E-Autos: «Es gibt keine ultimative Wahrheit in Sachen Nachhaltigkeit»

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E-Mobilität«Es gibt keine ultimative Wahrheit in Sachen Nachhaltigkeit»

Für Mobilitätsexperte und Autoentwickler Frank M. Rinderknecht war der Umstieg auf erneuerbare Energie unabdingbar – auch wenn er die heutigen Batterien und Antriebe für verbesserungsfähig hält.

von
Adrian Schräder
Der Schweizer Mobilitätsexperte und Autoentwickler Frank M. Rinderknecht hat zeitgleich mit Tesla das erste Elektrofahrzeug entwickelt.
Derzeit fährt er mit einem VW ID. Buzz von Genf quer durch Saudiarabien nach Doha in Katar.
Das neuste Rinspeed-Konzept heisst CitySnap und soll dafür sorgen, dass 50 Prozent der Lieferfahrzeuge eingespart werden.
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Der Schweizer Mobilitätsexperte und Autoentwickler Frank M. Rinderknecht hat zeitgleich mit Tesla das erste Elektrofahrzeug entwickelt.

Geneva International Motor Show

Darum gehts

  • Die Hersteller von Elektroautos haben das Kräfteverhältnis in der Autoindustrie durcheinandergewirbelt.

  • Mobilitätsexperte Frank M. Rinderknecht glaubt, dass mit dem Siegeszug des Elektroantriebs ein wichtiger Schritt zum Umdenken gemacht worden ist.

  • Dennoch sieht er die aktuellen Antriebsformen und Speichermedien nicht als endgültige Lösung.

  • Die Frage sei nun, wie man nachhaltig genug Strom erzeugen könne.

  • Beim Autokauf sei es wichtig, ein ehrliches Nutzungsprofil zu erstellen.

Herr Rinderknecht, Sie sind seit Jahrzehnten am Puls der Zeit in Sachen Mobilität. Wobei erwischen wir Sie gerade?

Bei den Vorbereitungen einer Fahrt von rund 6500 Kilometern von Genf nach Doha – mit dem Elektroauto.

Warum tut man sich das an?

Wir wollen die Geneva International Motorshow im Oktober in Doha bekannt machen und symbolisch und nachhaltig die Historie und Exzellenz des «Auto-Salons» nach Katar tragen. Gleichzeitig ist es ein Abenteuer: Wir fahren etwa quer durch Saudiarabien, wo es keine nennenswerte Lade-Infrastruktur gibt. Dort kostet das Benzin 50 Rappen und die Distanzen sind riesig. Um dieses Dilemma zu lösen, ist Erfindergeist nötig.

Den bringen Sie mit: Sie beschäftigen sich schon extrem lange mit Mobilität und Mobilitätskonzepten. Wie lange spielt das Thema Nachhaltigkeit dabei schon eine Rolle?

2001 haben wir bei Rinspeed unser erstes nachhaltiges Auto gebaut – damals mit Biogas-Antrieb. 2007 haben wir das erste Elektroauto gebaut – also zeitgleich mit Tesla.

Zuvor haben Sie mit Ihrer Firma Rinspeed vor allem schnelle Autos gebaut. Wieso der Sinneswandel?

Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Damals präsentierte Bugatti einen Wagen mit 1001 PS. Das war eindrücklich, aber wenig sinnvoll. So entschieden wir uns für den grünen Weg. Wir rechneten mit schiefen Blicken. Aber Weg und Zeitpunkt erwiesen sich als goldrichtig: Wir wurden zu Mitinitiatoren eines Trends.

Heisst dies, die Autoindustrie ist heute auf dem richtigen Weg?

Da würde ich provokativ fragen: Was ist der richtige Weg? All die Sachen, die man liest über graue Energie und Energiebilanzen, haben ihre Berechtigung. Nachhaltigkeit verbindlich zu messen, ist noch immer extrem schwierig. Für mich geht es um eine grundsätzliche Frage, die über all dem steht. Wir können nicht einfach immer weiter auf fossile Brennstoffe setzen. Fertig, aus. Das Wie ist erst mal noch zweitrangig.

Sehen Sie eine Alternative zum Elektroantrieb?

Strom ist aus meiner Sicht nach aktuellem Kenntnisstand die einzige erneuerbare Energie. Auch für die Herstellung von Wasserstoff braucht man Strom. Es geht also nicht ohne. Die Frage ist nun: Wie optimiert man das? Wie nachhaltig kann man Strom erzeugen?

Hat Sie der plötzliche Siegeszug der Elektroautos erstaunt?

Man muss ganz klar sagen: Elon Musk war der Pionier. Er ist hundertmal totgesagt worden. Ich selbst hatte auch meine Zweifel, ob er unabhängig überleben kann. Aber er hat es geschafft. Und warum? Weil er die Emotionen der Menschen mitberücksichtigt hat. Er hat begriffen, dass Nachhaltigkeit nicht Verzicht bedeuten muss. Er hat Autos gebaut, die ordentlich aussehen und eine sehr schöne Fahrleistung haben. Er hat von Steve Jobs gelernt: Als Tesla-Fahrer ist man Teil einer Community – so wie die Apple-User. Es ist ein Lifestyle.

