UkraineAngst vor Krieg wächst – muss die Schweiz vermitteln?
Seit Wochen schwelt zwischen Russland und der Ukraine ein Konflikt – der Westen rechnet mit einem Einmarsch Russlands. Steht die Welt vor einem neuen Krieg? Experten schätzen ein.
Darum gehts
Die Lage im Russland-Ukraine-Konflikt spitzt sich zu. Der Westen befürchtet, dass Russland einen Grossangriff auf die Ukraine plant. In den letzten Wochen hat Russland seine Truppe an der ukrainischen Grenze massiv aufgestockt – mittlerweile sind dort über 100‘000 Soldaten stationiert.
Wegen des drohenden Einmarschs schickten eine Reihe von Nato-Mitgliedstaaten am Montag zusätzliche Kampfflugzeuge und Marineschiffe nach Litauen, Rumänien und Bulgarien. Die USA und Grossbritannien kündigten angesichts der bedrohlichen Situation an, einen Teil ihres Botschaftspersonals aus der Ukraine abzuziehen. «Die Spannungen werden durch die Ankündigungen und konkreten Massnahmen der USA und der Nato verschärft», warnte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Zudem kündigten russische Aussenpolitiker eine Reaktion Moskaus an, sollten die USA zusätzliche Truppen nach Osteuropa verlegen. Die USA könnten rund 8500 Soldaten für einen Nato-Einsatz wegen der Spannungen mit Russland im Ausland stationieren. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe die Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, teilte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag mit. US-Präsident Joe Biden beriet am Abend per Video mit seinen europäischen Verbündeten. Am Mittwoch findet nach Angaben Frankreichs ein Treffen im sogenannten Normandie-Format (Frankreich, Deutschland, Ukraine und Russland) auf Beraterebene statt.
Ein Missverständnis genügt
Sicherheitsexperten halten einen Krieg für möglich. «Im Moment ist der Ausbruch eines Kriegs in der Ukraine so wahrscheinlich wie noch nie seit 20 Jahren», sagt Benno Zogg, Sicherheits- und Osteuropa-Experte an der ETH Zürich. Die russischen Truppen und die Nato-Kräfte in der Region begünstigten die Gefahr. «Durch die hohe militärische Aktivität kann allein schon ein Unfall oder ein Missverständnis zu einer Eskalation führen.» Dies wäre etwa der Fall, wenn zwei Kampfjets zusammenstiessen oder Kriegsschiffe kollidierten.
Ähnlich schätzt Jeronim Perović die Lage ein. «Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Eskalationsspirale», sagt der Professor für Osteuropäische Geschichte und Leiter des Center for Eastern European Studies (CEES) an der Universität Zürich. Russland verlange schriftliche Garantien, dass sich die Nato nicht weiter nach Osten ausdehne. Doch diese werde Russland nicht bekommen. «Mit jedem Tag, an dem Russland zuwartet, werden auch die Kosten für Russland höher. Denn die Ukraine rüstet auf und bezieht Waffenhilfe aus den USA und Grossbritannien.»
«Schweiz muss aktiver vermitteln»
Die Krise beschäftigt auch die Schweizer Politik. «Es handelt sich um eine bedrohliche Situation», sagt Franz Grüter (SVP), Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK). Die Kommission werde vom Bundesrat täglich aufdatiert. «Nächsten Montag und Dienstag haben wir eine Sitzung, an der unter anderem dieses Thema behandelt wird.»
Am Freitag traf sich Bundespräsident Ignazio Cassis (FDP) in Genf mit dem amerikanischen Aussenminister Antony Blinken und dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow, um eine Lösung in der Ukraine-Krise zu finden. Cassis bot die guten Dienste der Schweiz an, wenn dies als nützlich erachtet und gewünscht werde.
Franz Grüter fordert mehr von der Eidgenossenschaft: «Die Schweiz muss eine noch aktivere Vermittlerrolle übernehmen und, sofern es die Lage zulässt, erneut ein Treffen in der Schweiz mit Putin und Biden organisieren. So, wie dies letzten Sommer schon mal geschehen ist.» Wenn das gelinge, könne die Schweiz einen wichtigen Beitrag zur Deeskalation leisten. Schwierig sei allerdings, dass die Schweiz als Mitglied des Uno-Sicherheitsrates für die nächsten zwei Jahre an Neutralität einbüssen werde.