Kinderpornografie«Der Konsum von Kinderpornos nimmt zu»
Bei der Suche nach Pädokriminellen sind Ermittlern oft die Hände gebunden. Wer hinter der Kinderporno-Industrie steckt und was die Ermittler alles mitansehen müssen, erklärt Hanspeter Krüsi von der Kantonspolizei St. Gallen.
Darum gehts
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Konsum von Kinderpornografie dramatisch zugenommen.
Auch die Kapo St. Gallen stellt die Zunahme fest.
Das Unicef schätzt, dass die Kinderporno-Industrie einen jährlichen Umsatz von über 12 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet.
Die Aktion Anti-Kinderporno schätzt die Zahl der minderjährigen Opfer auf 1,2 Millionen jährlich.
Die Ermittler müssen bei der Suche nach Pädokriminellen im Netz schlimmstes Foto- und Filmmaterial sichten.
Hanspeter Krüsi, nimmt der Konsum von Kinderpornos zu?
Ja, gerade seit Beginn der Pandemie bemerken wir eine Zunahme an Kinderpornografie-Fällen. Wir vermuten, dass das an der durch die Corona-Krise verstärkten digitalen Kommunikation liegt. Auch Minderjährige bewegen sich noch mehr online. Pädokriminelle nutzen dies, um sich Kindern und Jugendlichen online zu nähern und sie dazu zu bringen, ihnen Nacktaufnahmen zu schicken. Kommt dazu, dass viele Kinder während der Schulschliessungen sich selbst überlassen waren und zu Hause viel Zeit ausserhalb des Blickfelds von Lehrpersonen und Betreuerinnen verbracht haben – Gewalt und Misshandlung lassen sich so eher verheimlichen. Die Gründe für den Anstieg des Konsums von Kinderpornos können Stressfaktoren im Privaten wie im Beruflichen und Existenzängste sein. Diese haben während der Pandemie bei vielen zugenommen.
Gibt es eine eigentliche «Kinderporno-Industrie»?
Ja. Es handelt sich um mafiöse und weltweit sehr professionell agierende Strukturen, die grosse Geldsummen erzielen. Man redet medial immer von Kinderhändlerringen. Genauso wie Frauen verkauft oder gekauft werden, passiert das auch mit Kindern. Wir wissen von Heimen in Osteuropa, aus denen Käufer ein Kind einfach mitnehmen können, wenn der Preis stimmt. Es werden keine weiteren Fragen gestellt.
Welche Dimensionen haben diese Strukturen?
Die «Grossen» sitzen nicht in der Schweiz, sondern in anderen Ländern. Oftmals in Osteuropa, Südamerika oder Asien. Gemäss einem Grundlagenpapier der Unicef wird mit einem jährlichen Umsatz von über 12 Milliarden US-Dollar in der Kinderporno-Industrie gerechnet. Die Aktion Anti-Kinderporno schätzt die Zahl der minderjährigen Opfer auf 1,2 Millionen jährlich. Ein globaler Überblick, wie viel kinderpornografisches Material im Netz kursiert, fehlt. Das kanadische Zentrum für Kinderschutz hat im Jahr 2017 mithilfe eines automatisierten Website-Crawlers innerhalb von sechs Wochen über 230 Millionen Websites durchforstet und dabei über 5,1 Millionen Websites entdeckt, die 40’000 Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch enthielten.
Wie sucht die Kapo St. Gallen nach Pädokriminellen im Netz?
Die Kantonspolizei St. Gallen betreibt keine offensive Suche, wir stützen uns auf die Recherchedaten der Schweizerischen Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik). Wenn wir in einem anderen Zusammenhang Hinweise auf pädokriminelle Handlungen erkennen, leiten wir selbstverständlich entsprechende Ermittlungen ein.
Wo sind den Ermittlern Grenzen gesetzt?
Beim Versuch, einem Pädokriminellen das Handwerk zu legen, müssen sich unsere Ermittler in einem rechtlich sehr engen Korsett bewegen. Der Austausch von kinderpornografischem Material findet im Darknet oder auch in abgetrennten Gruppen, in sogenannten Peer-to-Peer-Netzwerken, statt. In diesen Netzwerken tauschen Pädokriminelle Dateien untereinander aus. Um in solche geschlossenen Gruppen aufgenommen zu werden, muss man zuerst selbst kinderpornografisches Material hochladen, also die sogenannte Keuschheitsprobe bestehen. Die Rechtslage in der Schweiz erlaubt es den verdeckten Ermittlern allerdings nicht, solches Material hochzuladen.
