App geht steil«Das ist ein echter Brocken»: Temu gräbt dem Handel Milliarden ab
Der China-Shop schüttelt den Markt durch. Schweizer Händler fordern Massnahmen beim Seco für gleich lange Spiesse.
Temu in der Schweiz: Darum gehts
Der Online-Marktplatz mit China-Ware floriert.
Der Umsatz von Temu dürfte dieses Jahr auf etwa 600 Millionen Franken klettern, fast doppelt so viel wie im Vorjahr.
Der Handel wehrt sich derweil mit einer weiteren Beschwerde beim Seco.
Temu flutet die Welt mit Billigprodukten. Der Konzern hinter Temu namens PDD verdrängt den Koloss Alibaba als zweitgrösstes chinesisches Onlineunternehmen hinter Tencent. Der Umsatz kletterte vergangenes Jahr um 90 Prozent auf umgerechnet über 30 Milliarden Franken.
Auch in der Schweiz ist Temu der am schnellsten wachsende Onlineshop. Derweil gehen Läden wie Depot und Esprit reihenweise pleite, weil sie mit den Billigpreisen nicht mithalten können.
So funktioniert das Temu-Business
Auf dem Online-Marktplatz gibt es Waren zu Spottpreisen und mit saftigen Rabatten von chinesischen Händlern. Temu erklärt seinen Erfolg mit dem Modell mit Produkten direkt ab der Fabrik, das den Zwischenhändler ausschaltet. Die Produkte kommen vor allem über belgische und niederländische Flughäfen in Europas Zwischenlager und von dort mit Lastwagen. Temu wirbt mit kostenloser Lieferung und Retouren.
Temu nimmt von den Verkäufen eine kleine Provision. Das grosse Geschäft macht die Firma aber mit der Werbung, die Shops auf der App platzieren. Temu macht wiederum mit massiver Werbung in sozialen Medien, aber auch im TV wie während der Fussball-EM auf sich aufmerksam.
Laut Detailhandelsexperte Hans-Peter Kruse braucht Temu als Plattform keinen grossen Aufwand und deshalb auch nur wenig Marge. Ausserdem seien die Produkte zwar meist billig, doch für viele müsse, beispielsweise ein Fasnachtskleid, nicht lange halten. Ausserdem sei die Firma unglaublich kundenfreundlich.
Temu mit 600 statt 350 Millionen Franken Umsatz?
Mit dem Marktstart im Frühling vergangenen Jahres erzielte Temu geschätzte 350 Millionen Franken Umsatz in der Schweiz und war 2023 der neuntgrösste Onlineshop.
Dieses Jahr könnte der Umsatz bereits auf 600 Millionen Franken steigen, schätzt Kruse. «Das Problem dabei sind aber nicht die 600 Millionen, sondern zwei Milliarden Franken, die dem Handel entgehen, weil die Produkte so viel günstiger sind. Das ist ein echter Brocken», so Kruse. Mit 600 Millionen Franken wäre Temu im vergangenen Jahr der sechstgrösste Onlineshop der Schweiz gewesen, mit zwei Milliarden der grösste Onlineshop.

Temu lockt mit Rabatten und Gratisversand.
IMAGO/Guido SchieferMenschenrechtler prangern die Arbeitsbedingungen an, Konsumentenschützer warnen vor Produkten mit gefährlichen Weichmachern oder gefälschten Sicherheitskennzeichnungen. Temu verweist jeweils auf strenge Sicherheitsstandards.
Läden laufen Sturm gegen Temu
Jetzt wehren sich die Schweizer Händler. Die Branchenvereinigung Handelsverband.swiss reichte Ende Juli eine achtseitige Beschwerde gegen Temu beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein, wie die «Handelszeitung» berichtet.
Zuvor reichte bereits im Mai ein anderer Detailhandelsverband Beschwerde beim Seco mit ähnlichen Vorwürfen ein. Darauf reagierte ein Temu-Anwalt und bot an, bestimmte Handlungen zukünftig in der Schweiz zu unterlassen.

Das Seco erhielt bereits die zweite Beschwerde gegen Temu.
20min/Simon GlauserDas zeige, dass sich nur mit Druck etwas ändert, sagt Bernhard Egger vom Handelsverband.swiss zu 20 Minuten. Er fordert gleich lange Spiesse von Schweizer und ausländischen Händlern. «Es kann nicht sein, dass Temu keine Produkthaftpflicht übernimmt», sagt Egger.
Gemäss den AGB von Temu müssten Kundinnen und Kunden sich im Schadensfall an die Händler in China wenden. «Das ist bei Retouren kein Problem, aber wenn das Haus wegen eines defekten Akkus brennt, ist der Händler nicht erreichbar und die Versicherung macht Probleme», so Egger.
Der Verband stört sich auch daran, dass Temu laut Egger unerlaubte Werbung mit Dauerrabatt und begrenzten Stückzahlen macht, wofür Schweizer Händler gebüsst würden. Ausserdem zahle Temu keine vorgezogene Recyclinggebühr, keine Mehrwertsteuer und lasse die Produkte nicht zertifizieren.
Millionen von Paketen kontrollieren?
FDP-Nationalrat und Digitec-Mitgründer Marcel Dobler sagt, er könne die berechtigten Forderungen nachvollziehen, dass sich die Händler unfair behandelt fühlen. «Doch selbst die Empfänger wissen meist nicht, von welchem Händler die Pakete kommen. Manuelle Kontrollen oder Einfuhrverbote für Millionen von Sendungen sind jedoch keine praktikable Lösung», sagt Dobler.
Er wünscht sich eine internationale Regelung vom Weltpostverband oder einen konstruktiven umsetzbaren Lösungsvorschlag der Händler, der umzusetzen wäre, statt nur ein nicht lösungsorientierter Problembeschrieb. «Dann wäre die Politik und ich sehr interessiert, diesen Misstand zu beseitigen.», sagt Dobler.
Seco ist erstmals an China-Plattform dran
Das Seco bestätigt den Austausch mit der Firma. Doch der Fall ist laut Sprecher Fabian Maienfisch herausfordernd, weil Temu keinen Sitz in der Schweiz hat. Deshalb könne das Seco Massnahmen wie ein Verkaufsverbot nicht verfügen.
Ist die Schweiz zu lasch bei Produktimporten?
Der Prozess könne noch länger dauern. Die Seco-Rechtsabteilung habe es das erste Mal mit einer Onlineplattform zu tun, die einem chinesischen Unternehmen zuzuordnen sei.
Allerdings gründete der Konzern hinter Temu mit der Firma Whaleco Switzerland zu Jahresbeginn einen Sitz in Basel. Temu könnte sich also bald offiziell in der Schweiz niederlassen und wäre dann greifbar für das Seco. Die Firma bestätigt gegenüber der Handelszeitung die Gespräche mit Interessenvertretern.
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