Extremismus«Müssen mit Gewalt von einzelnen Staatsverweigerern rechnen»
In der Zürcher Gemeinde Andelfingen leben Staatsverweigerer, mindestens einer ist bewaffnet. Extremismusexperte Dirk Baier sagt, sie dürften nicht als harmlose Spinner abgetan werden.
Darum gehts
In Andelfingen ZH wollen Staatsverweigerer ihre Rechnungen nicht bezahlen.
Steuerrechnungen schicken sie an die Gemeinde zurück.
Mindestens einer soll auch bewaffnet sein.
Extremismusexperte Dirk Baier erklärt, weshalb er darüber nicht überrascht ist und weshalb die Staatsverweigerer nicht mit Staatskritikern in einen Topf geworfen werden sollen.
Die Zürcher Gemeinde Andelfingen kämpft mit Staatsverweigerern: Sie bezahlen keine Steuern oder Abgaben, glauben daran, dass der Staat eine Firma ist und bedrohen die Behörden.
Laut Dirk Baier, Extremismusforscher an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), ist das Phänomen ernst zu nehmen. Die Schweiz habe aber wie kaum ein anderes Land der Welt die Möglichkeiten, auch zu Demokratiefeinden durchzudringen.
Bewaffnete Staatsverweigerer im beschaulichen Andelfingen. Überrascht Sie das?
Nicht unbedingt. In der Schweiz war es vor Corona lange ruhig um diese Szene. Durch die Pandemie wurden Menschen mit dieser Ideologie aber viel mutiger und dadurch auch sichtbarer. Dass es jetzt tatsächlich Menschen gibt, die sich trauen, den Staat offen abzulehnen, nichts zu bezahlen und den Kampf mit den Behörden aufzunehmen, überrascht mich nicht.
Wieso wirkte die Pandemie hier als Brandbeschleuniger?
Weil klar wurde, dass wir einen Staat haben, der in Extremsituationen harte Entscheidungen treffen und die Menschen auch einmal piesacken muss und auch kann. Dazu kommt, dass die Informationen zu diesen Themen explosionsartig zugenommen haben. Es gibt heute Workshops, wo man lernt, wie man sich gegen die «Firma Staat» wehren kann, wie man Einsprachen formulieren muss, Gemeindepräsidenten verklagen kann und so weiter.
Staatskritisch wurden in der Pandemie viele. Wo ist die Abgrenzung zum Staatsverweigerer?
Kritische Gedanken dem Staat und der Demokratie gegenüber hegen laut einer Umfrage von uns tatsächlich bis zu 30 Prozent der Menschen. Wir haben sie als «ambivalent» bezeichnet, weil sie eben nicht eindeutig positiv über die Demokratie und Staat denken. Dass aber wirklich eine totale Ablehnung des Staats daraus resultiert und auch noch die verschwörungsideologischen Gedanken des Staats als Firma zusammenkommen, ist eher selten. Wir dürfen deshalb staatskritische Menschen auch nicht einfach in einen Topf werfen mit Staatsverweigerern, das ist viel facettenreicher. Und kritische Stimmen machen ja gerade eine Demokratie aus.
Der Staat als Firma – woher kommt diese Idee?
Aus der Reichsbürgerbewegung. Die hat ihre Ursprünge bereits im Deutschland der 1970er-Jahre. Die Bundesrepublik Deutschland war damals die «Firma» und die Reichsbürger wollten eben zurück zum Reich, das ja nie abgeschafft worden sei. Auch in Österreich gab es solche Bewegungen. In der Schweiz gab es vor Corona vor allem in der Ostschweiz einzelne Grüppchen. Es sind Deutsche und Österreicher in die Ostschweiz gekommen, weil sie hier weniger unter Beobachtung standen.
In Deutschland probten Reichsbürger kürzlich den bewaffneten Sturz des Staats, ein Polizist wurde getötet. Droht das auch hier?
Das ist eine mögliche Zukunft, ich will das nicht ausschliessen und wir müssen das ernst nehmen. Wir müssen mit Gewalt von einzelnen Staatsverweigerern rechnen. Diese Gruppierungen haben oft eine gewisse Affinität Waffen gegenüber. Gefährlich wird es dann, wenn der ganze Lebensentwurf zu scheitern droht, wenn den Menschen das Haus und das Grundstück weggenommen werden, dann kann es zu Gewalt kommen. Wir dürfen sie nicht als harmlose Spinner abtun. Eine Vernetzung von bewaffneten Gruppierungen mit dem Ziel, den Staat zu stürzen, lässt sich bislang aber nicht feststellen.
Wie kann die Gesellschaft verhindern, dass es so weit kommt?
Die Schweiz hat aufgrund der vielfältigen Mitsprachemöglichkeiten wie der wiederkehrenden Volksabstimmungen wie kaum ein anderes Land Möglichkeiten dazu, Menschen die Vorteile der Demokratie aufzuzeigen, sie für die Demokratie zu gewinnen. Die Menschen können hier zudem kritische Positionen mit demokratischen Mitteln wie Initiativen zum Ausdruck bringen, sie können sich also aktiv einbringen. Wichtig ist aber zugleich, dass wir keine Sonderfälle für Staatsverweigerer schaffen: Es ist absolut richtig, wenn die Behörden unbezahlte Rechnungen abmahnen und das Recht für alle durchgesetzt wird.
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