«Mein Ex-Mann ist pädokriminell und sitzt im Gefängnis»

Aktualisiert

Pädokriminalität«Mein Ex-Mann ist pädokriminell und sitzt im Gefängnis»

Marion (51)* führte eine glückliche Ehe. Doch dann stand die Polizei vor der Tür und nahm ihren Mann fest – er hatte sich am Nachbarsjungen vergangen. Trotzdem blieb Marion noch zehn Jahre bei ihm.

Marion* erzählt im Video, was die Pädokriminalität ihres Ex-Mannes mit ihr und ihren Kindern gemacht hat.

Video: Helena Müller

Darum gehts

  • Marion* war 25 Jahre mit einem Mann verheiratet, der Kinder sexuell misshandelte.

  • Als sie davon erfuhr, riss es ihr die Füsse unter dem Boden weg.

  • Nach der ersten Verurteilung blieb sie dennoch bei ihrem Mann und hoffte, dass alles wieder gut werden würde.

Steffen Lau ist forensischer Psychiater an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und schreibt Gerichtsgutachten über Pädokriminelle.

Steffen Lau ist forensischer Psychiater an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und schreibt Gerichtsgutachten über Pädokriminelle.

Privat

Herr Lau, Marion Riedhammer* blieb bei ihrem Mann, obwohl sie wusste, dass er ein Kind missbraucht hatte. Kommt so was häufiger vor?

Dazu gibt es kaum Erkenntnisse.

Welche Folgen haben die pädokriminellen Straftaten für die Familie des Täters?

Hier kann man keine generellen Aussagen treffen. Aber solch eine Situation führt zu einer enormen Belastung der Familie. Die häufigste Reaktion der Öffentlichkeit wird soziale Ächtung sein.

Was führt dazu, dass Pädophile zu Pädokriminellen werden?

Nicht jeder Pädophile wird zum Täter. Mögliche Täter durchlaufen aber meist mehrere innere Stufen. Zu Beginn steht die Einsicht, dass man sich zu Kindern sexuell hingezogen fühlt. Die aufkommenden Fantasien werden mehr und mehr akzeptiert und vermehrt zugelassen. Es folgt das Fantasieren über mögliche Taten an Kindern, was bei manchen schliesslich zum Entscheid führt, die Tat durchzuführen. Gerade bei Kernpädophilen, die sich gedanklich Tag und Nacht in der Welt von Kindern aufhalten, ist der Druck besonders hoch. Denn Kinder sind das zentrale Element ihrer Sexualität. Diese werden ziemlich sicher Grenzen überschreiten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Pädophiler sein Leben lang enthaltsam bleibt?

Man lernt die enthaltsamen Pädophilen ja meist nicht kennen, sondern nur jene, die gegen das Gesetz handeln und dabei erwischt werden.

Werden Menschen, die selbst Missbrauch erlebt haben, eher pädophil?

In der Wissenschaft weiss man inzwischen, dass bei Sexualstraftätern insgesamt ein grosser Prozentsatz selbst negative sexuelle Erfahrungen in der Kindheit hatte. Aber jemand wird sicher nicht einzig durch die sexuellen Misshandlungen pädophil.

Wenn ein Pädophiler sagt, dass er keine Gedanken mehr an Minderjährige habe, glauben Sie das?

Ich bin da skeptisch. Viele Betroffene sagen, dass sie keine Gedanken mehr an Kinder haben, weil sie sich nicht ständig rechtfertigen möchten. Oftmals ist es auch eine erfüllte Beziehung mit einer erwachsenen Person, die dazu beitragen kann, dass Pädophile ihre sexuellen Fantasien Kindern gegenüber ausblenden können. Aber wenn man länger mit ihnen spricht, wird man eine Affinität zu Minderjährigen finden können.

Ist es eine reine Beschönigung der Tat, wenn Pädokriminelle ihre belastende Arbeit als Auslöser nennen?

Pädokriminelle reden sich gern die Situation schön. Sie wollen relativieren und suchen sich äussere Faktoren für ihre Tat. Aber die Entscheidung liegt bei ihnen. Das müssen sie akzeptieren. Weder der Stress im Büro noch im Privaten sind schuld daran, sich Missbrauchsbilder anzuschauen. Der Täter ist selbst verantwortlich für seine Handlung.

Ist es eine billige Ausrede, seinen Trieben die Schuld zu geben?

Ja, denn jeder hat Triebe, und der Mensch kann seine Triebe eigentlich gut beherrschen. Für Pädophile wird es aber schwer, weil sie per se einen nicht gesellschaftlich akzeptablen Wunsch haben.

Ist wahre Reue möglich, und können Pädokriminelle Schuld eingestehen?

Es gibt durchaus Straffällige, die wirklich Reue zeigen und Schuld eingestehen.

Wissen die Täter überhaupt, dass sie etwas Verbotenes getan haben?

Ja, auf jeden Fall. Pädokriminelle wissen ganz genau, dass die Misshandlung von Kindern oder der Konsum von Kinderpornos verboten sind. Aber sie argumentieren gern, dass das Verbot falsch sei. Sie relativieren und bagatellisieren gern ihre Taten. Viele Pädokriminelle haben erhebliche kognitive Verzerrungen.

Wie viel Prozent der Pädophilen werden straffällig?

Das ist schwer, zu sagen, da wir ja nur jene Fälle kennen, die zur Anzeige kommen. Man geht aber davon aus, dass etwas weniger als die Hälfte aller Pädophilen straffällig wird. In der Schweiz wären das etwa 20’000 pädophile Straftäter. Aber es gibt auf jeden Fall mehr Pädokriminelle als aktenkundig.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Die dürfte hoch sein. Denn oftmals werden Übergriffe nicht wahrgenommen, innerhalb der Familie totgeschwiegen, oder sie werden nicht zur Anzeige gebracht.

Wie hoch ist das Rückfallrisiko pädosexueller Täter?

Sexualstraftäter haben ein Rückfallrisiko von etwa 25 Prozent. Bei unbehandelten Pädokriminellen liegt das Risiko bei über 30 Prozent. Bei den behandelten Pädokriminellen zwischen 10 bis 15 Prozent. Von den rund 20’000 straffälligen Pädophilen werden 6000 rückfällig, wenn diese unbehandelt bleiben. Davon können nochmals 3000 abgezogen werden, wenn diese in therapeutischer Behandlung sind.

*Name geändert

Bist du oder jemand, den du kennst, pädophil oder von Pädokriminalität betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Castagna, Opferhilfe für sexuell ausgebeutete Kinder und Bezugspersonen

Kokon, Beratungsstelle und Hotline für Betroffene von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du beim Institut Forio und bei den Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK).

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