Autismus-Diagnose«Ich will endlich ein würdevolles Leben führen können»
Die 25-jährige Luzernerin Lara* erhielt erst vor kurzem die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung. Mit 20 Minuten spricht sie über ihre unsichtbaren Hürden.
Darum gehts
Lara* (25) aus Luzern erhielt 2023 die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung.
Sie lebt von der Sozialhilfe, da sie nur begrenzt arbeitsfähig sein kann.
Zusätzlich befindet sie sich in einem laufenden IV-Verfahren und erhielt wegen eines Abrisses die Wohnungskündigung.
Lara fordert mehr Akzeptanz und finanzielle Unterstützung für Menschen mit Autismus.
Die 25-jährige Luzernerin Lara* erhielt erst vor zwei Jahren die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung. Schon in ihrer Kindheit zeigte sie Auffälligkeiten: Sie mied Augenkontakt, zog sich zurück und wurde oft gemobbt. Dennoch blieb die Diagnose lange aus. «Man wusste, dass etwas anders ist, aber nicht, was», erinnert sich ihre Mutter. Erst durch eigene Initiative – unterstützt von ihrer Psychiaterin und ihrer Mutter – erfolgte eine umfassende Abklärung bei einer Autismus-Fachstelle.
Lara erzählt, sie brauche klare Routinen und Strukturen. Soziale Situationen würden sie oft überfordern: «Ich kann schwer einschätzen, was mein Gegenüber mit gewissen Gesichtsausdrücken meint – das führt oft zu Missverständnissen», erklärt sie.
«Besonders Frauen werden oft erst spät oder gar nicht diagnostiziert»
«Besonders Frauen werden oft erst spät oder gar nicht diagnostiziert, da sie Strategien erlernen, um im sozialen Kontakt möglichst unauffällig zu wirken. Dieses sogenannte ‹Masking › ist mit viel Stress verbunden», sagt Regula Buehler, Geschäftsleiterin vom Verein autismus schweiz.
Auch der Einstieg ins Berufsleben bleibt für viele eine Herausforderung. Weil Lara begrenzt und nur von zu Hause aus arbeitsfähig ist, lebt sie derzeit von Sozialhilfe. Kleine Textaufträge und das Schreiben von Kindergeschichten bringen ihr zwar etwas Einkommen, doch sobald sie mehr als 100 Franken dazuverdient, wird der Betrag von der Sozialhilfe abgezogen. Nach Abzug der Fixkosten bleiben ihr rund 290 Franken im Monat.
Was ist Autismus?
Autismus ist eine angeborene und lebenslange Entwicklungsdiversität mit individuell ausgeprägten Symptomen.
«Autismus ist eine Entwicklungsstörung mit Schwierigkeiten in Kommunikation und sozialer Interaktion sowie eingeschränkten Interessen und repetitivem Verhalten», erklärt PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel von der Luzerner Psychiatrie (LUPS). Weitere typische Merkmale sind Reizüberflutung, verzögerte Sprachentwicklung oder fehlender Blickkontakt, wie auf der Seite von autismus schweiz erklärt wird.
Weltweit sind schätzungsweise ein bis drei Prozent der Bevölkerung im Autismus-Spektrum. Laut humanrights.ch ist die Autismus-Spektrum-Störung rechtlich als Behinderung klassifiziert. Entsprechende Diagnosen müssen von qualifizierten Fachpersonen gestellt werden.
Wohnungsinserate wollen «keine Sozialbezüger»
Zusätzlich zur ungesicherten finanziellen Lage erhielt sie vor ein paar Monaten wegen eines Neubauprojekts die Wohnungskündigung. Eine neue Bleibe zu finden, ist für sie besonders schwierig. Wegen ihrer Reizempfindlichkeit brauche sie eine ruhige Wohnung mit Terrasse, um ihre abendliche Bewegungstherapie durchzuführen – ein festes Ritual, um zur Ruhe zu kommen. Doch mit einem vom Sozialamt festgelegten Budget von 910 Franken inklusive Nebenkosten sei eine geeignete Wohnung in ihrem Wohnort kaum zu finden.
«Autismus ist eine Behinderung, die ernst genommen werden sollte.»
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Wohnungsinserate explizit Sozialbezüger ausschliessen. «Haustiere sind erlaubt, aber Menschen wie ich nicht», sagt sie. Diese Ausgrenzung empfindet sie als verletzend und diskriminierend – sie sei schliesslich nicht freiwillig auf Unterstützung angewiesen.
Trotz eines ausführlichen Fachberichts und mehrfach geäussertem Autismusverdacht befindet sich Lara seit fünf Jahren in einem laufenden IV-Verfahren – ohne Entscheid. Eine fachgerechte Abklärung durch die IV wurde trotz Anwaltsaufforderung nicht eingeleitet. «Autismus ist eine Behinderung, die ernst genommen werden sollte», betont Laras Mutter. Intelligenz oder Reife seien kein verlässlicher Massstab für die tatsächlichen Schwierigkeiten.
Kennst du jemanden, der mit einer Autismus-Spektrum-Störung lebt oder bist du selbst betroffen?
Lara sagt abschliessend: «Es steckt oft mehr hinter einem Menschen, als man von aussen sieht.» Sie wünscht sich zudem das Recht auf Selbstbestimmung, sowie Akzeptanz und Verständnis von der Gesellschaft und den Institutionen. «Ich will endlich ein würdevolles Leben führen können.»
Das sagt die IV
*Name der Redaktion bekannt
Lebst du oder lebt jemand, den du kennst, mit Autismus?
Hier findest du Hilfe:
Autismus Schweiz, Verein für Angehörige, Betroffene und Fachleute
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
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