In anderen Ländern kann zur Keuschheitsprobe computergeneriertes Material einsetzt werden, um das Vertrauen von Pädokriminellen zu erlangen und diese zu überführen. In der Schweiz ist diese Methode nicht erlaubt. Erzielen die Ermittler dennoch Erfolge gegen Pädokriminelle?
Ja. Im Jahr 2018 hat etwa die Kantonspolizei St. Gallen ein grösseres Ermittlungsverfahren durchgeführt, wobei es zu 214 Anzeigen wegen sexueller Handlungen mit Kindern oder Konsum von Kinderpornografie kam. Aber es ist eine Tatsache, dass uns bei der Fahndung nach Pädokriminellen die Hände gebunden sind.
Was müssen die Ermittler auf ihrer Suche nach Pädokriminellen im Netz mitansehen?
Das Bild- und Videomaterial, das unsere Ermittler sichten, zeigt Vergewaltigungen und Misshandlungen, die bis zum Tod führen. Anale und vaginale Penetrationen mit allen erdenkbaren Gegenständen bis zum bewussten Zufügen von schwersten Verletzungen an intimen Stellen. Es gibt nichts, was es nicht gibt in diesem Milieu.

Yvonne Feri ist SP-Nationalrätin und Präsidentin von Kinderschutz Schweiz.
Parlamentsdienste«Betroffene Kinder leiden ihr ganzes Leben unter der sexuellen Gewalt»
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) führt ab Ende dieses Jahres für die Kantone keine verdeckten Fahndungen gegen Kinderpornografie und Pädokriminalität im Internet mehr durch. Diese Aufgabe liegt zukünftig komplett bei den Kantonen, die Koordination erfolgt über das Netzwerk digitale Ermittlungsunterstützung Internetkriminalität (Nedik), federführend ist die Kantonspolizei Bern.
Yvonne Feri, SP-Nationalrätin und Präsidentin von Kinderschutz Schweiz, kritisiert den Entscheid des Bundes: «Das Fedpol entzieht sich damit jeglicher Verantwortung. Wir verlieren viel Zeit, bis die Strukturen in den Kantonen wieder aufgebaut sind», so Feri. Manche Kantone hätten wirksame Kinderschutzgruppen, andere weniger. So hätten Pädokriminelle in einigen Kantonen vergleichsweise leichtes Spiel. Ihre Motion, worin sie in der Herbstsession eine nationale Strategie im Umgang mit Pädokriminalität im Internet forderte, ist beim Bundesrat allerdings abgeblitzt.
Durch das Internet und die schnelle Verbreitung von kinderpornografischem Material sei das Kindeswohl heute mehr denn je gefährdet. Die Strafurteilsstatistik des Bundesamts für Statistik verzeichne zudem einen Anstieg von Verurteilungen wegen Kinderpornografie. Deshalb müsse die Überwachung im Internet intensiv fortgesetzt und Kindesmisshandlung sowie der Konsum von kinderpornografischem Material aufs Äusserste verfolgt werden. Feri plädiert dafür, dass das Strafrecht und jene Passagen, die etwas mit Digitalisierung und sexueller Gewalt zu tun haben, immer wieder neu überprüft werden. «Anders kann man Kinder kaum schützen.» Und noch etwas betont die Kinderschützerin: «Betroffene Kinder leiden ihr ganzes Leben unter der erfahrenen sexuellen Gewalt – und das kostet den Staat viel Geld.»
Serie zu Pädophilie und sexueller Gewalt an Kindern
Teil 1: Pascal (45): «Ich wurde als Kind jahrelang sexuell misshandelt»
Teil 2: Philipp (28): «Ich bin pädophil, aber ich werde nie ein Kind anfassen»
Teil 3: Marion (51): «Mein Ex-Mann ist pädokriminell und sitzt im Gefängnis»
Teil 4: Sandra (58): «Ich bin mitschuldig, dass mein Sohn sexuell misshandelt wurde»
Teil 5: Kapo St. Gallen: «Der Konsum von Kinderpornos nimmt wegen Corona zu»
Bist du oder jemand, den du kennst, pädophil oder von Pädokriminalität betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Castagna, Opferhilfe für sexuell ausgebeutete Kinder und Bezugspersonen
Kokon, Beratungsstelle und Hotline für Betroffene von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du beim Institut Forio und bei den Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK).
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