HoffnungsschimmerGleich zwei Medikamente könnten vor Long Covid schützen
Auch wenn Corona-Infektionen dank der Impfungen heute selten schwer verlaufen: Die Long-Covid-Gefahr ist noch nicht gebannt. Zwei Medikamente könnten ihr vorbeugen.
Verminderte Leistungsfähigkeit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Viele Kinder leiden an Long-Covid-Post-Symptomen. Die typischen Symptome einer Long-Covid-Erkrankung bei Kindern sind eher unspezifisch – das erschwert die Diagnose. Im Oktober 2022 kämpfte Rahels 13-jährige Tochter Sarah bereits seit zehn Monaten mit Symptomen von Long Covid. Doch Rahel fühlt sich damit allein gelassen.
20min/Alexia MohanadasDarum gehts
Zwei Vorab-Studien geben all jenen Hoffnung, die Long Covid fürchten.
In beiden hat sich jeweils ein Mittel als wirksam gegen Long Covid erwiesen.
Es handelt sich dabei um Metformin, eigentlich ein Diabetes-Medikament, und um den Wirkstoff Ensitrelvir, der bislang nur in Japan zugelassen ist.
In beiden Fällen sind jedoch noch Fragen offen.
Die meisten, aber nicht alle Menschen sind nach einer Corona-Infektion gleich wieder die Alten. Einige brauchen nach der akuten Infektion Wochen und Monate, um fit zu werden. Andere entwickeln Long Covid. Ob und wann sie wieder genesen, lässt sich nicht vorhersagen. Manche könnten für immer leiden.
Wie viele Personen wie stark von den Covid-19-Folgen betroffen sind, ist schwer zu sagen. Laut einer im Januar im Fachjournal «Nature Reviews Microbiology» veröffentlichten Überblicksstudie folgt Long Covid auf mindestens zehn Prozent der Covid-Infektionen. Das heisst, dass inzwischen weltweit ungefähr 65 Millionen Menschen unter Corona-Spätfolgen leiden.
Keine Leitlinien, kein Long-Covid-Register
Wie viele Personen in der Schweiz von den Corona-Nachwehen betroffen sind, ist offen. «Die angefragten Zahlen liegen uns nicht vor», teilt BAG-Sprecher Simon Ming mit. Das BAG habe verschiedene Möglichkeiten geprüft, um die Fälle von Post-Covid-19-Erkrankungen zu erfassen. Dabei habe sich gezeigt, «dass eine vollständige Erfassung oder genaue Zählung aufgrund der vielfältigen Krankheitsbilder und der sich verändernden Symptome über die Zeit nicht möglich sein wird. Ein nationales Register wird wegen der aktuell geltenden rechtlichen Grundlagen (Epidemiengesetz) nicht weiterverfolgt. Es wird aber auch aus Kosten-Aufwand-Nutzen-Überlegungen als nicht verhältnismässig eingeschätzt.»
Schweizer Medikament gegen Long-Covid für Studie zugelassen
«Ein nationales Register wird wegen der aktuell geltenden rechtlichen Grundlagen (Epidemiengesetz) nicht weiterverfolgt. Es wird aber auch aus Kosten-Aufwand-Nutzen-Überlegungen als nicht verhältnismässig eingeschätzt.»
Weil Leitlinien und ein Register fehlen, lassen sich die Zahlen nur schätzen, so Chantal Britt Präsidentin Long Covid Schweiz. Beim Verein schätze man, «dass mindestens 300'000 Personen in der Schweiz anhaltende Long-Covid-Symptome hatten.» Rund die Hälfte erhole sich innerhalb von sechs Monaten bis einem Jahr, die anderen erholen sich nicht. Und jeden Tag kämen neue Betroffene hinzu, manche auch erst nach der vierten oder fünften Ansteckung.
