SynhelionSchweizer Start-up macht Fliegen umweltfreundlicher
Gehört Flugscham bald der Vergangenheit an? Die Schweizer Firma Synhelion arbeitet daran, Treibstoff aus Sonnenenergie herzustellen. Kürzlich hat das ETH-Spin-off seine erste industrielle Anlage eingeweiht.
Darum gehts
Gemäss WWF ist die Luftfahrt die grösste Verursacherin von Treibhausgasen in der Schweiz.
Dem Schweizer Start-up-Unternehmen Synhelion ist im Juni ein grosser Schritt in Richtung nachhaltigeres Fliegen gelungen: Es hat die weltweit erste industrielle Anlage zur Herstellung von Solartreibstoffen eingeweiht.
«Unser Ziel ist es, bis 2040 die Hälfte des europäischen Bedarfs an nachhaltigen Flugtreibstoffen zu decken», sagt Mediensprecherin Carmen Murer.
Nächstes Jahr soll im sonnigen Spanien die erste kommerzielle Anlage gebaut werden. Die Swiss will Erstabnehmerin des Treibstoffs werden, der rund 85 Prozent weniger Emissionen verursacht als herkömmliches Kerosin.
«Die Welt steht erst am Anfang der Energiewende», sagt Carmen Murer. Jede Person könne viel bewirken, indem sie sich überlegt, was sie selbst dazu beitragen möchte.
Stell dir vor, du fliegst einmal mit einem Flugzeug um die ganze Welt, das die Sonne im Tank hat. Das Schweizer Unternehmen Synhelion arbeitet daran, das wahr werden zu lassen. Ihre Solartreibstoffe stossen rund 85 Prozent weniger CO2 aus als konventionelles Kerosin.
Die Schweizerinnen und Schweizer legen im Durchschnitt deutlich mehr Flugkilometer zurück als ihre Nachbarn und Nachbarinnen. Diese Reiselust geht auf Kosten der Umwelt: Gemäss WWF ist die Luftfahrt die grösste Verursacherin von Treibhausgasen in der Schweiz.
Umweltfreundlicher Treibstoff aus Sonnenenergie
Synhelion ist ihrem Ziel im Juni einen grossen Schritt näher gekommen: Das Start-up weihte im deutschen Jülich die weltweit erste industrielle Anlage zur Produktion von Solartreibstoffen ein. US-Medien wie «National Geographic» berichteten und die CCO der Swiss, Heike Birlenbach, sowie das deutsche Verkehrsministerium waren vor Ort, um diesem wohl historischen Moment beizuwohnen.
In der Anlage richten sich unzählige Spiegel nach der Sonne aus, um ihr Licht auf einen 20 Meter hohen Turm zu reflektieren. An der Spitze des Turms werden die Sonnenstrahlen gebündelt und in einem komplexen Prozess in synthetisches Rohöl umgewandelt. Dieses Rohöl kann wiederum raffiniert und als Treibstoff für Flugzeuge oder auch Schiffe, Lastwagen und Autos verwendet werden.
«Wir kehren im Grunde den Verbrennungsprozess um», erklärt Synhelion-Mediensprecherin Carmen Murer im Gespräch mit 20 Minuten. Bei der Verbrennung von Kerosin, Benzin oder Diesel entsteht Wärme, die einen Motor antreibt. Als Nebenprodukte entstehen die Abgase CO2 und Wasserdampf. «In unserem Prozess nutzen wir CO2 und Wasserdampf und fügen die Wärme der gebündelten Sonnenstrahlen hinzu», sagt Murer. «Die Sonne liefert so die nötige Energie, um flüssigen Treibstoff herzustellen.»
Was das Produkt für die Industrie besonders interessant macht: Das synthetische Rohöl von Synhelion kann mit derselben Infrastruktur transportiert und verarbeitet werden wie fossiles Erdöl. Die Swiss hat sich bereits als Erstabnehmerin platziert. Weitere Unternehmen haben sich in die Warteschlange eingereiht.
Mini-Raffinerie auf dem ETH-Dach
Seit über einem Jahrzehnt arbeiten Forschende der ETH an der Idee, Sonnenenergie zur Herstellung von Treibstoff zu nutzen. Während seines Bachelors an der ETH Zürich besuchte Philipp Furler zusammen mit seinem Dozenten Aldo Steinfeld das Paul-Scherrer-Institut. Ein prägender Moment: Er sah, wie gebündeltes Sonnenlicht einen Keramikblock innert Sekunden zum Schmelzen brachte. Keramik schmilzt bei Temperaturen ab 1000 Grad Celsius.
«Seine Augen leuchten heute noch, wenn er davon erzählt», sagt Carmen Murer. Furler beschloss, sich als Forscher der Kraft der Sonne zu widmen. 2016 schloss er sich mit Gianluca Ambrosetti, der schon länger in der Solarindustrie tätig war, für ein Projekt zusammen. 2018 wurde daraus ein ETH-Spin-off. «Und 2019 ging es richtig los», sagt Carmen Murer: Auf dem Dach der ETH wurde die erste solare Mini-Raffinerie präsentiert. Die Raffinerie bewies, dass der entwickelte Prozess das Potenzial hat, mehr Treibstoff zu produzieren – viel mehr Treibstoff. Die Produktionsmenge lag damals bei gerade einmal einem Deziliter pro Tag.
Ein Tropfen auf den heissen Stein?
Ein Wort, das immer wieder fällt, wenn man mit Synhelion spricht: Impact. Dabei produziert auch die Anlage, die das Start-up im Juni eingeweiht hat, erst ein paar Tausend Liter synthetisches Rohöl pro Jahr. Im Jahr 2023 verbrauchte die kommerzielle Luftfahrt 291 Milliarden Liter Treibstoff. Ist die Arbeit von Synhelion also nur ein Tropfen auf den heissen Stein? Nein, betont Mediensprecherin Carmen Murer: «Wir wollen eine echte Wirkung erzielen.»
Sie führt aus: «Unser Ziel ist es, bis 2040 die Hälfte des europäischen Bedarfs an nachhaltigen Flugtreibstoffen zu decken.» Nächstes Jahr soll in Spanien die erste kommerzielle Anlage gebaut werden, die bald rund 1,25 Millionen Liter Treibstoff pro Jahr produzieren wird. Weitere Anlagen an sonnenreichen Standorten rund um den Globus sollen folgen und in zehn Jahren über eine Milliarde Liter Treibstoff pro Jahr produzieren.
«Mittelfristig werden wir nicht mehr selbst Anlagen bauen und betreiben, sondern als Technologie- und Lizenzprovider auftreten», betont Murer dabei. Es sei wirkungsvoller, den grossen Energiekonzernen die Technologie zu liefern, die diese dann betreiben. Der Grund: Würde Synhelion alle Anlagen selbst betreiben, würde die Umstellung auf nachhaltigen Treibstoff viel länger dauern – und der Impact wäre geringer.
«Man muss einfach irgendwo anfangen»
Synhelion will die Welt verändern. Wo aber kann der Durchschnittsschweizer und die Durchschnittsschweizerin ansetzen? «Man darf nicht resignieren, man muss einfach irgendwo anfangen», sagt Carmen Murer. «Die Welt steht erst am Anfang der Energiewende.» Jede Person könne viel bewirken, indem sie sich überlegt, was sie selbst dazu beitragen möchte.
«Vielleicht findet man sogar einen Weg, im Beruf nachhaltiger zu sein», so Murer. «Seit ich bei Synhelion arbeite, sehe ich die Zukunft viel positiver. Ich arbeite an Lösungen mit und sehe, wie viel getan wird.»
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