Baumwolle: Verbot würde Industrie vor Probleme stellen

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GreenpeaceDrohendes Baumwoll-Verbot: «Auf Plastik umzustellen, ist keine Lösung»

Die EU sagt nicht rezyklierbaren Textilien den Kampf an – darunter würde auch Baumwolle fallen. Aber ist das am Ende gar kontraproduktiv?

Baumwoll-Aus: Darum gehts

  • Die EU plant, nicht rezyklierbare Textilien zu verbieten, was auch Baumwolle betreffen könnte.
  • Baumwolle ist schwer zu recyceln, da die Fasern bei der Wiederverwertung verkürzt werden.
  • Greenpeace warnt vor einem Umstieg auf Plastiktextilien, die Mikroplastik freisetzen.
  • Experten betonen, dass Nachhaltigkeit das Hauptziel sein sollte, nicht nur die Kreislaufwirtschaft.

Weniger Plastik, mehr Kreislaufwirtschaft: Zwei Aspekte für eine nachhaltigere (Textil-)Wirtschaft, die intuitiv Hand in Hand gehen. Oder etwa doch nicht? Die Bestrebungen der EU, bis 2050 mittels komplett rezyklierbaren Textilien eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen, lassen zumindest daran zweifeln.

Die genauen Anhänge mit Grenzwerten und Recyclinganteilen werden innerhalb des nächsten Jahres zwar noch festgelegt, dennoch wird die nicht rezyklierbare Baumwolle bereits die Teilziele bis 2030 (50 Prozent Rezyklierbarkeit, 25 Prozent Kreislauffähigkeit) so in der Konsequenz nicht mehr erlaubt sein.

Baumwolle nicht rezyklierbar?

Die Baumwollfaser sei zu klein und zu schwach, um sie vollständig in ein zirkuläres Modell zu überführen, schreibt unter anderem das Mode-Newsportal «Fashion United». Tailorlux Geschäftsführer Tobias Herzog führt gegenüber 20 Minuten aus: «Baumwolle wird heute hauptsächlich mechanisch recycelt, dabei verkürzt sich die Faserlänge, was die erneute Verspinnung zu einem Garn nur mit Neuware ermöglicht.» Deshalb sei nur 20 Prozent Recycling von zurückgegebener Baumwollkleidung möglich, ohne dass der Tragekomfort von neuen Erzeugnissen leidet.

«Auf Plastik umzustellen, ist keine Lösung»

Folgt nun also Kreislaufwirtschaft auf Kosten von mehr Plastik in den Kleidern? 20 Minuten fragt bei der Umweltorganisation Greenpeace nach, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt.

Bei der NGO findet man zwar, die EU befinde sich grundsätzlich auf der richtigen Richtung. In Anbetracht der Gefahr, dass Plastiktextilien Baumwolle verdrängen könnten, gebe es allerdings ein grosses Aber: «Naturfasern gegen die Kreislaufwirtschaft auszuspielen, macht keinen Sinn», so Joëlle Hérin, Expertin für Konsumsysteme bei Greenpeace.

Es gehe dabei oft vergessen, dass kreislauffähige Textilien auch frei von Schadstoffen sein müssen. «Das spricht für Naturfasern wie Wolle und Baumwolle und gegen plastikbasierte Textilien.» Aus Gründen der rezyklierbarkeit auf Plastik umzustellen, wäre für Hérin dementsprechend keine Lösung.

Greenpeace sieht keinen Konflikt zwischen Naturfasern wie Baumwolle und der Kreislaufwirtschaft.
Greenpeace sieht keinen Konflikt zwischen Naturfasern wie Baumwolle und der Kreislaufwirtschaft.imago images/Geisser

«Mikroplastik wird ausser Acht gelassen»

Hérin sieht das Problem in der Methodik zur Ermittlung des ökologischen Fussabdrucks von Produkten. «In ihrer aktuellen Form lässt die Methodik Aspekte wie die Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt, oder Dauer der Nutzungszeit ausser Acht und muss verbessert werden.»

In einer Kreislaufwirtschaft werde eine angemessene Anzahl hochwertiger, langlebiger und reparierbarer Textilien hergestellt, die frei von Schadstoffen sind und am Ende ihres Lebenszyklus wiederverwertet werden können. Textilien natürlichen Ursprungs wie Wolle und Baumwolle, die vorzugsweise biologisch hergestellt werden, erfüllten nach Hérins Sicht diese Anforderungen.

«Erheblicher Fussabdruck bei Baumwolle»

André Bardow, ETH-Professor für Energie- und Prozesssystemtechnik und Experte im Bereich Recycling und Nachhaltigkeit, stellt auf Anfrage jedoch den reinen Fokus auf natürliche Textilien infrage. «Natürliche Stoffe sind nicht notwendigerweise umweltverträglicher als künstliche Stoffe.» Für Baumwolle sei etwa bekannt, dass sie einen erheblichen ökologischen Fussabdruck hat.

Grundsätzlich zeigten Studien zwar, dass die Stärkung der Kreislaufwirtschaft ein Schlüssel zur Nachhaltigkeit ist. Somit ist die Initiative der EU zu begrüssen. «In Sachen Kreislauf können wir viel mehr tun als heute – auch bei der Baumwolle», so Bardow. Doch: «Das Ziel sollte aber die Nachhaltigkeit sein und nicht die Kreislaufwirtschaft. Sie ist nur ein möglicher Weg.»

Innovationen nicht mehr gefragt?

Auch in der Schweiz denkt man über die Folgen der neuen Regelung nach. Erfahrungsgemäss übernimmt die Schweiz ja EU-Regelungen. Grosse Kleidermarken wie H&M gehen davon aus, dass die Umstellung auf Baumstoffalternativen aufgrund ihrer Produktion so oder so kommen werde. Kleinere Betriebe wie etwa Nikin tüfteln derweil längst an der Weiterentwicklung der Baumwolle.

Nikin-Mitgründer Nicholas Hänny, der eine Gesetzgebung in Richtung Nachhaltigkeit grundsätzlich begrüsst, warnt: Nicht zu vernachlässigen seien dabei aber Innovationen, wie jene der Firma Säntis, die an rezyklierbarer Baumwolle arbeiten.

Das Problem: Ist Baumwolle so kurzfristig nicht mehr erlaubt, sind diese Innovationen für die Katz. Und Hersteller müssten der Einfachheit halber auf plastikartige Textilien umsteigen, die einfacher zu recyceln sind und so die gesetzlichen Vorgaben auch nach 2030 erfüllen.

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Jan Janssen (jjn) arbeitet seit 2023 für 20 Minuten. Zuerst im Ressort Zürich und seit 2025 im Ressort News, Wirtschaft & Videoreportagen.

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