Konkrete Zahlen
Gemessen an aus Deutschland gemeldeten Zahlen, erscheinen die Schätzungen realistisch, aber auch konservativ. So wurden in Bayern allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 insgesamt 350’000 Fälle von Long Covid oder Post Covid gezählt. In dem Bundesland leben rund 13 Millionen Menschen. Aus dem ebenfalls an die Schweiz angrenzenden Baden-Württemberg, in dem elf Millionen Menschen zu Hause sind, wurden im gesamten Jahr 2022 rund 320’000 Long-Covid-Fälle erfasst.
Zwei Hoffnungsträger vorgestellt
Während sich bereits von Long Covid betroffene Personen ein Verschwinden der Symptome und neue Erkenntnisse sowie Therapiemöglichkeiten herbeiwünschen, hoffen noch nicht Betroffene, erst gar kein Long Covid zu bekommen. Bislang gibt es jedoch keinen wirksamen Schutz. Doch das könnte sich womöglich bald ändern. So werden derzeit zwei Medikamente als mögliche Kandidaten zur Vorbeugung von Corona-Langzeitfolgen gehandelt.
Diabetes-Mittel Metformin
Beim ersten Kandidaten handelt es sich um ein Medikament, das bereits auf dem Markt ist: Metformin hilft Menschen mit Typ-2-Diabetes dabei, ihren Zuckerhaushalt zu regulieren, und verhindert bei ihnen Folgeerkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte. Laut einem Preprint, der im Fachjournal «The Lancet» erschienen ist, bietet das Medikament auch wirksamen Schutz vor Long Covid.
In der Studie, die noch nicht begutachtet wurde, wurden 1323 Covid-19-Patientinnen und -Patienten zwischen 30 und 85 Jahren entweder mit Metformin, Ivermectin, Fluvoxamin oder einem Placebo behandelt. Alle Teilnehmenden waren übergewichtig oder adipös. Etwas mehr als die Hälfte war vollständig geimpft, einige hatten bereits eine Booster-Impfung erhalten. Während mehr als neun Monaten wurden sie monatlich daraufhin untersucht, ob und welche Long-Covid-Symptome sie hatten.

Gemäss der Studie wirkt Metformin besonders dann gut, wenn die Patienten innerhalb der ersten vier Tage nach der Infektion zunächst eine Tablette (500 Milligramm) einnahmen, dann vier Tage lang zwei Tabletten am Tag und dann noch für drei Tage drei Tabletten.
IMAGO/Dean Pictures«Sehr gute Nachrichten»
Insgesamt wurde bei 8,4 Prozent der Teilnehmer Long Covid diagnostiziert. In der Placebo-Gruppe waren es 10,6 Prozent, in der Metformin-Gruppe dagegen nur 6,3 Prozent. Besonders gut wirkte das Diabetes-Mittel, wenn die erste Tablette innerhalb von vier Tagen nach Symptombeginn eingenommen wurde. Bei den anderen Wirkstoffen liess sich kein Unterschied zur Placebo-Gruppe feststellen.
Die Forschenden weisen allerdings darauf hin, dass die Studie nichts über den Effekt auf normalgewichtige Personen aussage, da alle Teilnehmer übergewichtig gewesen seien. Doch angesichts der Reduktion des Risikos um mehr als 40 Prozent müsse dringend weiter geforscht werden. So sieht es auch Eric Topol, Molekularbiologe und Direktor des Scripps Research Translational Institute. Er bezeichnete die Erkenntnisse als «sehr gute Nachrichten»:
Ein Medikament, viele Wirkungen
Metformin scheint ein Tausendsassa zu sein: Frühere Studien zeigten, dass es die SARS-CoV-2-Viruslast und das Risiko für Hospitalisierung sowie schwere Verläufe bei COVID-19-Patienten verringern kann. Bei Übergewichtigen wird das Mittel mitunter Off-Label – das heisst: ohne direkte Zulassung für diese Diagnose – auch als Abnehmhilfe eingesetzt, weil es das Hungergefühl unterdrücken kann. Auch wird es bei übergewichtigen Frauen zur Behandlung des Polyzystischen Ovarialsyndroms empfohlen. Im Jahr 2014 berichteten Basler Forschende zudem, dass das Mittel bei Mäusen auch gegen Tuberkulose wirkt.
