Afghaninnen: FDP und SVP erwarten Asyl-Flut nach Praxisänderung

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AfghaninnenFDP und SVP erwarten Asyl-Flut nach Praxisänderung

Afghaninnen haben in der Schweiz seit Mitte Juli grundsätzlich Anrecht auf den Flüchtlings-Status B. Bei rechten Parteien schürt das Ängste, die Behörden beruhigen.

Sie haben seit einer Praxisänderung Mitte Juli 2023 in der Schweiz grundsätzlich Anrecht auf Asyl, das heisst: Sie werden als Flüchtlinge anerkannt und erhalten den B-Ausweis. Im Bild: Verschleierte Afghaninnen in Kabul.
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die Lage in Afghanistan insbesondere für Frauen dramatisch verschlechtert. Taliban-Kämpfer in Kabul, August 2021.
Dass der Bund deshalb die Asylpraxis gegenüber Afghaninnen änderte, stösst bei FDP und SVP auf Kritik. SVP-Nationalrat David Zuberbühler fragte in der Herbstsession, ob der Bundesrat nun allen muslimischen Frauen grundsätzlich Asyl gewähren wolle.
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Sie haben seit einer Praxisänderung Mitte Juli 2023 in der Schweiz grundsätzlich Anrecht auf Asyl, das heisst: Sie werden als Flüchtlinge anerkannt und erhalten den B-Ausweis. Im Bild: Verschleierte Afghaninnen in Kabul.

AFP

Darum gehts

  • Für Afghaninnen gilt seit Mitte Juli eine neue Praxis: Sie haben grundsätzlich Anrecht auf Asyl und Aufenthaltsbewilligung B. Doch jeder Einzelfall wird geprüft.

  • FDP und SVP befürchten einen Pull-Effekt – Afghaninnen und ihre Ehemänner aus anderen Ländern könnten in die Schweiz kommen.

  • Seit der Praxis-Änderung ist eine leichte Zunahme feststellbar. Ob es seit Bekanntwerden einen weiteren Anstieg gab, ist noch unklar.

Afghaninnen haben fast keine Chance, ihr Land zu verlassen. Doch wenn es im Einzelfall doch gelingen sollte, dann bekommt die betroffene Person in der Schweiz mit grosser Wahrscheinlichkeit Asyl. Seit einer Praxisänderung des Staatssekretariats für Migration (SEM) per Mitte Juli 2023 werden Afghaninnen grundsätzlich als Flüchtlinge anerkannt, sie erhalten den Asyl-Ausweis B. Es wird aber weiterhin jedes Asylgesuch einzeln geprüft.

Bekannt wurde die Praxisänderung erst zwei Monate später, als die FDP sich darüber echauffierte und ein Communiqué versandte. Man informiere normalerweise nicht öffentlich über solche Entscheide, sagt das SEM. Lediglich betroffene Partner wie Gerichte seien informiert worden. Grund für die Praxisänderung sei die massive Einschränkung der Menschenrechte in Afghanistan, die Situation habe sich seit der Machtübernahme der Taliban weiter verschlechtert.

«Keine männlichen afghanischen Migranten»

Für FDP und SVP ist der SEM-Entscheid inakzeptabel. Parlamentarier beider Parteien haben zahlreiche Vorstösse eingereicht. Sie fordern, dass der Entscheid rückgängig gemacht werde und fragen, wie die Schweiz mit Afghaninnen umgehe, die aus sicheren Drittstaaten einreisen. Insbesondere stören sie sich auch daran, dass anerkannte Flüchtlinge Ehegatten und Kinder mitnehmen dürfen. So fordert der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder, die Einreise von männlichen afghanischen Migranten zu unterbinden. Für Männer sei Afghanistan als «Safe Country» zu bezeichnen. Schon im Sommer 2022 forderte die SVP, dass afghanische Asylsuchende zurückgeschickt werden.

SVP-Nationalrat David Zuberbühler (AR) fragt, ob die Schweiz jetzt allen muslimischen Frauen Asyl gewähren wolle. Schliesslich seien muslimische Frauen in vielen Ländern unter Druck. Das sei unbestritten, antwortete Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider. Doch in Afghanistan betreffe die Diskriminierung fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens, was zu einem unerträglichen Druck führe.

«Könnte Diskussionen geben»

Tatsächlich könnten Asylanträge von Afghaninnen, die aus Drittländern wie Pakistan oder dem Iran einwandern, zu Diskussionen führen, sagt Migrationsrechtsexperte Alberto Achermann von der Universität Bern (siehe Interview). «Wenn eine Afghanin beispielsweise seit einigen Jahren im Iran lebt und jetzt in der Schweiz Asyl beantragt, ist das ein Grenzfall, der vom SEM oder dann vom Bundesverwaltungsgericht wird beurteilt werden müssen.»

«Wenn eine Afghanin seit einigen Jahren im Iran lebt und jetzt in der Schweiz Asyl beantragt, ist das ein Grenzfall.»

Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht

Wer aus einem sicheren Drittstaat einwandert, hat in der Schweiz kein Anrecht auf Asyl. Das gelte auch für Afghaninnen, erklärt das SEM. Die Frage ist laut Achermann, was ein sicherer Drittstaat ist und ob der Iran dazugehöre. Wenn eine Frau allerdings schon seit einigen Jahren dort wohnt und einen gesicherten Aufenthalt hat, habe sie argumentativ einen schwierigeren Stand.

Um wie viel die Asylanträge von Afghaninnen durch die Praxisänderungen steigen, ist noch nicht absehbar, denn die September-Zahlen erscheinen erst gegen Ende Oktober. Und vor Mitte September war die Praxisänderung einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Sie sind deshalb auch nur leicht angestiegen: Von 63 Gesuchen pro Monat auf 67 Gesuche im Juli und August. Konkret wurden im Juli und September gesamthaft 134 Gesuche von Afghaninnen eingereicht.

«Arbeitsintegration muss gefördert werden»

Die schweizerische Flüchtlingshilfe rechnet nicht damit, dass mehr Frauen und Mädchen aus Afghanistan in die Schweiz kommen. «Es ist sehr schwierig für sie, Afghanistan überhaupt zu verlassen», sagt Mediensprecherin Eliane Engeler. Nur wenige begäben sich auf die äussert gefährliche und beschwerliche Flucht. Und ein sicherer Fluchtweg mit einem humanitären Visum sei mit hohen und selten erfüllbaren Voraussetzungen verbunden.

Sollten die Asylzahlen von afghanischen Frauen – und damit verbunden allenfalls ihren Ehegatten – dennoch deutlich steigen, würde das die Schweiz vor eine integrationspolitische Aufgabe stellen. Bei den Integrationsmassnahmen gebe es noch viel Potenzial, sagt Virginia Suter vom Hilfswerk Heks. Es brauche mehr Massnahmen, welche die Asylsuchenden stärken, damit sie einen chancengerechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben: Aus- und Weiterbildung, Integrations-Vorlehre sowie Coaching- und Sensibilisierungs-Angebote.»

Auch müssten Zugangshürden abgebaut werden. Wichtig sei auch die Begleitung von Minderjährigen, die allein unterwegs sind. «Schulerfolg und soziale Mobilität hängt sehr stark vom Engagement der Eltern haben. Deshalb braucht es dringend zusätzliche Begleitmassnahmen für Minderjährige.»

Werden nun viele Afghaninnen Asyl beantragen?

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