Johan GaumeDer Ex-Snowboard-Profi, der als ETH-Professor Bergstürze erforscht
Prof. Johan Gaume war Teil der internationalen Snowboard-Szene. Heute erforscht der ehemalige Wintersportprofi, wie Gefahren wie der Brienzer Bergsturz oder der Erdrutsch von Bondo besser vorhergesagt werden können – und setzt sich für mehr Umweltschutz ein.
Darum gehts
Der heutige ETH-Professor Johan Gaume reiste jahrelang als Snowboard-Profi um die Welt. «Ich bereue es nicht», sagt er und fügt mit Blick auf die Umwelt hinzu: «Aber es gibt Dinge, die ich nie wieder tun würde.»
Heute leitet Johan Gaume die Forschungsgruppe Alpine Massenbewegungen an der ETH Zürich und am SLF in Davos. Die Gruppe erforscht, welche Gefahren uns in Zukunft in den Bergen erwarten.
Laut dem ETH-Professor wird der Klimawandel das Leben in den Bergen wahrscheinlich noch gefährlicher machen, wenn keine geeigneten Anpassungs- und Gegenmassnahmen getroffen werden.
Gaume ist zudem Mitglied der Umweltschutzorganisation Protect Our Winters, obwohl er weiss, dass sein Verhalten ökologisch nicht perfekt ist. «Wenn sich nur die Perfekten engagieren, tut es keiner», sagt er. Es gehe auch darum, die Unperfekten zu überzeugen, ihr Bestes zu geben.
Professor Johan Gaume war bekannt für seinen Backside 720 Melon: «Das war mein Signature-Trick», sagt er über den Sprung mit der doppelten Rückwärtsdrehung. Jahrelang nahm Gaume an Snowboardturnieren teil und bereiste die Snowparks der Welt. Heute leitet der 38-Jährige die Forschungsgruppe Alpine Massenbewegungen an der ETH Zürich und am SLF Davos.
«Es gibt viele Parallelen zwischen Snowboarden und Wissenschaft», sagt Gaume. Beim professionellen Snowboarden gehe es vor allem um Spass, aber auch darum, Wettbewerbe und Sponsoren zu gewinnen und mit schönen Fotos in Magazinen zu erscheinen. «Als Wissenschaftler ist es ähnlich: Man hat Spass an der Forschung, muss die Finanzierung sichern und Entdeckungen machen, die veröffentlicht werden», sagt Gaume.
Auf den Pisten von Grenoble
Gaume wurde Mitte der 2000er-Jahre Teil der europäischen Snowboardszene. Er wuchs abseits der Alpen im französischen Jura auf und wechselte vom Skateboard zum Snowboard, von den Voralpen in die Alpen von Grenoble. «Snowboardtechnisch war das die beste Zeit meines Lebens», sagt er. Er war 150 Tage im Jahr auf der Piste, stand bei Nitro Snowboards unter Vertrag und nahm an Weltcups, Turnieren und Fotoshootings auf der ganzen Welt teil: USA, Europa, Japan. «Ich habe erst spät mit dem Snowboarden angefangen», sagt Gaume. «Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich die Möglichkeit hatte, Teil der internationalen Szene zu sein.»
Trotz dieses Erfolgs fuhr Gaume zweigleisig. Er verbrachte viel Zeit auf der Piste, studierte aber auch für seinen Master. «Ich war zwar ein sehr guter Student, aber mein Fokus lag auf dem Snowboarden», erinnert er sich. Erst ein Unfall brachte ihn der Wissenschaft näher: Gaume brach sich bei einem Sprung die Schulter. Die Pisten waren tabu. Er überbrückte die Zeit, indem er sich ins Studium stürzte – und bekam das Angebot, seinen Master zum Doktorat auszubauen. Gaume wusste, dass es für ihn, den Snowboard-Spätstarter, schwierig werden würde, neben dem Studium international oder gar national an der Spitze zu stehen. Er wurde Doktorand und behielt das Wichtigste am Snowboarden: den Spass.
Gefahren in den Bergen erforschen
Heute leitet Gaume die zehnköpfige Forschungsgruppe Alpine Massenbewegungen an der ETH in Davos und Zürich. «Wir beschäftigen uns mit allen Naturgefahren, die in den Bergen auftreten können», erklärt er. Neben Lawinen untersucht sein Team auch Ereignisse wie den Brienzer Bergsturz oder den Erdrutsch von Bondo. «Unser Ziel ist es, diese Prozesse besser zu verstehen und vorherzusagen.» Sie helfen beispielsweise, Gefahrenzonen zu definieren.
Hier spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Laut Gaume ist es noch schwierig, statistisch gesicherte Aussagen zu treffen. Das Verständnis der Prozesse «deutet jedoch auf eine absehbare Zunahme der Häufigkeit und des Ausmasses von Berggefahren hin». Der Klimawandel wird das Leben in den Bergen wahrscheinlich noch gefährlicher machen, wenn keine geeigneten Anpassungs- und Gegenmassnahmen getroffen werden.
Rekord-Gletscherschmelze
Als Snowboarder muss sich Gaume nicht auf Statistiken verlassen. Er sieht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen mit eigenen Augen: Während er in einer Sommersaison noch im Snowpark am Fusse eines Gletschers arbeitete, musste er in der nächsten Saison den Snowpark oben aufbauen. Das Eis war geschmolzen. «In den letzten zwei Jahren war es wirklich extrem», sagt Gaume. «Die Gletscher haben zehn Prozent ihrer Masse verloren.» Der Professor fragt sich: Sind das statistische Ausreisser oder der neue Normalzustand? Wenn das der neue Normalzustand ist, sagt Gaume, dann wird es nicht bis 2100 dauern, bis keine Gletscher mehr zu sehen sind. Das wäre vor 2050 der Fall.
«Ich selbst habe erst spät begriffen, was mein Verhalten bewirkt», sagt Gaume. Er ist fürs Snowboarden um die Welt gereist – und hat Heli-Skiing betrieben. «Ich bereue es nicht», sagt er, «aber es gibt Dinge, die ich nie wieder tun würde».
Ein nicht perfektes Vorbild
Gaume lebt inzwischen umweltbewusster als damals. Als Wissenschaftler versucht er, sich auf Konferenzen in Europa zu konzentrieren. Als Vater bringt er seinen Kindern bei, sich an einfachen Dingen zu erfreuen: Spaziergänge, Wanderungen, Pilze sammeln. Und er engagiert sich als wissenschaftlicher Botschafter für Protect Our Winters, eine Organisation, die sich für nachhaltigeres Skifahren und Snowboarden einsetzt. Gaume ist sich bewusst, dass sein Verhalten ökologisch nicht perfekt ist. «Aber wenn sich nur die Perfekten engagieren, tut es niemand», sagt er. Es gehe auch darum, die Unperfekten zu überzeugen, ihr Bestes zu geben.
Gaume verbringt nicht mehr 150 Tage im Jahr auf der Piste. Und doch sagt er, dass er heute als Wissenschaftler erfolgreicher ist als damals als Snowboarder: «Als Snowboarder habe ich es nie auf die Titelseite eines Magazins oder auf das Podest eines grossen Wettbewerbs geschafft. Doch als Wissenschaftler haben meine Kollegen und ich ein paar Mal in der renommierten Zeitschrift ‹Nature› publiziert und hochkarätige Fördergelder eingeworben.»
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