Doch auch wenn das Metformin als sicheres Medikament gilt: Es gibt Hinweise, dass zwischen der Einnahme des Mittels bei Vätern und genitalen Missbildungen der kurz darauf gezeugten Kinder ein Zusammenhang bestehen könnte. Es ist allerdings unklar, ob das Arzneimittel oder möglicherweise ein ungenügend eingestellter Blutzucker die Ursache ist.
Ensitrelvir: Soll Symptome verkürzen und könnte vor Long Covid schützen
Der Wirkstoff Ensitrelvir hat in Japan, wo er entwickelt wurde, im November 2022 als Xocova eine Notfallzulassung erhalten. Laut einer Phase-3-Studie, deren Ergebnisse auf der «Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections» (CROI) in Seattle vorgestellt wurden, hat er bei Covid-19-Infizierten ohne Risiken auf einen schweren Verlauf Symptome, eine akute Infektion gelindert und diese verkürzt. Dies, indem er die Virusvermehrung bremst.
Zudem soll auch ein vorbeugender Effekt gegen Long Covid erkennbar gewesen sein, berichtet Hersteller Shionogi. Demnach lag bei den Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern, die in der Frühphase der Krankheit relativ viele Symptome aufwiesen, das Long-Covid-Risiko bei 14 Prozent, wenn sie Ensitrelvir genommen hatten. Bei den Personen in der Placebo-Gruppe lag es bei 26 Prozent. Daraus schloss Shionogi, dass Enzitrelvir vor Long Covid schützt.

Ensitrelvir ist in Japan unter dem Handelsnamen Xocova gegen Sars-CoV-2 mit einer Notfallzulassung auf dem Markt. Einmal täglich über einen Zeitraum von fünf Tagen eingenommen, soll er laut Hersteller auch vor Long Covid schützen. (Symbolbild)
UnsplashEindeutige Schlussfolgerungen noch nicht möglich
Die Studie weist laut unbeteiligten Forschenden jedoch Schwächen auf. So basieren die Aussagen über den möglichen Schutz von Long Covid auf einer nachträglich durchgeführten Analyse. So ist unklar und nicht nachvollziehbar, ob Shionogis Definition von Long Covid schon vor Beginn der Studie festgelegt wurde, zitiert Nature.com Topol. Entsprechend liessen sich keine eindeutigen Schlussfolgerungen ziehen.
Allerdings hält es auch Topol für plausibel, dass sogenannte Virostatika, wie Ensitrelvir eines ist, Long Covid verhindern können – zumindest wenn Restviren an der Verursachung lang anhaltender Symptome beteiligt sind (siehe Box). So zeigte eine kürzlich durchgeführte, aber bislang nur als Vorabdruck erschienene Studie, dass Menschen, die Paxlovid einnahmen, ein geringeres Risiko hatten, Long Covid zu entwickeln. Fallberichte aus den USA zeigten zudem, dass bei zwei Long-Covid-Patientinnen die Symptome nach der Gabe von Paxlovid verschwanden.
Fatigue-Symptome treten immer wieder bei Long-Covid-Patienten auf. US-Forschende haben eine Aromaöl-Mischung als mögliche Therapie entdeckt.
20min/Daniel SchnürigerVier Hauptursachen für Long Covid
Bislang bekannte Risikofaktoren
Wie gross das Risiko ist, Long Covid zu bekommen, lässt sich bislang nicht vorhersagen. Als Risikofaktoren gelten derzeit etwa Übergewicht, mittleres Alter und das weibliche Geschlecht: Junge Frauen sind doppelt so häufig von Long Covid betroffen wie Männer. Auch ein schwerer Akutverlauf, bestimmte Autoimmun- und Vorerkrankungen wie Diabetes und Asthma können das Risiko steigern. Doch genauso wenig wie diese Faktoren ein Long-Covid-Garant sind, sind Gesunde und Kinder vor den Langzeitfolgen gefeit (siehe Video oben).
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