Andelfingen ZH: Das denken Andelfinger über die Staatsverweigerer

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Andelfingen ZH«Durchgeknallt» – das denken Andelfinger über die Staatsverweigerer

In Andelfingen bäumt sich eine kleine Gruppe gegen den Staat auf und weigert sich, ihre Steuern zu zahlen. Im Dorfzentrum sorgt das für Kopfschütteln und Verwunderung.

In der Gemeinde Andelfingen beschäftigen Staatsverweigerer das Betreibungsamt.
Über vier Fälle von Staatsverweigerern berichtete zuerst der «Landbote». 
Andelfingerinnen und Andelfinger sagen gegenüber 20 Minuten, dass sie verwundert sind, dass es in dieser idyllischen Gemeinde Menschen geben soll, die Steuern und andere Rechnungen nicht zahlen wollen.
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In der Gemeinde Andelfingen beschäftigen Staatsverweigerer das Betreibungsamt.

20min/Christina Pirskanen

Darum gehts:

  • In Andelfingen ZH gibt es laut dem Gemeindepräsidenten vier Fälle von Staatsverweigerern. 

  • Diese Personen wollen keine Steuern bezahlen und ignorieren die Rechnungen für Leistungen wie Wasser und Strom.

  • Vor Ort zeigen sich die Bewohnerinnen und Bewohner zumeist verwundert ab dieser Tatsache. 

Die ruhig gelegene Gemeinde Andelfingen mit ihren rund 3400 Einwohnern liegt etwa 30 Autominuten von der Zürcher Innenstadt entfernt. Im Dorfkern ragt ein imposanter Kirchenturm in die Höhe – idyllische Altbauten mit roten Querbalken malen ein friedliches Bild.

Doch der Anblick scheint zu trügen: Staatsverweigerer treiben das hiesige Steueramt zur Weissglut, weil sie sich weigern, ihre Steuern zu zahlen. Auch Bund, Kantone und Gemeinde lehnen sie ab – die öffentlich-rechtliche Schweiz sei «nur noch vorgetäuscht» und zur Firma umfunktioniert. Betreibungsbeamte werden massiv bedroht, mindestens ein Staatsverweigerer hat zu Hause eine Waffe. Extremismusexperte Dirk Baier warnt davor, sie als harmlose Spinner abzutun.

«Musste mir an den Kopf fassen»

Dass Personen mit solchen Weltanschauungen in Andelfingen leben, verwundert und schockiert die meisten Menschen, die die beiden 20-Minuten-Reporterinnen am Donnerstagnachmittag im Dorfzentrum antreffen. Zwischen dem Dorf-Volg und einer Bäckerei lässt es sich gut für einige Minuten plaudern – im Rest des Dorfes ist es menschenleer.

«Ich habe heute Morgen in der Zeitung von den Staatsverweigerern gelesen und mir an den Kopf fassen müssen», erzählt ein 82-jähriger ehemaliger Gymnasiallehrer aus Andelfingen. Ihm sei dabei nur das berühmte Zitat des Physikers Albert Einstein eingefallen: «Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit – aber beim Universum war er sich bekanntlich ja nicht ganz sicher.»

Der Rentner meint, dass es sich mit solchen Menschen nicht zu diskutieren lohne: «Dafür sind sie zu stur, diese ‹Spinnsieche›.»

«Doch nicht so heile Welt»

20 Minuten trifft auch auf die 27-jährige Lisa, die mittlerweile nicht mehr in Andelfingen lebe, aber dort aufgewachsen sei. Auch sie habe aus den Medien von den Staatsverweigerern erfahren.

«Niemand bezahlt gerne Steuern, aber wir müssen alle unseren Beitrag leisten, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Letztlich profitieren wir alle davon», sagt sie. Es habe sie erstaunt, zu lesen, dass es gerade in diesem ländlichen Ort solche Leute geben soll. «Auch hier ist es scheinbar doch nicht so eine heile Welt, wie man denkt», stellt sie fest.

«Gehts noch?»

Auf dem Parkplatz vor dem Andelfinger Volg herrscht plötzlich mehr Verkehr. Eine ältere Dame zeigt sich ebenfalls sehr verwundert über die mediale Berichterstattung über Andelfingen. Sie habe noch nie etwas davon gehört. Einer weiteren Anwohnerin, die soeben in ihr Auto steigen will, geht es gleich: «Ich wusste nicht einmal, dass es Staatsverweigerer in dieser Form gibt! Steuern nicht bezahlen, gehts eigentlich noch?», sagt sie.

Sie habe sich sehr über die Verweigerer geärgert, als sie darüber gelesen hatte. «Die sind doch durchgeknallt – ich hoffe, dass die Gemeinde da nicht locker lässt oder nachgibt. Von mir aus könnte man diese Menschen auch direkt ins Gefängnis stecken», fordert sie.

«Auch ich fühle mich vom Staat verarscht»

Doch nicht alle teilen diese Meinung. In Zeiten von steigenden Lebenskosten bei stagnierenden Löhnen scheint die Idee, Steuern und Abgaben zu verweigern, teils auf fruchtbaren Boden zu fallen. José V. (52) hört interessiert zu, als die 20-Minuten-Reporterinnen ihn auf die Staatsverweigerer ansprechen.

Er überlegt. «Ganz ehrlich, ich kann ganz gut nachvollziehen, dass diese Menschen auf die Barrikaden gehen», gibt er letztendlich zu. «Alles wird teurer, die Menschen können kaum noch ihre Rechnungen zahlen und auch ich fühle mich vom Staat verarscht – es ist Ausbeuterei», sagt der 52-Jährige.

Es würden in der Schweiz so viele Steuern gezahlt – was mit diesem ganzen Geld passiere, frage er sich. «Es werden Millionen oder gar Milliarden ins Ausland verschickt, anstatt dass sich die Regierung um ihre eigenen Leute kümmert», so V. Dass einige nun auf Boykott setzen, sei für ihn deshalb verständlich. Auf Nachfrage, ob er selbst seine Steuern verweigern würde, schmunzelt V.: «Ich kann sie nicht verweigern, weil mir die Steuern direkt vom Lohn abgezogen werden. Aber wenn ich könnte – ganz ehrlich: ja.» 

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