Roland Popp analysiert den Ukraine-Krieg: Hoffen auf ein Wunder

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Die Lage im Ukraine-Krieg«Die Hoffnung ist, dass eine Art Wunder geschieht»

Im Gespräch mit Roland Popp von der Milak an der ETH Zürich geht es um Russlands operatives Vorgehen in der Ukraine, die Hoffnung des Westens und um «unerfüllte Wunderversprechen».

Ein ukrainischer Soldat fixiert bei Oleksandriwka ein Netz zum Schutz vor Drohnen, 6. Oktober 2025.
Ein ukrainischer Soldat fixiert bei Oleksandriwka ein Netz zum Schutz vor Drohnen, 6. Oktober 2025.AFP

Darum gehts

  • Roland Popp sagt im Gespräch:
  • Moskau gehe aus operativer Sicht inzwischen vorsichtig vor und sei darauf bedacht, die Verluste auf eigener Seite gering zu halten.
  • In der Ukraine spielten westliche Waffensysteme fast keine Rolle mehr.
  • Die Kriegsdauer hänge vom Verlustverhältnis bei den Soldaten ab.
  • Der Kampfeswille in der Ukraine habe extrem nachgelassen, was sich in langen Konflikten immer wieder beobachten liesse.

Herr Popp, was sagen Sie zu Donald Trumps jüngstem Bekenntnis zur Nato und der Ukraine?

Ich bin es ehrlich gesagt leid, jede Zuckung dieses irrlichternden Präsidenten zu kommentieren. Es kann alles bedeuten und nichts. Das Bekenntnis zur Ukraine ist ja eigentlich keines, er lädt das ganze Problem vor der europäischen Haustüre ab.

Wie ist der Stand im Ukraine-Krieg?

Grundsätzlich unverändert. Ich glaube ohnehin nicht, dass die territorialen Veränderungen so viel aussagen über den tatsächlichen Kriegsverlauf und auch über den Ausgang des Krieges. Bestimmte Städte oder Befestigungen haben selbstverständlich eine Bedeutung – aber letzten Endes ist es von der Natur ein Abnutzungskrieg. Das heisst: Alles, was wir da an Operationen und Frontverschiebungen sehen, dient letztlich von russischer Seite dazu, die ukrainischen Streitkräfte zu Bewegung zu zwingen und dann abzunutzen. So will Russland sein zentrales militärisches Ziel erreichen: Die Verteidigungsunfähigkeit der Ukraine.

«Nichts hat sich an der Strategie geändert, die urbanen Zentren eher zu umgehen und vom Nachschub abzuschneiden, um sie so einfacher einnehmen zu können.»

Roland Popp

Kiew warnte unlängst, Putin wolle den Donbass bis Ende Jahr  einnehmen. Ist das realistisch?

Was hinter solchen Warnungen steckt, ist von aussen nicht seriös zu beurteilen. Am methodischen Vorrücken Russlands hat sich nichts geändert und auch nicht an der Strategie, die urbanen Zentren eher zu umgehen und vom Nachschub abzuschneiden, um sie so einfacher einnehmen zu können. Es ist ein «Grinding», ein sehr langsames und inzwischen auch vorsichtigeres Vorgehen, das entgegen der Behauptung mancher darauf bedacht ist, die Verluste auf eigener Seite möglichst gering zu halten. Ob und wie weit das gelingt, lässt sich nicht sagen. Aber die Personal-Überlegenheit der Russen ist erdrückend.

Innenhof in Saporischschja, 5. Oktober. Eine Person starb nach ukrainischen Angaben bei dem russischen Angriff.
Innenhof in Saporischschja, 5. Oktober. Eine Person starb nach ukrainischen Angaben bei dem russischen Angriff.AFP

Das widerspricht dem Bild der verstärkten russischen Angriffe seit dem Trump-Antritt und den steigenden Opferzahlen in ukrainischen Städten. 

Ich halte das eher für eine verzerrte Wahrnehmung in dem Sinn, als dass hinter den Schlägen keine systematischen Kampagne gegen die Zivilbevölkerung zu erkennen ist. Zweifellos sterben Zivilisten. Dennoch sind 99 Prozent der Todesopfer Soldaten. Die Proportionalität der Kriegsführung wird gewahrt, im Gegensatz etwa zu Gaza. Ja, die immer umfangreicheren Angriffe auf die Infrastruktur diesen auch dazu, in der Ukraine gesellschaftlichen Druck gegen eine Fortsetzung des Krieges aufzubauen. Aber aus operativer Sicht ist das langsam, methodisch und auf Abnutzung ausgerichtet.

