Arzt fordert sofortigen Organspende-Stopp

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Wegen fehlender DatenArzt fordert sofortigen Organspende-Stopp

Weil man nicht wisse, ob Organspender bei der Entnahme etwas spüren, müsse man die Eingriffe stoppen, sagt der Winterthurer Arzt Alex Frei. Die Behörden widersprechen ihm.

2022 haben so viele Organspenden stattgefunden wie noch nie: 200. Das sind 22 Prozent mehr als 2022. Dabei ist die Widerspruchslösung noch nicht einmal umgesetzt. Ab 2026 werden jene, die ihre Organe nicht spenden wollen, dies ausdrücklich sagen oder aufschreiben müssen.
Alex Frei, pensionierter Arzt aus Winterthur, ist dezidierter Organspende-Kritiker. Er hatte das Referendum gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende ergriffen und verlangt jetzt von den Behörden, die Organentnahme zu stoppen.
Dies hat er Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider in einem Brief geschrieben. Es sei nicht wissenschaftlich erwiesen, dass die Organentnahme der spendenden Person nicht schadet, sagt er.
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2022 haben so viele Organspenden stattgefunden wie noch nie: 200. Das sind 22 Prozent mehr als 2022. Dabei ist die Widerspruchslösung noch nicht einmal umgesetzt. Ab 2026 werden jene, die ihre Organe nicht spenden wollen, dies ausdrücklich sagen oder aufschreiben müssen.

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Darum gehts

  • 2023 starben 200 Organspender. Das sind mehr als je zuvor.

  • Die Organspenden müssten sofort gestoppt werden, fordert der Gegner und Arzt Alex Frei.

  • Er hat Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) einen Brief geschrieben.

Die Bevölkerung ist offensichtlich positiv eingestellt gegenüber der Organspende. 60,2 Prozent sagten 2022 Ja zur neuen Regelung, dass künftig jeder grundsätzlich Spender oder Spenderin ist. Wer das nicht will, muss es festhalten (siehe Box). Zudem gab es 2023 so viele Organspenden wie noch nie.

Darüber abgestimmt wurde, weil der Winterthurer Arzt Alex Frei praktisch im Alleingang das Referendum gegen die Vorlage ergriffen hatte. Jetzt verlangt er, dass Organspenden sofort gestoppt werden. Das schrieb Frei kürzlich in einem Brief an Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider, der 20 Minuten vorliegt.

Widerspruchslösung ab 2026

Im Mai 2022 nahm das Volk das geänderte Transplantationsgesetz mit 60,2 Prozent der Stimmen an. Damit müssen Personen, die ihre Organe nicht spenden möchten, dies künftig festhalten. Ohne Widerspruch dürfen nach dem Tod die Organe entnommen werden. Heute ist es umgekehrt: Für die Organentnahme braucht es eine ausdrückliche Zustimmung der Spender-Person. Der Bundesrat kündigte die Einführung des neuen Gesetzes auf frühestens 2026 an. Dennoch wurden 2023 in der Schweiz so viele Organe gespendet wie noch nie: 200 verstorbene Organspenderinnen und -spender vermeldete Swisstransplant diese Woche, ein Plus von 22 Prozent gegenüber 2022. Dies sei vor allem auf Innovationen im Bereich Technik und Digitalisierung zurückzuführen.

Niemand würde sich einer Operation unterziehen, ohne wissenschaftliche Daten und Erfahrungsberichte von Patienten zu kennen, sagt Alex Frei – «zu Recht». Doch bei der Organspende verhalte es sich genau so. Es würden Organe verpflanzt, ohne den Nachweis, dass den Spendenden damit kein Leid zugefügt werde.

Diese Personen seien vermeintlich tot und könnten Schmerzen nicht mehr wahrnehmen, so Frei. Doch das sei ein Trugschluss. «Sie sind nur hirntot. Es fehlt der Nachweis, dass sie von der Organentnahme nichts spüren und keine Schmerzen erleiden.»