Tesla hat den Markt umgekrempelt. Hat sich die traditionelle Autoindustrie mittlerweile vom Schock erholt?

Vom Schock vielleicht. Aber das nützt ihr nicht viel. Die traditionellen Autohersteller sind von Jagenden zu Gejagten geworden. Selbst schuld: Sie wollten nicht wahrhaben, dass es nicht ewig so weitergeht. Ich glaube, diese Entwicklung wird ganz schwer reversibel sein. In zehn Jahren werden auf dem Massenmarkt ganz andere Kräfte am Ruder sein. Aktuell kaufen Audi und Volkswagen in China alte Plattformen für ihre Elektroautos ein, weil sie selbst nicht agil genug dafür sind. Die Chinesen sind in der Grossoffensive. Sie machen hübsche Autos, sie sind gut verarbeitet, Elektronik verstehen sie besser als die Europäer. Sie nutzen die Gunst der Stunde schamlos aus und sind gleichzeitig 20 Prozent günstiger.

Für den Konsumenten wirkt es so, als ob auch in Bezug auf die Elektroautos immer wieder eine neue Wahrheit ans Licht kommt. Wie nachhaltig sind sie wirklich?

Gibt es die ultimative Wahrheit? Wahrheit ist subjektiv. Jeder Hersteller und jeder Käufer und jede Käuferin versucht, die Fakten für sich zu nutzen. Oder zu ignorieren. Für mich ist ganz klar, dass die aktuellen Antriebe und Speichermedien nicht die Ultima Ratio darstellen. Aber nochmals: Wichtig ist, dass wir auf erneuerbare Energie umsteigen.

Beschäftigen Sie sich bei Rinspeed noch mit dem Antrieb?

Nein, aktuell nicht. Ein Elektromotor ist ja auch nichts Komplexes. Das ist hundertmal einfacher als ein Verbrennungsmotor.

Fahren Sie selbst noch gern Auto?

Nein, Autofahren ist für mich in 95 Prozent der Fälle rein zweckgebunden. Ich fahre aktuell meist einen Benziner, weil ich oft an einem Tag 600 bis 800 Kilometer ohne Pause zurücklegen muss. So lange hinter dem Steuer zu sitzen, hat mit Fahrspass wenig zu tun.

Wünschen Sie sich da nicht das selbstfahrende Auto?

Natürlich. Ich könnte die Zeit viel besser nutzen.

Jetzt haben wir konstatiert, dass Autofahren etwas Emotionales ist. Und dass der Mensch – unabhängig vom Antrieb – noch immer ganz gern selbst fährt. Kommt denn das selbstfahrende Auto überhaupt?

Spannend ist es, die Wahl zu haben: selbst fahren oder automatisiert. Aber man hat jahrelang unterschätzt, was ein Mensch alles leistet, um eben nicht irgendwo reinzucrashen. Die richtigen und vor allem sicheren Systeme zu entwickeln, dauert.

Die Bevölkerung und damit die Blechlawine nimmt zu. Mobilität wird heute eingeschränkt: In den Städten kommt immer mehr Tempo 30, auf den Autobahnen diskutiert man über Tempo 60. Ist das nicht ein Rückschritt?

Auf gewissen Strecken innerorts ist Tempo 30 sicher sinnvoll. Aber viel wichtiger ist die Frage, wie man die Anzahl Fahrten und damit auch der Fahrzeuge reduzieren kann. Das muss über eine clevere Lösung passieren. Denn wir betrachten Mobilität nicht nur als Grundbedürfnis, sondern auch als Grundrecht. Wir wollen uns bewegen. Und auch wenn man den Privatverkehr so reglementiert, dass man die Leute faktisch dazu bewegt, Velo zu fahren: Der Warenverkehr bleibt bestehen. Seit der Covid-Pandemie hat E-Commerce nochmals unglaublich zugelegt. Schauen Sie mal, wie viele Paketdienste heutzutage unterwegs sind. Diesem Problem nehmen wir uns bei Rinspeed mit dem CitySnap-Konzept an.

Worum geht es dabei?

Um eine neue Generation von elektrisch betriebenen Lieferfahrzeugen, die mobile Paketstationen selbstständig verteilen, abstellen und wieder einsammeln. So können gemäss einer neuen Studie bis zu 50 Prozent der Lieferfahrzeuge eingespart werden.

Noch eine persönliche Frage: Mein Diesel mit Baujahr 2008 gibt langsam den Geist auf. Ich vertraue wegen Familie, Ferien und kranker Mutter aufs Auto, aber mein Budget ist beschränkt. Dennoch will ich einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Was kaufe ich?

Das hängt ganz von Ihren Bedürfnissen ab. Und zwar den tatsächlichen Bedürfnissen, nicht von dem Gefühl der «inneren Freiheit». Man gaukelt sich da gern etwas vor. Die Frage ist: Fahren Sie regelmässig weite Strecken oder fahren Sie nur in einem Radius von 100 km? Fahren Sie tatsächlich mehrmals pro Jahr ins Ausland? Man muss ein ehrliches Nutzungsprofil erstellen, dann hat man die Antwort schnell. Emotionen sollten dabei nur diejenigen zulassen, die sich Emotionen leisten können.

Mehr Informationen unter Genevamotorshow.com/tour-dexcellence und Rinspeed.com.

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