Kosovo-Konflikt«Wir haben die grösste Krise seit langer Zeit»
Im Norden Kosovos haben die Spannungen zugenommen. 20 Minuten zeigt dir den Krisen-Hotspot Nord-Mitrovica, wo mehrheitlich ethnische Serbinnen und Serben leben.

Im Norden Kosovos haben die Spannungen zugenommen. 20 Minuten zeigt dir den Krisen-Hotspot Nord-Mitrovica, wo mehrheitlich ethnische Serbinnen und Serben leben. (Video: 20min)
Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo hatte sich in den letzten Wochen zugespitzt.
Nun sehen Beobachter Zeichen einer vorsichtigen Entspannung. Die Stimmung bleibe aber «von Misstrauen geprägt», so Serbiens Präsident Aleksandar Vucic.
20 Minuten berichtet live aus dem Krisen-Hotspot Nord-Mitrovica, einem grösstenteils von ethnischen Serbinnen und Serben bewohnten Stadtteil im Norden Kosovos.
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«Konfliktpotenzial besteht weiterhin»
«Es scheint, dass das Leben in Nord-Mitrovica seinen normalen Weg nimmt», sagt 20-Minuten-Reporter Luca La Rocca. Er konnte auch mit dem kosovarischen Innenminister sprechen. Dieser sagte, die Situation habe sich etwas entspannt. Aber der grosse Konflikt rund um die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosvo und Serbien bleibt bestehen. Aus diesem Grund bestehe auch weiterhin Konfliktpotenzial.

20-Minuten-Reporter Luca La Rocca in Mitrovica.
Das Interview mit dem kosovarischen Innenminister folgt zeitnah auf der Seite von 20 Minuten.
«Es wird Zeit brauchen, den Schaden zu reparieren»
Jovana Radosavljevic sagt, dass die aktuellen Entwicklungen einen grossen Einfluss auf die Gemeinschaften hätten. «Sie gehen nun anders miteinander um. Manchmal sollte man die Leute einfach alleine lassen, um ihre eigenen Leben zu kreieren. Und nicht versuchen, sie durch politische Spielchen zu beeinflussen. Leider hat das wirklich einen Einfluss. Es wird Zeit brauchen, diesen Schaden zu reparieren.»
Nord-Mitrovica
Nord-Mitrovica ist eine von zehn Gemeinden mit serbischer Mehrheit in Kosovo. Sie repräsentiert das städtische Zentrum für die serbische Gemeinschaft. Sie ist sehr wichtig und ein Zentrum der Entwicklung. Trotzdem ist Nord-Mitrovica multiethnisch. Man findet das nirgends sonst in Kosovo. Es ist eines der einzigen Beispiele, wo serbische und albanische Gemeinschaften zusammen leben. Es gibt verschiedene Häusersiedlungen, wo beide Gruppierungen nebeneinander leben.

Verhaftungslisten
Die serbische Gemeinschaft sei nicht glücklich über die Auflösung der Barrikaden. Sie fürchteten sich vor den kosovarischen Spezialeinheiten. Es soll Verhaftungslisten für die geben, die an den Barrikaden waren. «Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das in den nächsten Tagen entwickeln wird und wie sich die kosovarische Regierung verhält. Ein einzelner Schritt, der von der serbischen Gemeinschaft als feindselig wahrgenommen wird, könnte zur Wiedererrichtung der Barrikaden führen», sagt Radosavljevic.
Barrikaden werden langsam aufgelöst
Die Barrikaden werden langsam aufgelöst, sagt Jovana Radosavljevic. Es seien noch nicht alle aufgelöst, aber es werde erwartet, dass dies heute abgeschlossen wird. Es wird auch erwartet, dass die zwei Grenzübergänge für den Verkehr geöffnet werden.