«Eine Trendwende halte ich für extrem unwahrscheinlich.»

Roland Popp

Aber auch die tiefen ukrainischen Angriffe gegen Russland zeigen Wirkung. Gleichzeitig schwächelt die russische Wirtschaft.

Russlands Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur sind weitaus umfassender als die ukrainischen jetzt. Und haben trotzdem den Kampfwillen nicht gebrochen, ich bin da sehr skeptisch. Aber selbstverständlich zeigen sich auch auf russischer Seite Ermüdungserscheinungen in einem Krieg, der sich so lange hinzieht.

«Sollte sich herausstellen, dass dem nicht so war, dann war die Fortsetzung des Krieges völlig verantwortungslos.»

Roland Popp
Vor einem Zelt in einem Zentrum für Binnenflüchtlinge im ostukrainischen Pawlohrad, 3. Oktober 2025.
Vor einem Zelt in einem Zentrum für Binnenflüchtlinge im ostukrainischen Pawlohrad, 3. Oktober 2025.AFP

Sie sehen keine Anzeichen für eine Trendwende?

Eine Trendwende halte ich für extrem unwahrscheinlich, für möglich vielleicht eine allgemeine Erschöpfung nach dem Muster des Ende des Iran-Irak-Krieges in den 1980ern. Aber solange Russland noch Freiwillige für diesen Krieg findet und nicht gezwungen ist, Wehrpflichtige einzusetzen, sind die Chancen einfach gering.

«Die Hoffnung ist, den Krieg in die Länge zu ziehen und zu hoffen, dass eine Art Wunder passiert.»

Roland Popp

Was denken Sie, wie lange dieser Krieg dauern wird?

Ohne zu beschönigen: Das hängt in einem Abnutzungskrieg vom Verlustverhältnis ab, also wie viele Ukrainer und wie viele Russen sterben. Manche Militärbeobachter und Experten argumentieren seit Jahren, dass die russischen Verluste ein Mehrfaches von den ukrainischen Verlusten betragen. So begründeten sie den wahrscheinlichen Sieg der Ukraine und die Notwendigkeit weiterer Waffenlieferungen. Sollte sich am Ende aber herausstellen, dass dem nicht so war oder nicht mehr so ist, dann war die Fortsetzung des Krieges völlig verantwortungslos. Allerdings wissen wir auch über die interne Lage in Russland und die Stimmung der Bevölkerung in Russland so gut wie nichts.

Was heisst das letztlich für die Ukraine?

Die Lage an der Front wird immer verzweifelter, das Durchschnittsalter der Soldaten immer höher, die technologischen Wunderversprechen westlicher Waffensysteme haben sich nicht erfüllt, sie spielen sogar fast keine Rolle mehr. Die Hoffnung ist jetzt, den Krieg in die Länge zu ziehen und zu hoffen, dass irgendwas Überraschendes, eine Art Wunder, passiert, was die Ukraine noch retten könnte.

«Selbst ein noch so als gerecht empfundener Krieg wird irgendwann als unerträgliche Last empfunden.»

Roland Popp

Gleichzeitig wächst in der Ukraine der Widerstand gegen den Krieg.

Ja. Eine klare Mehrheit wünscht sich inzwischen eine verhandelte Lösung, was immer das heissen würde. Der Kampfeswille hat im Vergleich zu 2022 extrem nachgelassen. Das beobachten wir immer wieder in langen Konflikten: Selbst ein noch so als gerecht empfundener Krieg wird irgendwann als unerträgliche Last empfunden, mit gewaltigen Entbehrungen und Verlusten. Selbstverständlich wirken diese Effekte auch auf der russischen Seite, doch kämpft diese weiterhin mit Freiwilligen.

Zum Experten

Luca Andrea Donati
Dr. Roland Popp ist Historiker des Kalten Krieges und Islamwissenschaftler. Popp forscht für die Militärakademie (MILAK) an der ETH Zürich zu militär- und gesamtstrategischen Fragen, Nuklearwaffen, technologischer Innovation und internationaler Geschichte.

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Ann Guenter (gux), arbeitet seit 2012 als Auslandsredaktorin für 20 Minuten. Seit August 2015 ist sie zudem Chefreporterin International.

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