EU-RegelDas sagen Textilfirmen zum drohenden Baumwolle-Aus
Textilkönigin Baumwolle gerät mit einer neuen EU-Regel auf das Abstellgleis. Sie in wenigen Jahren zu ersetzen, ist allerdings schwer. 20 Minuten hat nachgefragt.
Baumwolle: Darum gehts
Die Gesetzgebung der EU in Sachen Nachhaltigkeit verbietet Textilherstellern indirekt die Verwendung von Baumwolle.
Während sich grosse Konzerne wie H&M oder Zara in vorauseilendem Gehorsam üben, tüfteln Schweizer Unternehmen an Alternativen.
Das Problem: In Sachen Tragekomfort und Preis ist Baumwolle bislang in ihrer Attraktivität ungeschlagen.
Die EU geht der Baumwolle an den Kragen: Bis 2030 sollen im Union-Raum ausschliesslich rezyklierte und nachhaltige Materialien für Kleidung verwendet werden. Das Problem: Branchenkönigin Baumwolle kann bei diesen Anforderungen nicht mithalten – und dürfte somit indirekt verboten werden.
Ob die Schweiz ähnliche Regeln übernehmen wird, ist unklar. Aber auch ohne Implementierung hätte ein EU-Verbot von Baumwolle auch hierzulande weitreichende Konsequenzen. Modeexperte und Designer Jeroen van Rooijen wagt die Prognose auf den Schweizer Markt bezogen: Die internationalen Moderiesen würden für das kleine Land wohl keine Ausnahme machen. Nur Schweizer Hersteller könnten dagegen rebellieren.
H&M und Zara machen mit
20 Minuten fragt selbst nach. Bei Inditex, der spanischen Firma hinter dem Zara-Label, heisst es, das Ziel sei es, bis 2030 nur noch Textilfasern mit einem geringen ökologischen Fussabdruck zu verwenden. Dabei setze man auf Stoffe, die zu 25 Prozent aus neuen Materialien bestehen, die allerdings «den kommerziellen Massstab noch nicht erreicht» haben. Mit über 300 Start-ups tüftle man tagtäglich an weiteren Lösungen.
Bei Fashion-Gigant Hennes & Mauritz (H&M) versichert eine Sprecherin, der Konzern würde bis 2030 ausschliesslich rezyklierte und nachhaltig gewonnene Materialien für die Kleider verwenden, dazu gehöre auch Baumwolle. H&M sei weiterhin bestrebt, verschiedene Baumwollarten und Innovationen zu erforschen, um die bestmöglichen Alternativen sicherzustellen.
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Nikin: 60 bis 70 Prozent Baumwolle
Auch die kleineren Schweizer Textilunternehmen setzen auf Innovation. Die Kleider von Nikin etwa, dem Aargauer Unternehmen mit einem ohnehin hohen Anspruch auf nachhaltige Produkte, bestehen zu 60 bis 70 Prozent aus Baumwolle – der mit Abstand grösste Teil davon ist Bio-Baumwolle. «Ab 2025 werden wir recycelte Baumwolle von Säntis in unsere Kollektion integrieren», erklärt Nicholas Hänny auf Anfrage.
Dies ermögliche ihnen, bestehende Baumwolle in einem zirkulären Ansatz zu verwenden, da die von der Schweizer Firma Säntis entwickelte Technologie die Baumwollfasern schonend ohne den Einsatz von Wasser oder Chemikalien recycelt und die ursprüngliche Faserstruktur erhält.
«Baumwolle ist angenehm auf der Haut»
Das bedeutet: Auch in Aarau setzt man auf Innovation, um bevorstehenden Änderungen vorzugreifen. Für Hänny ist klar: Es wäre für Nikin möglich, bis 2030 auf Baumwolle zu verzichten, indem man konsequent auf Alternativen setzt. Alternativen wären etwa Naturfasern aus Hanf oder Leinen sowie Tencel, welches teilweise eine ähnliche Hautfreundlichkeit und Tragekomfort bietet, oder der extrem nachhaltige Nanea-Stoff der Schweizer Firma Ocean Safe.
Das Problem hier: Speziell Letzterer sei für Nikin momentan noch zu teuer, um 100 Prozent der Produkte damit herzustellen. Gleichzeitig beruft sich Hänny auf die Vorteile von Baumwolle: «Sie ist angenehm auf der Haut, leicht verfügbar und erlaubt uns, Produkte wie ein fair produziertes und in Europa hergestelltes T-Shirt für 39.90 Franken anzubieten.»

Tüftelt an neuen Lösungen: Nicholas Hänny im Nikin-Showroom.
20min/Ela ÇelikBessere statt keine Baumwolle
Entsprechend zwiegespalten ist der 33-Jährige bei der Gesetzesänderung: Zwar sei eine Gesetzgebung, die Nachhaltigkeit fördert, wichtig. Dennoch brauche es aber pragmatische Vorgaben und Innovationen, um Ziele wie eine vollständige Kreislaufwirtschaft zu erreichen.
«Mit neuen Technologien, wie denen von Säntis, können Baumwollfasern effizient recycelt werden, was den ökologischen Fussabdruck von Baumwolle stark reduziert», so Hänny. Säntis zeige, dass Baumwolle nun in zirkulären Prozessen mehrfach genutzt werden kann.
Deshalb sei man bei Nikin hin- und hergerissen: «Einerseits begrüssen wir politischen Druck, da er Innovationen fördert. Andererseits gibt es auch bei Baumwolle zukunftsweisende Entwicklungen, wie die von Säntis, die unbedingt berücksichtigt werden sollten.»
Calida könnte umstellen, aber ...
Auch Felix Sulzberger, Chef von Calida, stellt sich nicht per se gegen die Gesetzgebung. «Wir verwenden bereits seit längerem verschiedene natürliche und rezyklierbare Materialien und bauen diesen Bereich fortlaufend aus», stellt er klar. Bei der EU-Gesetzgebung ginge es primär um die Wiederverwertbarkeit bzw. die Kreislauffähigkeit von Textilien, eine Zielsetzung, die durch die Qualität und Langlebigkeit unserer Produkte seit jeher unserer Markenphilosophie entspreche.
Fakt ist: Der Baumwoll-Anteil der Calida Gruppe liege deutlich unter 50 Prozent. Entsprechend wäre ein Verzicht auf Baumwolle bis 2030 zwar technisch möglich, aber würde, so ist sich Sulzberger sicher, den Vorstellungen und Wünschen der Konsumenten zuwiderlaufen.
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