Experte erklärtBürokratie und falsche Anreize – hier haperts im Gesundheitswesen
Wieso steigen die Krankenkassenprämien jedes Jahr weiter? Gesundheitsexperte Andreas Faller nennt im Interview Gründe, sieht mögliche Lösungsansätze und hofft auf Alain Bersets Nachfolge.
Darum gehts
Im Schweizer Gesundheitswesen geht es um Milliarden für Ärzte, Spitäler, die Pharmabranche oder Apotheken.
Viel Geld könnte zugunsten der Versicherten durch weniger Bürokratie und bessere Kommunikation eingespart werden, sagt Andreas Faller.
Der frühere BAG-Vize sagt im Interview, wie sich die Prämien senken liessen und was er von Alain Bersets Nachfolge erwartet.
Herr Faller, was sind die Haupttreiber für die explodierenden Krankenkassenprämien?
Zunächst gibt es zwei positive Punkte. Wir werden immer älter bei guter Gesundheit. Und auch der medizinische Fortschritt ist erwünscht. Das ist beides sehr gut, kostet aber viel Geld.
Was sind die «negativen» Gründe?
Zunächst haben wir seit vielen Jahren erstmals wieder eine erhebliche Teuerung, die sich nun auf die Prämien auswirkt. Dann haben die Kassen offenbar Verluste an der Börse erlitten. Das hat Einfluss auf die Reserven und muss ausgeglichen werden. Hinzu kommen die seit langem bestehenden Probleme: Ineffizienz, Fehlanreize und zu viel Bürokratie. Wenn ein Arzt beispielsweise mehr verdient, wenn er operiert, statt konservativ zu behandeln, ist das ein Fehlanreiz. Und oftmals führt ein Angebot auch erst zur Nachfrage. Das sind die Bereiche, in denen sehr viel Geld gespart werden kann, ohne dass der Patient einen Nachteil davon hat.
Wo könnte die Politik tatsächlich Linderung verschaffen?
Im Frühling sind zwei Sachen sicher: Ostern kommt und der Krankenkassenverband Santésuisse malt düstere Aussichten zu Kosten und Krankenkassenprämien, macht aber keine substanziellen Vorschläge, was zu tun ist. Die Politik denkt dann stets bis zum nächsten September, wenn die Prämien fürs Folgejahr bekannt werden. Das macht Bundesbern nervös, führt nicht selten zu Pflästerlipolitik und die Akteure sind alle gezwungen, viel Lobbying zu betreiben. So erreicht man keine guten Lösungen. Die Politik sollte sich Zeit nehmen, um sinnvolle Reformen zu finden. Sie können ein Kreuzfahrtschiff nicht auf einem Bierdeckel wenden.
Was wären die konkreten Punkte?
Es braucht die richtigen Anreize im System. Dann muss das System effizienter werden und die Bürokratie muss massiv reduziert werden. Es gibt Studien, die hier ein Sparpotenzial in Milliardenhöhe sehen. Hintergrund ist die gesetzliche Vorgabe, dass von der Krankenkasse übernommene Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen. Wenn das BAG die Preise festlegt, wenn Tarife verhandelt werden, und wenn eine Versicherung Rechnungen prüft: Häufig gibt es endlose Diskussionen zwischen den Akteuren, wie diese Regelungen anzuwenden sind, was zu riesigen Reibungsverlusten führt. Es braucht einen gemeinsamen Konsens, wie diese gesetzliche Regelung angewendet wird, es braucht klare Spielregeln, was von der obligatorischen KK bezahlt wird und was nicht.
Welche Akteure sind im Endeffekt verantwortlich für den Kostenanstieg?
Eigentlich sind wir alle verantwortlich. Als Patienten nutzen wir das System so weit als möglich, wir nennen das die «Vollkaskomentalität». Die Akteure vertreten häufig Partikularinteressen. Das Problem ist, dass es viel zu wenig klare Spielregeln gibt, wie das KVG konkret angewendet werden soll, und folglich suchen alle Akteure die für sie beste Auslegung der Regeln. So kann man ein System nicht verbessern.
So funktioniert Politik in der Schweiz, das ist doch ihr gutes Recht.
Bestimmt. Es wäre einfach wünschenswert, wenn die Lobbyisten der Leistungserbringer und der Kassen ihre Partikularinteressen etwas zurückstellen im Sinne des Gesamtwohls des Gesundheitswesens. Es braucht klare Regeln, damit die Fehlanreize verschwinden. Ich warte hier auch noch auf konkrete Vorschläge von Santésuisse.
Mitte und SP haben eigene Volksinitiativen lanciert, um den Anstieg der Prämien zu bremsen. Was taugen sie?
Beide würden nach einer Annahme kaum einen Einfluss auf das System haben. Die Initiative der SP greift nur bei der Bezahlung ein und die Besserverdienenden, die mit ihren Steuern schon viel zur Finanzierung des Systems beitragen und auch die Prämienverbilligungen der Wenigerverdienenden finanzieren, sollen noch mehr zur Kasse gebeten werden. Bei der Idee der Mitte ist vieles unklar, da braucht es konkretere Vorschläge. Dass Mitte-Präsident Gerhard Pfister den Akteuren im Gesundheitswesen kürzlich vorwarf, sie seien «Numismatiker» in einem System der Selbstbedienung, einem Paradies für Geldgierige, empfand ich als deplatziert und nicht zielführend.
Wie wichtig ist die Position des Gesundheitsministers? Kann der neue eine Trendwende herbeiführen?
Nicht allein, aber sie oder er und die Leitung des BAG könnten einen ganz wichtigen Beitrag leisten: Wenn der neue Chef oder die neue Chefin clever agiert, Brücken zwischen den verschiedenen Akteuren baut, sie und die Politik für Reformen früher ins Boot holt, ergibt sich durch den Wechsel eine grosse Chance. Ziel kann aber nur noch die Dämpfung des Kostenanstiegs sein. Alles andere würde die Bevölkerung anlügen. Absolute Kostensenkungen wären nur durch Rationierung zu erreichen. Entscheidend wird dabei langfristig auch sein, ob die Menschen bereit sind, auf gewisse Leistungen zu verzichten.
Was hältst du von der Höhe der Prämien im Vergleich zur Leistung?
Wenn wir schon über Interessen im Gesundheitswesen reden: Was sind Ihre Interessen?
Ich berate verschiedene Akteure und bin Geschäftsführer des «Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen». Da sind viele Akteure aller Branchen dabei und diskutieren über mögliche Lösungen, machen konkrete Vorschläge für Systemverbesserungen. Wichtig scheint mir, Lösungen zu finden, welche mehrheitsfähig werden könnten und an den richtigen Orten im System ansetzen. Dazu braucht es einen echten, offenen und lösungsorientierten Dialog auf höchster Ebene unter Einbindung aller Akteure.
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