AHV-Bericht: Keine Rechenfehler, aber fehlerhafte Annahmen

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AbstimmungsbeschwerdeKein Rechenfehler? Das sagt Bericht zur AHV-Finanzierung wirklich

Kurz bevor das Bundesgericht über die Abstimmungsbeschwerde zur AHV 21 berät, veröffentlicht das EDI Teile eines Berichts. Das musst du wissen.

Das EDI hat Teile eines neuen Berichts zur AHV-Finanzierung offengelegt. Für Laien ist die Mitteilung aber kaum verständlich.
Isabelle Martínez von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH sagt: «Es handelt sich nicht um einen eigentlichen Rechenfehler, das Wording war von Anfang an schlecht gewählt.»
Hintergrund: Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) unter Direktor Stéphane Rossini hat im August festgestellt, dass die langfristigen Finanzperspektiven der AHV korrigiert werden müssen.
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Das EDI hat Teile eines neuen Berichts zur AHV-Finanzierung offengelegt. Für Laien ist die Mitteilung aber kaum verständlich.

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Darum gehts

  • Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat Teile eines Berichts veröffentlicht, der sich mit dem «Rechenfehler» bei den AHV-Ausgaben auseinandersetzt.

  • Die Berechnungen zur AHV waren fehlerhaft, die Ausgaben wurden um vier Milliarden Franken überschätzt.

  • Die Grünen reagierten mit einer Abstimmungsbeschwerde, weil die fehlerhafte Berechnung wesentlich zum knappen Ja für die Erhöhung des Rentenalters für Frauen beigetragen habe.

  • Laut dem Bericht liegt technisch gesehen aber gar kein Rechenfehler vor. Das Bundesgericht berät am Donnerstag öffentlich über die Beschwerde.

Das ist passiert

Am Freitagabend veröffentlichte das Eidgenössische Departement des Innern eine Medienmitteilung. Es ging um den Bericht über eine Untersuchung, die klären sollte, wie es zu den fehlerhaften Berechnungen zur Zukunft der AHV-Finanzen gekommen war.

Das ist die Vorgeschichte

Im August kam heraus, dass die Berechnungen des Bundes für die finanzielle Zukunft der AHV Fehler aufwies. Konkret wurden die Ausgaben der AHV bis 2033 um vier Milliarden Franken oder rund sechs Prozent überschätzt. Der AHV geht es also besser, als in der Berechnung angenommen worden war. Es war von einem Rechenfehler die Rede, kurz darauf gab Stéphane Rossini, Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen, seinen Rücktritt bekannt.

Das sagt der Bericht

Der eigentliche Bericht ist noch nicht veröffentlicht. Das, was in der Medienmitteilung steht, lässt sich laut Isabel Martínez von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH, aber so zusammenfassen: «Es handelt sich nicht um einen eigentlichen Rechenfehler, das Wording war von Anfang an schlecht gewählt. Ein solches Modell setzt sich aus unzähligen Annahmen und Variablen zusammen, etwa Bevölkerungsszenarien, Lohnentwicklung, Inflation, Einwanderung und so weiter. Bei einer oder mehreren solchen Annahmen hat sich wohl ein Fehler oder eine Ungenauigkeit eingeschlichen. In einem komplexen Modell führt das schnell zu unplausiblen Resultaten. In der Fachsprache sprechen wir von einer Fehlspezifikation des Modells.»

«Es sieht so aus, als wäre die Dokumentation des Modells nicht oder nur mangelhaft gemacht worden.

Isabelle Martínez, Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH

Was war also genau falsch?

Das ist noch unklar, weil der Bericht noch nicht veröffentlicht worden ist. Martínez: «Es sieht so aus, als wäre die Dokumentation des Modells nicht oder nur mangelhaft gemacht worden. Das war sicher ein Fehler und wäre eigentlich ‹good practice›, doch ein Modell von 70’000 Zeilen Code in Worten zu dokumentieren, ist aufwändig und zeitintensiv. Und dann bräuchte es auch noch eine externe Qualitätskontrolle, was viel Geld kostet.»

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  • Die Universität Zürich attestiert 20 Minuten in einer Untersuchung, über Abstimmungen in der Schweiz besonders ausgewogen zu berichten.

Wer ist schuld?

Für die Fehler im Modell oder den zugrundeliegenden Annahmen das Bundesamt für Sozialversicherungen. Für Martínez greift das aber zu kurz: «Man verlangt Prognosen für Entwicklungen zehn Jahre und mehr in der Zukunft. Diese sollen schnell und möglichst günstig sein. Dass es ohne Qualitätskontrolle zu Fehlern kommen kann, liegt für mich auch in der Verantwortung derjenigen, die über die Ressourcen eines Amtes entscheiden, also des Parlaments.»

Das sind die Konsequenzen

Welche Konsequenzen der Bericht hat, wird sich womöglich am kommenden Donnerstag zeigen. Dann findet die öffentliche Beratung des Bundesgerichts über eine Abstimmungsbeschwerde der Grünen statt. Sie argumentieren, dass die irreführenden Zahlen ein massgebliches Argument zum knappen Ja für die Erhöhung des Frauenrentenalters um ein Jahr war und fordern, dass die Abstimmung annuliert wird.

Wie stehen die Chancen der Abstimmungsbeschwerde?

Martínez von der KOF glaubt nicht, dass die Beschwerde Erfolg haben wird. «Es würde mich erstaunen, wenn das Bundesgericht zugunsten der Grünen entscheiden würde. Vergleichbare Entscheide aus der Vergangenheit zeigen: Eine Annullierung ist dann möglich, wenn nachweislich falsche Fakten verwendet worden sind oder wenn wider besseren Wissens behauptet worden ist, dass es Fakten zu einem abstimmungsrelevanten Thema gibt. Hier war aber wie erwähnt lediglich eine Prognose unplausibel – und sie wich auch nur um wenige Prozent ab.»

Die Grünen haben eine Abstimmungsbeschwerde eingereicht. Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen, ist überzeugt, dass der Bericht an der Faktenlage nichts ändert.

Die Grünen haben eine Abstimmungsbeschwerde eingereicht. Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen, ist überzeugt, dass der Bericht an der Faktenlage nichts ändert.

20min/Matthias Spicher

Das sagen die Grünen, die die AHV 21 kippen wollen

Anders sieht das Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen: «Es ist bestätigt, dass die Berechnung und am Ende die Zahlen falsch waren. Ob jetzt technisch gesehen ein Rechenfehler vorgelegen ist oder nicht, spielt für uns keine Rolle. Was zählt, ist die Tatsache, dass die Menschen falsch informiert worden sind. Das ist Fakt.» Das Bundesgericht wird sich am Donnerstag, 12. Dezember, in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Fall beschäftigen. «Die Frauen fühlen sich zu Recht betrogen. Sie bekommen immer noch etwa ein Drittel weniger Rente als die Männer und unser Ziel ist klar: das verlorene Rentenjahr zurückzuholen», sagt Mazzone.

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