Werden alle Schweizer überwacht? Das sagt der NDB

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SchweizWerden alle Schweizer überwacht? Das sagt der NDB

Der Bundesrat versicherte, dass mit der sogenannten Kabelaufklärung eine flächendeckende Überwachung sämtlicher Bürger ausgeschlossen sei. Das scheint jedoch nicht zu stimmen.

Mit der Kabelaufklärung erhält der Nachrichtendienst Zugriff auf die Kommunikation über Glasfaserkabel.
2016 versicherte der damalige VBS-Vorsteher Guy Parmelin, dass eine umfassende Überwachung, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, nicht geplant sei.
Eine Woche vor der Abstimmung versicherte auch Isabelle Graber, die Sprecherin des Nachrichtendiensts des Bundes (NBD), dass durch die sogenannte Kabelaufklärung weder Schweizer Bürger im In- noch im Ausland überwacht würden. Im Bild: Der Sitz des NBD in Bern.
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Mit der Kabelaufklärung erhält der Nachrichtendienst Zugriff auf die Kommunikation über Glasfaserkabel.

Tamedia AG

Darum gehts

Am 25. September 2016 haben die Schweizer Stimmberechtigten über das Nachrichtendienstgesetz abgestimmt. Dieses soll die Terrorabwehr effizienter machen. Der Nationalrat hatte die Vorlage mit 145 zu 41 Stimmen bei acht Enthaltungen angenommen, der Ständerat mit 35 zu fünf Stimmen bei drei Enthaltungen. 

Die Juso, die Grünen, die SP und die Piratenpartei waren entschiedene Gegner der Vorlage. Sie warnten unter anderem vor einem «Schnüffelstaat». Das Stimmvolk folgte jedoch der Mehrheit des Parlaments und nahm das revidierte Nachrichtendienstgesetz mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen an. 

Das versprach der Bundesrat

Im Sommer 2016 betonte SVP-Bundesrat Guy Parmelin, der zu dieser Zeit das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) leitete, dass eine umfassende Überwachung, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, nicht geplant sei. Eine Woche vor der Abstimmung versicherte auch Isabelle Graber, die Sprecherin des Nachrichtendiensts des Bundes (NBD), dass durch die sogenannte Kabelaufklärung weder Schweizer Bürger im In- noch im Ausland überwacht würden.

Kabelaufklärung

Mit der Kabelaufklärung erhält der Nachrichtendienst Zugriff auf die Kommunikation über Glasfaserkabel. Die Datenströme werden erfasst und nach bestimmten Sichtworten abgesucht. Kommt ein gesuchtes Stichwort vor, wird die Kommunikation vertieft ausgewertet. 

Im Abstimmungsbüchlein unterstrich der Bundesrat, dass die kürzlich verabschiedeten Vorschriften zur Kabelaufklärung äusserst präzise formuliert seien. Dieses Instrument könne nur im Falle konkreter Bedrohungen eingesetzt werden und schliesse eine flächendeckende Überwachung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger aus.

Recherche zeigt anderes Bild

Das Onlinemagazin «Republik» ist im Besitz von Gerichts­akten und amtlicher Korrespondenz. Dort zeige sich, dass keines dieser Versprechen eingehalten worden sei. Seit 2017 überwache die Schweiz den Internetverkehr ihrer Bürger in grossem Umfang gemäss dem verabschiedeten Gesetz. In offiziellen Gerichtsdokumenten gestehe das VBS ein, dass die inländische Kommunikation inhaltlich durchgesehen und analysiert werde. Zudem würden sämtliche Daten für spätere Suchanfragen gespeichert.

Eine Implikation hiervon sei auch, dass Journalisten den Schutz ihrer Quellen genauso wenig sicherstellen könnten wie Anwälte das Wahren ihres Berufsgeheimnisses. Dies liege daran, dass weder das Cyberzentrum ZEO noch der Nachrichtendienst explizit den Schutz dieser Berufsgruppen gewährleisten würden, was dazu führen könne, dass deren Kommunikation unter bestimmten Bedingungen an den Nachrichtendienst weitergeleitet werde. Vergangenes Jahr habe der Nachrichtendienst konkrete Massnahmen ergriffen, um die Überwachung über Kabel weiter zu verstärken. Kleinere Unternehmen seien aktiv dazu aufgefordert worden, ihre Infrastruktur für die Überwachung durch den ZEO-Dienst vorzubereiten. Dies habe auch Schweizer Unter­nehmen betroffen, die selber gar keinen grenz­überschreitenden Daten­verkehr anbieten.

Dieses Vorgehen stehe im Widerspruch zu den Aussagen des Nachrichtendienstes, der behauptet hat, dass nur Anbieter mit grenzüberschreitenden Leitungen überwacht würden.

