Bafu manipulierte Bericht zur Artenvielfalt

Publiziert

Druck der LandwirtschaftRösti-Bundesamt frisierte Bericht zur Artenvielfalt

In der Schweiz sind ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume für Tiere und Pflanzen bedroht. Doch ein Bericht des Bundes zum Thema wurde offenbar heftig geschönt.

Albert Rösti steht dem Uvek und damit auch dem Bundesamt für Umwelt vor.
In einem Bafu-Bericht zur Artenvielfalt in der Schweiz sollen nun unter Röstis Leitung der Einfluss der Wasserkraft ...
... und der Landwirtschaft künstlich heruntergespielt worden sein.
1 / 4

Albert Rösti steht dem Uvek und damit auch dem Bundesamt für Umwelt vor.

20min/Shanice Bösiger

Darum gehts

  • Das Bundesamt für Umwelt soll einen Bericht zur Situation der Biodiversität in der Schweiz vor der Veröffentlichung kräftig entschärft haben.

  • So seien der Einfluss der Landwirtschaft und der Wasserkraft heruntergespielt worden.

  • Die grössten Änderungen am Bericht wurden demnach unter Bundesrat Rösti (SVP) angebracht.

Vor rund einem Jahr legte das Bundesamt für Umwelt (Bafu), das zu Albert Röstis  Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) gehört, einen Bericht zur Situation der Biodiversität in der Schweiz vor. Doch dieser sorgte bei Expertinnen und Experten für Kopfschütteln: Wie die «Republik» aufgrund eingehender Recherchen berichtet, stellt der Bericht die Artenvielfalt als deutlich weniger stark bedroht dar, als sie es tatsächlich ist.

Der im Juni 2023 publizierte Bericht namens «Wirkung des Aktionsplans Biodiversität», der wegen der 2012 beschlossenen Förderung der Artenvielfalt mit zehn klar definierten Zielen in Auftrag gegeben wurde, dreht sich um die Beantwortung der Frage, wie weit die Schweiz bei der Verfolgung dieses Ziels bereits gekommen ist. Der entsprechende Aktionsplan trat allerdings erst 2017 in Kraft. Vier Jahre später will man nun wissen, was dieser bereits gebracht hatte.

Passagen entfernt, Aussagen geschönt

Gemäss dem Bericht ist das Land gut auf Kurs. Doch ein Vergleich mit internen und externen Gutachten zum selben Thema zeigt laut der «Republik» auf, dass der Bericht des Bundes nicht nur massiv geschönt, sondern auch durch Weglassungen und Löschungen bestimmter Passagen so frisiert wurde, dass die Fortschritte bei der Biodiversität viel positiver dargestellt wurden, als sie es wirklich sind.

Zitiert wird etwa ein Satz aus der ursprünglichen Version des Berichts. «In der Agrar­landschaft wirkt sich die derzeitige land­wirtschaftliche Praxis mit ihren hohen Stickstoff- und Pflanzen­schutzmittel­einträgen negativ auf die Arten­vielfalt aus», heisst es da. In der publizierten Version steht hingegen: «In der Agrar­landschaft gestaltet sich die Entwicklung bei den Biodiversitäts­-Förderflächen positiv.» Diese seien angewachsen. Doch laut Experten sagt die Grösse der Förder­fläche allein wenig über den Zustand der Biodiversität aus. Dass die Landwirtschaft letztere durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln negativ beeinflusst, werde so verschleiert.

Experten üben scharfe Kritik

Auch die Aussage, dass der Ausbau der Wasserkraft eine Ursache für verminderte Biodiversität in den Alpen sei, wurde aus dem Bericht entfernt. Zudem nennt der Artikel weitere Fakten, die in den entsprechenden Gutachten eine Gefährdung der Artenvielfalt belegen und für die Schlussfassung verändert oder entfernt wurden. Spannend in diesem Zusammenhang ist, dass Albert Rösti vor seiner Wahl in den Bundesrat Präsident des Wasserwirtschafts­verbands war.

Auf Anfrage der «Republik» liess das Bafu verlauten, es sei «üblich, dass in einem Produktions­prozess Änderungen vorgenommen werden» und dass der publizierte Bericht auf Fakten und Daten basiere, die «sachgerecht» dargestellt worden seien. Doch dies lassen Experten nicht gelten: «Diese Änderungen zeigen den Versuch, den Umfang der Probleme im Bereich Biodiversität in der Schweiz herunter­zuspielen oder die Situation schönzureden», sagt Raffael Ayé, Geschäftsführer der Naturschutz­organisation Birdlife Schweiz. Und die Akademie der Natur­wissenschaften Schweiz hält fest, dass die Biodiversität in der Schweiz trotz Förder­massnahmen in vielen Bereichen weiter abnehme.

Ziele kurzerhand herabgesetzt

Denn die für den Bericht eingekauften Gutachten zeigten auf, dass nur ein Drittel der Massnahmen auf Kurs war. Doch das Bafu schaute sich das Ganze selbst noch einmal an und kam zum Schluss, über die Hälfte der Massnahmen sei auf Kurs. Laut Ayé wurde dies aber nicht etwa durch verstärkte Anstrengungen erreicht, sondern indem man einfach die Ziele heruntergeschraubt habe. Dies wird vom Bafu sogar bestätigt.

Glaubst du, der Bund macht genug für die Artenvielfalt?

Mehrere angefragte Politikerinnen und Politiker reagierten empört auf die Erkenntnisse der «Republik»-Recherche: «Ich bin schockiert. Es darf nicht sein, dass bei uns Fachberichte von Amts­stellen geschönt und für politische Ziele missbraucht werden», sagt dazu SP-Nationalrätin und Umweltpolitikerin Martina Munz. Und Kathrin Bertschy von der Grünliberalen Partei: «Wenn die wenigen Massnahmen, die man beschlossen hat, nicht einmal wissenschaftlich korrekt beurteilt werden, dann ist das nur noch zum Haareraufen.»

Aufklärungskampagne wurde beerdigt

Obwohl die meisten bzw. wichtigsten Änderungen am Bericht in die Amtszeit von Bundesrat Rösti fallen, habe bereits Simonetta Sommaruga dazu beigetragen, dass die Anstrengungen des Bundes gebremst würden, heisst es. So sei eine bereits ausgeschriebene Kampagne, die der Bevölkerung die Bedrohung der Artenvielfalt hätte aufzeigen sollen, von ihr versenkt worden – möglicherweise, um dem Vorwurf der «Behördenpropaganda» zu entgehen.

Bei ihren Recherchen erfuhr die «Republik» zudem von Mitarbeitenden des Bafu, dass Fachwissen oft hinter politische Motive zurücktreten müsse. Erwartet werde, «dass die von oben erwünschte Position vertreten werde und nicht die aus fachlicher Sicht korrekte», heisst es. Das Fazit des Artikels: Das Bafu drohe, «zu einem verlängerten Arm der Politik, einer Art Beschönigungs- oder Propaganda­behörde, zu verkommen».

Folgst du schon 20 Minuten auf Whatsapp?

Eine Newsübersicht am Morgen und zum Feierabend, überraschende Storys und Breaking News: Abonniere den Whatsapp-Kanal von 20 Minuten und du bekommst regelmässige Updates mit unseren besten Storys direkt auf dein Handy.

Deine Meinung zählt

159 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen