Biel: Suizid im Gefängnis – Experten fordern neue Leitlinien

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Biel BESuizid in Haft: Ist der Staat mitverantwortlich?

Ein Mann beging in Untersuchungshaft Suizid. Er hatte einen Haftschock erlitten. Ein Phänomen, das laut Staatsanwältin nicht ausreichend bekannt ist.

Im Regionalgefängnis Biel beging ein Mann beging kurz nach seiner Verhaftung Suizid. Er wurde tot in seiner Zelle Biel aufgefunden.
Seine Angehörigen erstatteten daraufhin Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.
Der Kanton Bern hat nun erste Projekte gestartet, um solchen Situationen vorzubeugen.
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Im Regionalgefängnis Biel beging ein Mann beging kurz nach seiner Verhaftung Suizid. Er wurde tot in seiner Zelle Biel aufgefunden.

Kanton Bern/Amt für Justizvollzug AJV

Darum gehts

  • Im Mai 2023 wurde ein Mann aus Biel an seinem Arbeitsplatz verhaftet.

  • Kurze Zeit später beging er in Untersuchungshaft Suizid.

  • Die Angehörigen fragen sich, ob der Staat dafür haftbar sei.

  • Der Kanton Bern arbeitet nun mit einem Projekt daran, solchen Situationen vorzubeugen.

Ein Mann beging im Mai 2023 kurz nach seiner Verhaftung im Regionalgefängnis Biel Suizid. Laut «Ajour» erlitt er wahrscheinlich einen sogenannten Haftschock.

Die Angehörigen erstatteten Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Das Verfahren wurde jedoch inzwischen rechtskräftig eingestellt.

Beschuldigter erlitt Haftschock

In der Einstellungsverfügung steht: Die zuständigen Beamtinnen und Beamten hätten «kein individuelles, gegen interne Vorgaben verstossendes Fehlverhalten» an den Tag gelegt. Die Frage nach einer möglichen Staatshaftung bleibe jedoch offen, sie müsste aber in einem separaten Staatshaftungsverfahren geklärt werden.

Der Polizeibericht zeigt: Er wurde auf der Bieler Polizeiwache verhört und anschliessend gegen 16 Uhr ins Regionalgefängnis Biel überführt. Der Verstorbene wurde ohne ausreichende medizinische Abklärung und ohne Überwachung untergebracht.

Das sei aber zu seinem Selbstschutz unbedingt notwendig gewesen, denn: Er war zum ersten Mal und vor seinen Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten verhaftet worden. Bei so einem Vorgehen kann es zum sogenannten «Haftschock» kommen.

Das Phänomen «Haftschock»

Der Kanton Zürich hält auf seiner Webseite fest, dass der Eintritt in die Untersuchungshaft ein einschneidendes Ereignis ist: «Inhaftierte realisieren in diesem Moment, dass sie jegliche Handlungsfreiheit verloren haben. Es droht ein Haftschock. Sie reagieren in dieser Situation ganz unterschiedlich: mit Panikattacken und Angststörungen, Schwindel oder anderen körperlichen Symptomen bis hin zu Psychosen und Suizidversuchen.»

Gültige Richtlinien sind unvollständig

Die Staatsanwältin beschrieb, dass das Phänomen des Haftschocks bei den Mitarbeitenden der Strafverfolgungs- und Justizvollzugsbehörden im Kanton Bern weitgehend unbekannt sei. «Bei den aktuell gültigen Guidelines für das Staatspersonal könnte sich ein Fall wie der vorliegende jederzeit wieder einstellen», schreibt sie in der Verfügung.

Der Anwalt der Angehörigen des Verstorbenen strebt nun ein Staatshaftungsverfahren an. Das Gesuch wurde jedoch noch nicht eingereicht, wie er gegenüber 20 Minuten bestätigt. Es befinde sich derzeit noch in der Abklärung.

Der Anwalt der Angehörigen des Verstorbenen strebt nun ein Staatshaftungsverfahren an. Hier zu sehen: Das Regionalgericht Biel.

Der Anwalt der Angehörigen des Verstorbenen strebt nun ein Staatshaftungsverfahren an. Hier zu sehen: Das Regionalgericht Biel.

20min/Simon Glauser

Erste Massnahmen werden konkret

Auf Anfrage von 20 Minuten erklärt die Staatsanwältin, dass im Rahmen eines Modellversuchs daran gearbeitet wird, Haftschäden zu reduzieren. Das Programm sei auch auf Personen in Untersuchungshaft erweitert worden, «damit innerhalb der ersten Wochen in Haft regelmässig auftretende physische und psychische Probleme besser bewältigt werden können».

Gestützt auf den Fall vom Mai 2023 wurde «im Zuge der regelmässigen Überarbeitung interner Arbeitshilfen der Staatsanwaltschaft das Phänomen des Haftschocks konkretisiert».

Suizidrate in Schweizer Haftanstalten relativ hoch

Es ist keine Seltenheit, dass es in Schweizer Haftanstalten zu Suiziden kommt, wie ein Bericht der Universität Lausanne im Auftrag des Europarats zeigt. Die Schweiz lag 2022 mit einer durchschnittlichen Suizidrate von 20,2 Suiziden pro 10'000 Insassen europaweit sogar auf dem zweiten Platz. In jenem Jahr nahmen sich 13 Inhaftierte das Leben.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Suizidgedanken? Oder hast du jemanden durch Suizid verloren?

Hier findest du Hilfe:

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen

Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29

Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

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