Die LKW-Barrikaden werden aufgehoben.
«Das ist definitiv ein Fortschritt. Das kam aber nach grossen diplomatischen Bemühungen der EU und der USA. Die Garantien kommen also von der internationalen Gemeinschaft, statt vom kosovarischen Premierminister. Das kann problematisch sein. Denn nun hält die internationale Gemeinschaft die Garantie, dass keine Seite den Konflikt eskalieren lässt.»
Beschwerden über erhöhte Präsenz von Spezialkräften
Auf der anderen Seite hätten sie die kosovarische Regierung. Sie wolle diesen Punkt in der Brüsseler Übereinkunft nicht umsetzen. Obwohl es eine internationale und verfassungsmässige Verpflichtung der kosovarischen Regierung ist. Das ist einer der Streitpunkte. Gleichzeitig gibt es viele Beschwerden über die erhöhte Präsenz von Spezialkräften im Norden. Es gebe mehr Verhaftungen. Die Leute denken, dass diese Dinge ethnisch motiviert sind. Es gibt kein Verständnis von der kosovarischen Regierung.
Es gibt keine Kommunikation. «Niemand hört der Gegenseite zu. Der Dialog findet nur zwischen den Regierungen statt. Mittlerweile versuchen auch die USA, den Prozess zu beschleunigen. Ich glaube, es wird stärkere diplomatische Bemühungen der internationalen Gemeinschaft geben», so Radosavljevic.
«Wir haben die grösste Krise seit langem»
«Wir haben die grösste Krise seit langem. Sie ist nicht vergleichbar mit der Zeit vor 2011. Es ist eine völlig andere Ausgangslage. Wir haben keine Institutionen. Wir haben starke Forderungen der Repräsentanten der serbischen Gemeinschaft hier.»
Hauptsächlich gehe es um die Schaffung des Verbands serbischer Gemeinden. So wie es in der ersten Brüsseler Übereinkunft von 2013 festgehalten sei. «Es ist kein Wille da, zu den (albanischen) Institutionen zurückzukehren. Nicht, bevor zumindest der Versuch unternommen werde, den Verbund zu schaffen.»
Entwicklungsunterschied zwischen Nord- und Süd-Mitrovica
Es gibt einen Entwicklungsunterschied zwischen Nord- und Süd-Mitrovica. Einige der Gemeinden im Norden wurden erst vor zehn Jahren integriert. Es gab vor 2013 keine Institutionen hier. Mit dem Brüsseler Abkommen startete der Integrationsprozess dieser Gemeinden in den Kosovo.

Die Serbin Jovana Radosavljevic arbeitet für die NGO «New Social Initiative».
«Es war langsam, es begann mit einigen Institutionen, aber bis heute ist die Integration nicht vollständig. Und als Reaktion auf die Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung in Pristina haben viele den Integrationsprozess verlassen», sagt Radosavljevic. Jetzt gäbe es keine Institutionen im Norden. Grundsätzlich sei die Meinung der Leute hier, dass sie keine Integration wollen, aber dazu gezwungen wurden.
NGO «New Social Initiative»
Die Serbin Jovana Radosavljevic arbeitet für die NGO «New Social Initiative». Hauptsächlich arbeitet sie mit ihrem Team daran, dass sich die verschiedenen Gemeinschaften, also Serben und Albaner, versöhnen und die Beziehungen sich normalisieren. «Sie können sich vorstellen, dass diese Arbeit im Moment sehr schwierig ist», sagt Radosavljevic zu unserem Reporter.
«Brücke ist ein Symbol»
«Die Brücke ist definitiv ein Symbol, aber nicht im guten Sinne. Vor dem Konflikt verband die Brücke die zwei Teile der multiethnischen Stadt Mitrovica, auf beiden Seiten lebten die verschiedenen Gemeinschaften. Seit dem Konflikt ist die Brücke ein Symbol für Trennung. Auf der grösseren südlichen Seite leben die Albaner. Im nördlichen Teil leben mehrheitlich Serben. Seit dem Konflikt ist die Brücke für den Verkehr geschlossen.»

Diese Brücke trennt Nord mit Südmitrovica.
Serbische Minderheit im Norden Kosovos
Der Norden Kosovos ist von einer serbischen Minderheit geprägt. Der serbische Botschafter in der Schweiz sagte dazu zu 20 Minuten: «Sie leben unter ständigem Druck der Behörden in Pristina.» Der Stereotyp von bösen Serben und guten Albanern sei falsch: «Es gibt kein schwarz-weisses Bild, es gibt viele Nuancen.» Die Serbin Jovana Radosavljevic führt eine NGO, die den Dialog fördern will. Sie zeigt 20-Minuten-Reporter Luca La Rocca den serbisch geprägten Stadtteil Nord-Mitrovica und spricht über Probleme und Chancen.
Das passierte in den letzten Wochen
Seit November spitzten sich die Spannungen im Norden Kosovos stark zu. Während beide Seiten Strassenbarrikaden errichteten, drohte Serbien mit der Entsendung von Soldaten. Der kosovarische Präsident Albin Kurti sagte dazu: «Die Republik Kosovo wird sich verteidigen – mit voller Entschlossenheit.» Nun stehen die Zeichen auf vorsichtige Entspannung: Beide Seiten bauen Strassenblockaden ab, ein wichtiger Grenzübergang wurde wieder eröffnet. Dennoch sagte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: «Die Stimmung bleibt von Misstrauen geprägt.» (20min/AFP)