«Die Praxis ist gut – doch nicht jede Afghanin bekommt einfach Asyl»

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Migrationsexperte«Praxis ist gut – doch nicht jede Afghanin bekommt einfach Asyl»

Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern, sagt, inwiefern die neue Praxis schwierig ist - und warum er sie trotzdem für notwendig hält.

Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern.

Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern.

Tamedia

Darum gehts

  • Afghaninnen haben seit Mitte Juli grundsätzlich Anrecht auf Asyl.

  • Dieser Entscheid des Bundesamts für Migration ist Mitte September bekannt geworden.

  • Er sei richtig, sagt Migrationsrechtsexperte Alberto Achermann. Doch es werde schwierige Fälle geben.

Herr Achermann, der Bund gewährt Frauen aus Afghanistan grundsätzlich Asyl. Was halten Sie von dieser neuen Praxis?
Ich halte sie für zwingend notwendig. Es gibt keine Frau, die in Afghanistan nicht aufgrund ihres Geschlechts verfolgt wird. Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die Situation der Frauen in Afghanistan dramatisch und massiv verschlechtert, deshalb musste die Schweiz die Situation neu beurteilen. Andere Länder wie Schweden und Dänemark haben dasselbe getan – sogar Dänemark, das für eine restriktive Asylpraxis bekannt ist. Es ist richtig, dass die Schweiz nachgezogen hat.

SVP und FDP befürchten, dass jetzt viele Afghaninnen aus dem Iran, aus Pakistan oder auch aus Deutschland in die Schweiz kommen. Besteht diese Gefahr?
Aus Deutschland sicher nicht, sie hätten in der Schweiz keine Chance, Asyl zu bekommen. Ebenso wenig, wenn sie aus anderen europäischen Ländern kommen. Wer bereits andernorts ein Asylgesuch gestellt hat, kann in der Schweiz nicht mehr Asyl beantragen.

«Es könnte tatsächlich schwierige Diskussionen geben, wenn etwa Afghaninnen aus dem Iran oder aus Pakistan einreisen.»

Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern

Dann rechnen Sie nicht mit mehr Asylgesuchen von Afghaninnen?
Ob und wie sich die Zahl erhöht, kann ich nicht prognostizieren. Es könnte aber tatsächlich schwierige Diskussionen geben, wenn beispielsweise Afghaninnen aus dem Iran oder aus Pakistan einreisen. Viele sind dorthin geflüchtet, manche schon vor der Machtübernahme der Taliban. Sie haben in der Schweiz nur bedingt Chancen auf Asyl. Nicht jede Afghanin wird telquel Asyl bekommen. In strittigen Fällen wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden müssen. Es könnte auch neue Asylgesuche von Afghaninnen geben, die bereits in der Schweiz leben und eine vorläufige Aufnahme bekommen haben. Jetzt haben sie die Chance auf Flüchtlingsstatus B. Hier muss man unterscheiden: Ein Anstieg der Asylgesuche ist nicht zwingend ein Anstieg der in der Schweiz lebenden Afghaninnen.

Ist die neue Praxis nicht diskriminierend gegenüber muslimischen Frauen aus anderen Ländern, die unterdrückt werden?
Nein, weil weiterhin jeder Einzelfall separat geprüft wird. Eine Afghanin durchläuft das gleiche Asylverfahren wie eine Frau aus dem Iran. Es gibt ja auch den - wenn auch unwahrscheinlichen - Fall, dass eine Afghanin kein Asyl bekommt. Wenn sie etwa mit der Familie einreist und sagt, sie unterstütze die Taliban und das afghanische Regierungssystem. Das ist wie gesagt unwahrscheinlich. Doch gerade wegen solcher Unwägbarkeiten wird jeder Fall einzeln geprüft.

Findest du die neue Asylpraxis gut?


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