SVP-Nationalrat Thomas Aeschi.
FDP-Nationalrat Marcel Dobler findet, der Bundesrat müsse die zögerliche Impfstoffbeschaffung erklären.
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Aeschi hat im Parlament eine Reihe von Fragen eingereicht, in denen er voll auf BAG-Impfchefin Nora Kronig zielt, die die Beschaffung «vermasselt» habe.

Darum gehts

  • SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi wirft BAG-Impfchefin Nora Kronig eine «vermasselte Impfstoffbeschaffung» vor.

  • Auch bürgerliche Politiker verstehen nicht, warum die Schweiz mit einigen Herstellern noch keine Verträge abgeschlossen hat.

  • Eine linke Politikerin verteidigt das BAG: Die Sicherheitsaspekte seien ebenso wichtig wie das Impftempo.

Drei Monate nach dem Start der Impfkampagne sind knapp vier Prozent der Schweizer Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Für SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi ist die Schweiz unnötig im Hintertreffen.

«Zum heutigen Zeitpunkt könnten in der Schweiz ähnlich viele Menschen wie etwa in Israel oder in den USA geimpft sein», sagt der Nationalrat. Aeschi beruft sich dabei auf Quellen aus Kreisen von Impfstoff-Herstellern, die er gegenüber 20 Minuten nicht offenlegt. «Wie ich erfahren habe, wurde dem Bund massiv mehr Impfstoff angeboten, den der Bund jedoch ablehnte.» Konkret soll die Schweiz im Dezember ein Angebot von Pfizer/Biontech über mehrere Millionen Dosen abgelehnt haben.

Frage nach «diskriminiertem» Impfstoff

Aeschi fordert nun vom Bundesrat erneut Erklärungen, nachdem im Februar schon zu reden gab, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein russisches Angebot für den Impfstoff Sputnik V ignoriert hatte. Aeschi hat im Parlament eine Reihe von Fragen eingereicht, in denen er voll auf BAG-Impfchefin Nora Kronig zielt, die die Beschaffung «vermasselt» habe. Mit der Ablehnung des Angebots habe sie den Lockdown zum Schaden der Schweiz verlängert. Weiter hält er Kronig vor, mit der Impfstoffbeschaffung gezögert zu haben. Die USA habe mit Moderna bereits im März 2020 Verträge abgeschlossen, die Schweiz erst im August.

Auch will er wissen, warum Kronig die Vektor-Impfstoffe von Johnson & Johnson «diskriminiert» – die Schweiz habe weder Lieferverträge abgeschlossen noch den Impfstoff zugelassen. Und er fragt, ob sie einseitig auf den in Visp VS von Lonza produzierten Moderna-Impfstoff setzte, weil sie Walliserin sei. Am Mittwoch sagte Kronig zu «Blick», dass das BAG beschlossen habe, auf den Impfstoff von Johnson & Johnson zu verzichten. Sie begründet dies mit einer für die Schweiz zu späten Lieferung und den Fokus auf MRNA-Impfstoffe, die eine höhere Wirksamkeit aufwiesen.

Bundesrat solle Beschaffung erklären

Auch FDP-Nationalrat Marcel Dobler stellen sich bei der Schweizer Impfstoffbeschaffung viele Fragen: «Was sind die Gründe, warum andere Länder schneller an Impfdosen kommen, obwohl die Schweiz 99 Prozent ihrer Produktion exportiert?» Erweise sich der Vorwurf der abgelehnten Impfdosen als wahr, müssten die Gründe dafür sauber aufgearbeitet und kommuniziert werden. «Auch grundsätzlich finde ich, dass der Bundesrat die zögerliche Impfstoffbeschaffung erklären sollte.»

Ruth Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrats, hat ein gewisses Verständnis für die Vorwürfe. «Man kann sich schon fragen, warum wir zum Beispiel noch keine Verträge mit Johnson & Johnson abgeschlossen haben», so die Mitte-Nationalrätin. Die Geschäftsprüfungskommission sollte die Impfstoffbeschaffung unter die Lupe nehmen. Die Attacke auf Nora Kronig sei aber unangebracht. «Anstatt auf Personen zu schiessen, müsste man, wenn schon, die Behörde in die Pflicht nehmen.»

«Hoch gewichtete Sicherheitsaspekte»

Andere Gesundheitspolitiker verteidigen hingegen das BAG – zumal Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch via Twitter die Bestellung von weiteren drei Millionen Impfdosen verkündete. «Wie üblich macht Herr Aeschi ein Theater mit faktenfreien Schuldzuweisungen», sagt SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen. Das Parlament habe sich bewusst gegen eine Notzulassung bei den Impfstoffen entschieden. «Dass die Schweiz nebst dem Tempo auch Sicherheitsaspekte hoch gewichtet, ist für die Akzeptanz der Impfung sinnvoll.»

Bei der Impfstoffbeschaffung ist laut der Politikerin auch viel vom Glück abhängig. Das BAG habe mit der diversifizierten Beschaffungsstrategie den richtigen Weg gewählt. «Ein Grund für die Lieferengpässe liegt natürlich auch beim harten Patentschutz.»

Das BAG nahm am Mittwoch keine Stellung. Man nehme die Fragen von Nationalrat Aeschi zur Kenntnis, schreibt eine Sprecherin. Kronig selbst sagte diese Woche, dass die Impfkampagne Fahrt aufnehme. Sie sei zuversichtlich, bis Ende Juni seien alle Personen in der Schweiz, die sich impfen lassen wollten, auch geimpft. «Wir müssen uns bewusst sein, dass wir bei den schnellsten Ländern auf der Welt sind.»

Impfkampagne Schweiz

Die Schweiz hat bei fünf Impfstoffherstellern bisher über 32 Millionen Dosen Impfstoff bestellt. Stand 7. März sind rund 1’300 000 Dosen eingetroffen. 950’000 Dosen wurden verabreicht. 330’000 Personen sind vollständig geimpft. Andreas Faller, Anwalt für Gesundheitsrecht und Ex-Vizedirektor des BAG, beschäftigt die Impfdebatte. «Industriekreise zeigten sich schon im Herbst/Winter sehr erstaunt darüber, dass die Schweiz mit dem Impfen nicht in die Gänge kam.» Den Grund dafür sieht er in der Organisation des BAG. «Das BAG hat tolle Fachleute, aber sie sind keine Krisenmanager.»

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