Populismus«Nichts ist so erfolgreich wie das Bewirtschaften von Ängsten»
Rechts- und Linkspopulisten nutzen laut Experten gezielt Ängste, um Wähler zu mobilisieren. Wie wirkt sich das auf die Europawahlen aus?
Darum gehts
In Europa sind laut Experten viele Menschen verunsichert und auf der Suche nach einfachen Antworten.
Genau da setzen die Populisten aller Lager an.
Verschiedene Krisen und die Unzufriedenheit mit der politischen Elite könnten dazu führen, dass die Europawahl zur Protestwahl gegen das Establishment wird.
In vielen europäischen Ländern prägen rechtspopulistische Parteien zunehmend die Politik. In Kürze stehen die Europawahlen an, wodurch sich die Frage nach dem Einfluss ebenjener Parteien stellt. Warum sind sie so erfolgreich und welche Folgen hat das? Mark Balsiger, Polit-Analyst und Buchautor, und Maximilian Filsinger vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern geben einen Einblick in die Strategie der Rechtspopulisten.
Herr Balsiger, warum sind rechtspopulistische Parteien momentan so erfolgreich?
In einer komplizierten Welt sind viele Menschen herausgefordert, ja überfordert. Wir werden überschwemmt von negativen Nachrichten. Das macht viele Menschen aggressiv, sie fürchten sich vor dem sozialen Abstieg oder sie haben Angst vor der Zukunft. Sie sehnen sich nach einfachen Antworten. Rechts- und Linkspopulisten teilen die Welt in Schwarz und Weiss, sie schüren Ängste und sie stellen diejenigen, die aus ihrer Sicht schuld sind, an den Pranger. Nichts ist so erfolgreich, wie das Bewirtschaften von Ängsten.
Was sind die programmatischen Gemeinsamkeiten rechtspopulistischer Parteien?
Populisten bewirtschaften Themen, die sie emotional aufladen können. Das funktioniert ausgezeichnet und wird oft zu einem Selbstläufer. Sie suchen Sündenböcke, die sie ausgrenzen können. Sie kritisieren die politische und gesellschaftliche Elite, auch wenn sie zum Teil dazu gehören, und diffamieren Gerichte und Medien, Stichwort «Lügenpresse!». Es ist einfach, gegen die EU Stimmung zu machen, weil diese Institution tatsächlich sehr bürokratische Entscheidungen fällt. Es ist einfach, pauschal gegen Ausländer Stimmung zu machen, obwohl viele davon Jobs übernommen haben, die sonst niemand mehr will.
Die Rhetorik ist immer dieselbe, nämlich: Wir und die anderen. Bei populistischen Gruppierungen und Parteien gibt es oft einen Kult um die Schlüsselfiguren. Populisten nutzen Messengerdienste wie zum Beispiel Telegram, um sich intern auszutauschen und zu bestärken. Sie fluten Social Media mit Verachtung und Hass, der sich dort vervielfältigt und andere mitreisst. Die etablierten Medien schenken Populisten viel zu viel Aufmerksamkeit – auch weil solche Storys viel Beachtung finden.
Herr Filsinger, warum ist es salonfähiger, sich heutzutage befürwortend gegenüber rechtspopulistischen Parteien zu äussern?
Es gibt verschiedene Gründe für den Erfolg der Rechtspopulisten. Erstens haben konservative und Mitte-rechts-Parteien in den letzten Jahren immer mehr Positionen der Rechtspopulisten übernommen, besonders in der Migrationspolitik. Dadurch sind Aussagen, die früher extrem wirkten, heute im Mainstream angekommen. Zweitens sind rechtspopulistische Parteien in einigen Ländern an der Regierung beteiligt, zum Beispiel in Österreich und den Niederlanden. Das gibt ihnen mehr Legitimität. Drittens bemühen sich Rechtspopulisten, sich weniger als Aussenseiter zu präsentieren.
Ist deren Erfolg auch Ausdruck einer Unzufriedenheit der Menschen mit dem bestehendem System oder eines Versagens der anderen Parteien?
Der Erfolg rechtspopulistischer Parteien kann nicht auf das Versagen anderer Parteien reduziert werden, beispielsweise in der Asylpolitik. Viele Wähler dieser Parteien haben migrationskritische Ansichten, fühlen sich aber auch generell benachteiligt. Populistische Parteien nutzen diese Gefühle, um ihre strengen Migrationspolitiken zu rechtfertigen. Ein strengerer Asylkurs, wie ihn die EU kürzlich beschlossen hat, hat die Umfragewerte rechtspopulistischer Parteien nicht gesenkt.
Allerdings ist bei den Europawahlen bekannt, dass die Wähler oft ihre nationalen Regierungen bestrafen. Das sieht man zum Beispiel in Deutschland, wo die CDU/CSU als stärkste Oppositionspartei in den Umfragen führt. Davon profitieren oft rechtspopulistische Parteien. Europa hat derzeit viele Krisen, und Umfragen zeigen, dass ein Teil der Bevölkerung mit dem System unzufrieden ist. Die Wahl rechtspopulistischer Parteien nur als Protest zu sehen, greift jedoch zu kurz.
Welche Chancen haben rechtspopulistischen Parteien in den Europawahlen?
Aktuell haben viele rechtspopulistische Parteien gute Chancen bei den Europawahlen. Die AfD in Deutschland und der Rassemblement National in Frankreich haben stabile Umfragewerte. Das erschwert die Zusammenarbeit im Parlament und stellt konservative Parteien vor die Frage, ob sie mit diesen Gruppen zusammenarbeiten sollen. Besonders wichtig ist das für die Wahl der Kommissionspräsidentin. Wenn Ursula von der Leyen (EVP) mit Rechtspopulisten zusammenarbeitet, könnten Sozialdemokraten und Grüne gegen sie stimmen, was ihre Wiederwahl gefährden würde.
Ein stärkeres rechtspopulistisches Lager im Parlament wird die Mehrheitsfindung erschweren. Besonders die Klimapolitik könnte unter einem solchen Einfluss leiden.
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