«Viele Menschen wachen auf»Studis gegen Serbiens Regierung – was steckt hinter den Massenprotesten?
Solche Massenproteste sah Serbien zuletzt in den 90ern. Auslöser war ein Unglück am Bahnhof von Novi Sad mit 15 Toten. Doch jetzt geht es den Menschen um mehr.
Darum gehts
In Serbien demonstrieren Zehntausende gegen Korruption und Vertuschung.
Auslöser war ein tödliches Unglück in Novi Sad mit 15 Toten.
Studierende sind die treibende Kraft hinter den Massenprotesten.
In der Bevölkerung ist der Rückhalt für sie enorm.
Präsident Aleksandar Vucic steht unter Druck.
Rücktritte und Festnahmen haben den Ärger im Volk nicht mindern können.
Was ist passiert?
Vor drei Monaten stürzte im Bahnhof von Novi Sad ein Teil des Dachs ein und tötete 15 Menschen. In der zweitgrössten Stadt Serbiens sind deshalb Zehntausende auf die Strasse gegangen. Die Demonstranten blockierten am Samstag drei wichtige Brücken über die Donau. Eine davon sollte 24 Stunden besetzt werden.
Seit dem Unglück finden im Land fast täglich Demonstrationen statt. Es sind die grössten Proteste seit den 1990er-Jahren, die einst zum Sturz Slobodan Milosevics führten. Am Dienstag trat Ministerpräsident Milos Vucevic zurück. Der Schritt besänftigte die Massen ebenso wenig wie die Festnahme von Bauminister Goran Vesic oder Rücktritte anderer Minister.
Was ist der Grund für die Proteste?
Die Protestierenden geben der Regierung und dem Staatsapparat eine Mitschuld an dem tödlichen Unglück. Behörden und Justiz hätten bei der Ursachensuche nicht für Transparenz gesorgt. Die Rede ist auch von Korruption und Staatsversagen. Stasa Janbric (24) macht Präsident Aleksandar Vucic (54) für das Unglück verantwortlich: «Er versucht, die Geschehnisse zu vertuschen, aber viele Menschen wachen auf», so die Ingenieurstudentin zu «Le Monde».
Wer sind die Akteure?
Studenten und Studentinnen sind die treibende Kraft der Proteste. Hunderte junge Leute aus Belgrad liefen zu Fuss zum Protest in das 80 Kilometer entfernte Novi Sad. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm: Bei ihren Stopps wurden die Studierenden begeistert empfangen und verpflegt, und Tausende protestieren mit ihnen – alles in allem eine neue Form der seit Monaten andauernden Massenproteste.
Was wollen die Demonstrierenden?
In erster Linie eine lückenlose Aufarbeitung des Unfalls in Novi Sad. Die Studierenden fordern zudem «Freiheit für unsere Kommilitonen und Mitbürger, die mit uns protestiert haben». Die Verantwortlichen für die Bahnhofstragödie von Novi Sad dürften nicht straflos davonkommen – «ebenso wenig wie die Beamten, die Studierende und Mitbürger bei den Strassenblockaden angefahren und geschlagen haben.» Das brutale Vorgehen von Polizei und Sicherheitskräften gegen Protestierende erzürnt viele.
Ist ihr Ärger gerechtfertigt?

Serbiens Präsident Aleksandar Vusic und der mittlerweile zurückgetretene Premierministers Milos Vucevic.
AFPDie Proteste richten sich inzwischen generell gegen die weitverbreitete Korruption im Land. Bestechlichkeit und Intransparenz gelten nicht nur bei Bauprojekten als weit verbreitet. Präsident Alekander Vucic spielt dabei offenbar eine zentrale Rolle.
Unter ihm seien in Serbien «Gangster zu einem virtuellen Arm des Staates» geworden, schreibt die «New York Times». Der 54-jährige ehemalige Hooligan kontrolliere mittlerweile «fast jeden Aspekt» des öffentlichen Lebens. Parlament, Gerichte, Polizei und Wirtschaft behandelten mit «katzbuckelnder Ehrerbietung», wohingegen Serben, «die ihm in die Quere kommen, ihr Leben riskieren».
Wie reagieren Vucic und die Regierung?
Der zurückgetretene Premier Vucevic rief Anhänger der Regierungspartei und andere Gegner der Proteste auf, sich den Demonstrierenden nicht zu nähern, um Zwischenfälle zu vermeiden.
Unterdessen steht Präsident Vucic vor der Entscheidung, einen neuen Premier zu ernennen oder Neuwahlen vorzuziehen. Er wirft den Demonstranten vor, von «ausländischen Kräften» unterstützt zu werden.
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