«Verzerrung der Tatsachen»?Lega-Nationalrat will Ukraine für «Angriffskrieg» sanktionieren
Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri möchte vom Bundesrat wissen, ob nach dem ukrainischen Gegenangriff in der Region Kursk nicht auch die Ukraine sanktioniert werden müsse: Immerhin führe jetzt auch die Ukraine einen Angriffskrieg. Von Ratskollegen hagelt es Kritik.
Darum gehts
Am 6. August 2024 sind ukrainische Truppen in der Region Kursk auf russisches Staatsgebiet vorgedrungen.
Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri fragt den Bundesrat, ob die Ukraine für diesen «Angriffskrieg» mit Sanktionen überzogen werden müsste.
Quadri verweist dabei auf die Neutralität und stösst Ratskollegen vor den Kopf – selbst in der eigenen Fraktion.
Der Völkerrechtler erklärt, dass der russische Einmarsch in der Ukraine und der ukrainische Einmarsch in Russland keineswegs gleichzusetzen seien.
Wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 hat der Bundesrat beschlossen, das Sanktionsregime der Europäischen Union zu übernehmen.
Seither hat sich der Frontverlauf verändert: Am 6. August 2024 sind ukrainische Truppenverbände in der Region Kursk kilometerweit in russisches Staatsgebiet vorgestossen – gemäss Wolodimir Selenski mit der Absicht, russische Angriffe auf grenznahe Gebiete zu verhindern.
«Ukrainischer Angriffskrieg in Russland»
Für Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri ist die ukrainische Gegenoffensive der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – in einer Interpellation verlangt der Tessiner vom Bundesrat Antworten: Wäre es nach dem ukrainischen Gegenangriff nicht angebracht, auch gegen die Ukraine entsprechende Sanktionen zu erlassen?

SVP-Ständerat Marco Chiesa (links im Bild) mit Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri bei der Einreichung der Unterschriften für die Halbierungsinitiative. (Archivbild)
20min/Michael ScherrerAls Begründung führt Quadri ins Feld, dass der Gegenangriff ebenfalls als «Angriffskrieg» bezeichnet werden könne – und entsprechend eine vergleichbare Verletzung des Völkerrechts vorliege. Damit möchte er die Neutralität der Schweiz hochhalten.
«Völkerrechtlich gedeckt»
Völkerrechts-Professor Andreas Müller von der Universität Basel erklärt dazu: «Russland führt einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine – damit verletzt es das Gewaltverbot gemäss UNO-Charta in eklatanter Weise.»
Völkerrechtlich sei Russland in diesem Konflikt daher als Angreifer, die Ukraine wiederum als Angegriffener zu verstehen, so Müller: «Der Angegriffene darf sich mit allen verfügbaren, verhältnismässigen Mitteln zur Wehr setzen – auch mit Waffengewalt.»

Für Völkerrechts-Professor Andreas Müller von der Universität Basel sind die beiden Handlungen auf keinen Fall vergleichbar. (Archivbild)
PrivatPrinzipiell sei die Verhältnismässigkeit der Verteidigung vom Angriff abhängig, erklärt Müller weiter: «Je gravierender der Angriff, desto konsequenter darf die Verteidigung ausfallen.»
Ob im Zuge dieser Verteidigung die Staatsgrenze zum Angreifer verletzt werde, sei aus völkerrechtlicher Perspektive nicht von Bedeutung – solange die Verhältnismässigkeit eingehalten werde. «Es ist nicht so, als wäre damit automatisch eine rote Linie überschritten. Angesichts des Umfangs des russischen Angriffskriegs sind ukrainische Angriffe auf militärische Ziele auf russischem Territorium völkerrechtlich gedeckt», betont Müller.
«Bagatellisierung des russischen Angriffs»
Mit seiner Fragestellung stösst Quadri selbst in der eigenen SVP-Fraktion auf Widerstand. «Eine Ausweitung der Sanktionen halte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht für zielführend», sagt SVP-Aussenpolitiker Lukas Reimann.

Bilder der Frühjahrsession 2024 im Bundeshaus. Im Bild: Lukas Reimann (SVP). Aufgenommen am 28.02.2024.
20min/Matthias SpicherZwar könne man durchaus hinterfragen, ob die Sanktionen die gewünschte Wirkung erzielen – «trotzdem sollten jetzt Deeskalation und rasche Friedensverhandlungen im Vordergrund stehen und nicht Schuldzuweisungen oder neue Sanktionen».
Auch GLP-Nationalrätin Corina Gredig kritisiert die Quadri-Interpellation: «Der ukrainische Gegenangriff kann nicht mit dem russischen Angriffskrieg gleichgesetzt werden», sagt die Zürcherin.
Verfolgst du die Ereignisse im Ukraine-Krieg?
Gredig distanziert sich von der «Bagatellisierung» des russischen Angriffes: «Neutralität bedeutet nicht, die Augen vor Aggressionen zu verschliessen.» Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri war nicht für eine Stellungnahme zu seiner Interpellation erreichbar.
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