Frei geht noch weiter: Es stelle sich auch die Frage, ob die «massive Verlängerung des Sterbeprozesses auf Monate oder Jahre» für die Spender-Person keine negativen Folgen habe. Weil die Organe in einer anderen Person weiterleben, könne die Spenderin oder der Spender nicht sterben, sondern sei über längere Zeit in einem Zustand, in dem ein Teil des Körpers tot ist und ein anderer Teil lebt.

Auch für Empfänger könne dies Auswirkungen haben. «Bei Organ-Empfängern besteht eine Vermischung von zwei Lebewesen, genetisch sind sie Schimären.» Manche berichteten davon, plötzlich Vorlieben der Spenderperson zu haben, ihre Stimme zu hören oder Dinge zu träumen, welche die Organspendenden erlebt habe.

Willst du deine Organe spenden?

Frei kritisiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie die Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW), die «Hüterin der wissenschaftlichen Medizin», die sich gegen diesen «Regelverstoss» nicht auflehne.

BAG-Sprecherin Katrin Holenstein widerspricht Alex Frei. Organe dürften erst entnommen werden, wenn der Tod festgestellt ist. Dies sei laut Gesetz der Fall, wenn die Hirnfunktionen einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind. «Dieses Todeskriterium beruht auf wissenschaftlichen Grundlagen.»

Danach würden klinische Untersuchungen zum Nachweis des Ausfalls der Hirnfunktionen durchgeführt. Die Todesdiagnostik dürften laut Gesetz nur Ärzte und Ärztinnen durchführen, welche weder an der Organ-Entnahme noch an der Transplantation beteiligt sind.

Franziska Egli von der SAMW sagt: «Die Einschätzung von Alex Frei ist uns bekannt, weil er mit Bezug auf die Richtlinien an uns gelangte.» Diese entsprächen jedoch dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Die von Frei geforderten wissenschaftlichen Beweise zu erbringen, dass Spendende keinen Schaden nehmen, sei allerdings nicht möglich, sagt Egli. «Dazu müsste man an Verstorbenen untersuchen, ob sie nach ihrem Tod als Person Schaden genommen haben. Eine solche Untersuchung ist aus naheliegenden Gründen nicht möglich.»

«Aussage von Alex Frei ist unhaltbar»

Kritisch äussert sich Yvonne Gilli, Präsidentin der Ärzteverbindung FMH: «Die Aussage von Alex Frei ist aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbar. Eine Organentnahme erfolgt nach Feststellung des Todeseintritts, und nicht am lebenden Menschen», sagt die St. Galler Ärztin und ehemalige Grüne-Nationalrätin.

Aus einer religiös-philosophischen Perspektive gebe es unterschiedliche Interpretationen, wann ein Mensch tot sei, sagt Gilli. Die moderne Medizin habe jedoch eine einheitliche Definition des Todeseintritts und orientiere sich am irreversiblen Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen.

Nur juristisch tot?

Alex Frei indessen sagt: «Eine Organentnahme erfolgt heute nach Feststellung des juristisch definierten Todeseintritts, biologisch jedoch am lebenden Menschen.» Das Todeskriterium der ausgefallenen Hirnfunktionen entspreche lediglich einer gesellschaftlichen Konvention, einer Abmachung von 1969, die dann ins Gesetz geschrieben worden sei.

Dazu sagt Katrin Holenstein vom BAG: «Medizin und Biologie haben gezeigt, dass ein menschlicher Organismus ohne funktionierendes Gehirn nicht bestehen kann. Das Hirn macht die Persönlichkeit aus und steuert alle lebensnotwendigen Funktionen. Fällt das Hirn aus, stirbt der Mensch. Eine Rückkehr ins Leben ist nicht mehr möglich.» Deshalb sei das endgültige Erlöschen sämtlicher Hirnfunktionen als Todeskriterium weltweit anerkannt.

Auch Franziska Egli von der Akademie der medizinischen Wissenschaften kontert: «Korrekt ist: Das Todeskriterium beruht auf wissenschaftlichen Grundlagen der Neurologie. Die naturwissenschaftliche Todesdefinition hat auch unabhängig von den Gegebenheiten der Organtransplantation seine Gültigkeit. Die Irreversibilität des Hirntodes wurde in jahrzehntelanger neurologischer Praxis bestätigt.»

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