Deutlich mehr Opfer im ShutdownZehn Femizide in elf Wochen – Tötungsdelikte an Frauen verdoppelt
Das Jahr 2021 zählt erst elf Wochen und es gab bereits mindestens zehn Femizide – Gewaltdelikte, bei denen Frauen von Männern getötet wurden. Erst am Freitag hat in Bussigny VD ein Polizist seine Freundin umgebracht.
Darum gehts
Femizide häufen sich in den letzten Wochen.
Die Corona-Situation könnte ein Grund dafür sein – wenn sich Personen mehr zu Hause aufhalten, kommt es dort auch zu mehr Konfliktsituationen, vermuten Fachpersonen.
In der Schweiz stirbt im Schnitt alle zwei Wochen eine Frau infolge häuslicher Gewalt.
In den ersten elf Wochen dieses Jahres sind bereits rund ein Dutzend Femizide bekannt geworden sowie zwei versuchte Femizide.
Drei Femizide alleine in dieser Woche. Am Freitagnachmittag meldete ein Polizist (52), er habe in einer Wohnung in Bussigny VD seine Freundin umgebracht, ebenfalls am Freitag wird der Femizid an F. B. (44) in Schafisheim AG bekannt und am Montag wurde in Aeugst am Albis ein Ehepaar tot aufgefunden. Der 75-jährige Gatte soll seine 77-jährige Ehefrau erschossen und sich danach selbst gerichtet haben. Auch der Täter von Bussigny VD hat sich das Leben genommen. Der Täter von Schafisheim sitzt in Untersuchungshaft.
Seit Anfang Jahr zählt die Organisation Stop Femizid in der Schweiz zehn Fälle von vollzogenen Femiziden. Dazu zwei Versuche. Im Schnitt fand allein in den letzten elf Wochen ein vollendeter oder versuchter Femizid pro Woche statt. Zum Vergleich: Im gesamten 2020 wurden von der Organisation 16 vollendete Femizide und fünf Versuche gezählt. Stop Femizid weist darauf hin, dass die Auflistung nicht vollständig ist.
Mehr häusliche Gewalt
Die Tendenz einer Zunahme ist deutlich: Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik für die Jahre 2009 bis 2018 zeigen auf, dass alle zwei Wochen eine Frau durch häusliche Gewalt getötet wird. Betrachtet man die Zahlen seit Jahresbeginn, haben sich die Femizide 2021 fast verdoppelt.
Könnte das mit der Corona-Situation zusammenhängen? Schliesslich verbringen derzeit die meisten Personen in der Schweiz deutlich mehr Zeit in den eigenen vier Wänden als üblich. Diverse angefragte Fachstellen für Fragen zu Gewalt an Frauen wollten sich diesbezüglich nicht festlegen, da eine klare Datenbasis fehlt. «Das Bauchgefühl geht aber in diese Richtung», heisst es bei Fachpersonen.
Es sei bekannt, dass es etwa an Festtagen wie Weihnachten, wenn die Familien über mehrere Tage dicht aufeinander sitzen, vermehrt zu häuslicher Gewalt kommt. Das beobachtet auch die Kantonspolizei St. Gallen, welche Unterschiede feststellt, je nachdem, wie die Feiertage fallen. Fällt Weihnachten auf einen Samstag, wirkt sich das nicht auf häusliche Gewalt aus. Kommen die Festtage aber unter der Woche zu liegen, verlängere sich die gemeinsam zuhause verbrachte Zeit, was sich in einem Anstieg an Fällen von häuslicher Gewalt niederschlage.
Aufklärung und Prävention nötig
Für Sylke Gruhnwald von stopfemizid.ch ist klar, dass es im Bereich Femizid noch viel Präventions- und Aufklärungsarbeit braucht. Gewalt gegen Frauen werde noch viel zu oft als Privatsache betrachtet, dabei sei ein Femizid das Resultat von struktureller Gewalt, deren Ausgangspunkt in den patriarchalen Machtverhältnissen unserer Gesellschaft liege. Ausserdem stört sie sich daran, wenn bei Femiziden von Beziehungsdrama oder Familientragödie gesprochen wird. Die Begriffe sind verharmlosend.
Für einen Zusammenhang im Anstieg der Femizide im Jahr 2021 und der Tatsache, dass sich die Schweiz im Shutdown befindet, fehlten laut Gruhnwald noch «belastbare Daten und Untersuchungen». «Wichtig ist, dass man Femizid beim Namen nennt und dass klar wird, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt», so Gruhnwald.
Alliance F
«Schweiz hat Aufholbedarf»
Gewalt gegen Frauen ist auch ein politisches Thema: «In der Schweiz gibt es grossen Aufholbedarf», sagt Sophie Achermann, Geschäftsführerin des Frauendachverbands alliance F. Femizide seien ein grosses nationales Problem. Die Anzahl der Tötungsdelikte habe sich in den vergangenen Jahren auf hohem Niveau stabilisiert. «Wir erwarten nun aktive Massnahmen von der Politik. Wir müssen in Prävention, Sensibilisierung und Opferhilfe investieren, um etwas verändern zu können», sagt Achermann. Es brauche zudem eine langfristige Strategie, um jeder Frau finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen zu können.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Fachstelle Frauenberatung
Online- und Einzelchatberatung für Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder
Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Dargebotene Hand, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147