Gegner fühlen sich bestätigt

Fabian Molina, SP-Nationalrat und damaliger Juso-Präsident im Abstimmungskampf, teilt gegenüber der «Republik» mit: «Die Informationen des Bundesrats von damals waren nicht korrekt. Die Grundrechte der Schweizer Bürgerinnen und Bürger werden in erheblichem Masse verletzt. Es besteht auch die Gefahr, dass die Daten in falsche Hände geraten.» Er fordert eine politische Aufarbeitung.  Der NDB habe offensichtlich seine Kompetenzen überschritten.

Auch der grüne Nationalrat, Ex-Bundesratskandidat und IT-Unternehmer Gerhard Andrey, zeigt sich wenig überrascht. Er betont gegenüber der «Republik», dass die Grünen bereits 2015 während der parlamentarischen Beratung des Nachrichtendienstgesetzes vorgeschlagen hatten, «den gesamten Abschnitt zur Kabelaufklärung zu streichen». Bereits damals sei klar gewesen, dass auch der Internetverkehr mit Ziel und Quelle in der Schweiz überwacht werden würde.

NDB widerspricht

«Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) macht keine flächendeckende Überwachung der Bevölkerung und keine Massenüberwachung. Der NDB hat keine Generalvollmacht, sondern verfügt über Instrumente für gezielte Eingriffe bei besonderen Bedrohungslagen», teilt der NDB am Dienstag mit.

Gefragt seien relevante Informationen und nicht «Big Data im Sinne von grossen Datenhaufen».

Bei der Kabelaufklärung dürfen nur jene Informationen bearbeitet werden, die den vorher definierten und genehmigten Suchbegriffen entsprechen, so der NDB weiter. Angaben über natürliche oder juristische Personen aus der Schweiz seien als Suchbegriffe nicht zulässig. Somit sei auch im Bereich der Kabelaufklärung weder eine Massenüberwachung der Schweizer Bevölkerung noch eine Komplettüberwachung der globalen Kommunikation erlaubt. Die gesamte Aktivität des NDB werde auf verschiedenen Stufen der Regierung, des Parlaments, der Verwaltung und von den Aufsichtsorganen laufend überwacht und streng kontrolliert. «Diese Kontrollen betreffen die Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit der Tätigkeiten des NDB», betont der Nachrichtendienst des Bundes. Bei der sogenannten Kabelaufklärung handele es sich um ein Mittel der Informationsbeschaffung über das Ausland. Befinden sich Sender und Empfänger in der Schweiz, wird laut NDB eine Weiterleitung der Kommunikation an den NDB nicht erlaubt sein und demzufolge vernichtet.

Die Informationen würden mittels Kabelaufklärung erst dann herausgepickt, wenn die entsprechende Bewilligung da sei. Ausserdem müsse das Gesuchte im Auftragsgebiet des NDB liegen. Bei der Kabelaufklärung gehöre die Schweiz nicht ins Auftragsgebiet des NDB.

Es bleibe bei der Überwachung nur das hängen, «was mittels spezifischer Suchbegriffe – die im Voraus festgelegt wurden – gesucht wird. Also quasi die Nadel und nicht der gesamte Heuhaufen».

Aufträge zur Kabelaufklärung seien genehmigungspflichtig. Bevor der NDB einen Auftrag zur Kabelaufklärung erteile, hole er die Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichts sowie die Freigabe durch die Vorsteherin oder den Vorsteher des VBS ein. Die Vorsteherin oder der Vorsteher des VBS konsultiere vorgängig die Vorsteherin oder den Vorsteher des EDA und die Vorsteherin oder den Vorsteher des EJPD. Kabelaufklärungsaufträge würden auf maximal drei Monate beschränkt. Allfällige Anträge zur Verlängerung würden ebenfalls das oben beschriebene Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die unabhängige Kontrollinstanz für die Funk- und die Kabelaufklärung (UKI) prüfe regelmässig, ob die verwendeten Suchbegriffe und die Resultate mit den genehmigten und freigegebenen Kategorien von Suchbegriffen übereinstimmen. 

So geht es jetzt weiter

Dieses Jahr wird die Frage geklärt, ob die staatliche Überwachung verstärkt oder eingeschränkt wird. Das VBS plant eine erneute Revision des Nachrichten­dienst­gesetzes. Der genaue Inhalt der neuen Vorlage ist noch nicht bekannt. Beobachter gehen davon aus, dass die geplante Erweiterung der Kabelaufklärung auf weitere Personen im neuen Entwurf beibehalten wird. Dadurch würde nachträglich legalisiert, was laut «Republik» bereits in der Praxis geschieht.

Die gezielte Anwendung der Kabelaufklärung auf einzelne Personen sei nie mehr als ein Mythos gewesen. Tatsächlich handele es sich um ein Programm zur umfassenden Überwachung der Bevölkerung, die in der Schweiz lebt.

Sollte der Bund mehr Kompetenzen bei der Überwachung erhalten?

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