Sexuelle ÜbergriffeBelästigung am Arbeitsplatz: «Wehrte mich und verlor meinen Job»
Systematische Belästigung und mangelnde Hilfe: Die 20-Minuten-Community berichtet von ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz.
Darum gehts
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist laut einer Studie des EBG und SECO nach wie vor ein weit verbreitetes Problem in der Schweiz.
Betroffene berichten von Machtmissbrauch, Übergriffen durch Kunden und Kollegen sowie mangelnder Unterstützung durch Vorgesetzte.
Betroffene fühlen sich gezwungen, den Arbeitsplatz zu verlassen oder werden bei Gegenwehr gekündigt.
Eine Studie vom Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) und dem Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zeigt: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist nach wie vor ein grosses Problem.
Auf einen Aufruf von 20 Minuten melden sich viele Betroffene, die solche Erfahrungen machen mussten. Oft wird von Übergriffen durch Kunden oder Patienten berichtet, aber auch durch Vorgesetzte, von Machtmissbrauch und systematischer Deckung von Chefs und Arbeitskollegen. Das sind eure Geschichten.
Anonym (44, w): «Arzt hat die Oberweite einer Assistenzärztin als ‹Bienenstiche› betitelt.»
Eine Leserin (44) berichtet von sexuellem Machtmissbrauch in einem Spital durch einen stellvertretenden Chefarzt. «Er sagte, wenn man im Sekretariat arbeitet, solle man Spitzen-BH‘s tragen und Beine zeigen. Als eine Assistenzärztin sich bückte, hat er ihr ins Dekolleté geschaut und ihre Oberweite als ‹Bienenstiche› bezeichnet.»
Auch sie habe sich gegen die ständigen Übergriffe gewehrt. «Belästigungen seinerseits waren mein Tagesgeschäft. Jeder weiss davon und niemand tut was. Wenn man zur Vorgesetzten geht, heisst es, man solle es über sich ergehen lassen und wenn man sich wehrt, ist man seine Stelle los. Das war auch bei mir so, nach 14 Jahren an diesem Arbeitsplatz.» Ihre Erfahrung sei kein Einzelfall: «Viele Frauen sind wegen ihm gegangen oder mussten gehen und er kann dort einfach weitermachen.»
M. A. (24, w): «Hatte einen Patienten, der mir an den Hintern gegrabscht hat»
M. A. kennt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon seit ihrer Lehre als FaBe in einem Altersheim. «Wir hatten einen Bewohner, der von uns Lehrlingen wollte, dass wir ihn bei der Körperpflege fest im Intimbereich reiben.» Sie meldeten dies dann der Leitung, die daraufhin die Lehrlinge vom Patienten abgezogen hätten.
Später arbeitete A. in einem Spital als Fachfrau Gesundheit. «Da hatte ich mal einen Patienten, der mir an den Hintern gefasst hat.» Den Vorfall habe sie der Pflegedienstleitung gemeldet. «Sie hat sich daraufhin nicht mit dem Patienten auseinandergesetzt, sondern mich gefragt, ob ich denn nicht mit solchen Situationen klarkäme. Und sie wollte mich in einen Aggressions-Management-Kurs einschreiben, dass ich lernen, wie ich vermeintlich mit solchen Situationen umgehen soll.»
M.S.* (57) «Musste Sprüche hören wie: ‹Wär lustiger mit dir, wenn du mehr Schlampe wärst›»
Auch M.S.* (57, w) hat schon häufig sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bei verschiedenen Arbeitgebern erlebt. «Ich habe schon im Sozial- und Justizwesen gearbeitet, Bereiche, wo man eigentlich denken könnte, dass man sensibilisiert ist.» Nach der Leitung einer Schulung habe sie sich von einem anderen Schulungsleiter anhören müssen: «Kein Wunder sind die bei dir pünktlicher als bei mir, bist ja auch schön zum Anschauen.» Von einem hohen Vorgesetzten hiess es: «Männer kommen halt gerne zu dir in Beratung, wundert mich gar nicht, so wie du aussiehst.»
Als S. sich wehrte, musste sie sich von Arbeitskollegen Sprüche anhören wie: «Du bist aber empfindlich, wär bisschen lustiger mit dir, wenn du bisschen mehr Schlampe wärst oder warum ziehst du auch diese enge Jeans an, da muss man ja gucken und will hinfassen…»
Meldungen an Meldestellen oder Ombudspersonen hätten laut S. keine Veränderung gebracht. «Oftmals wird man nicht ernst genommen oder es heisst: ‹Nimm es doch als Kompliment!› So blieb mir nur: mit den Belästigern leben lernen und einen Umgang finden oder den Betrieb verlassen.»
Anonym (64, w): «Mein Chef meinte, ich solle den sexuellen Forderungen des Arbeitskollegen nachgeben»
Eine Leserin (64) berichtet ebenfalls von Belästigungen durch einen Arbeitskollegen, ein ehemaliger Chirurg, einer medizinischen Gutachtensstelle. «Als ich länger auf seine Annäherungen nicht eingehen wollte, eskalierte die Situation. Er wollte sexuelle Gefälligkeiten von mir, ansonsten drohte er, mir beruflich zu schaden.» Damit sei die Frau dann zu ihrem Chef gegangen. «Einer hat mich gebeten, das Spiel mitzuspielen. Ich sei ja doch schon älter und erfreue mich einer reifen Attraktivität - da hätte ich schliesslich auch etwas davon. Der andere Chef fragte mich, was ich getan hätte, dass der Gutachter sich berechtigt sehe, mich zu sexuellen Gefälligkeiten zu nötigen.» Sie habe sich selbst ständig gefragt, ob und wie sie das Verhalten ‹provoziert› haben könnte.
Die Situation habe sich schliesslich aufgelöst, als ein anderer Gutachter sich über die misogynen, sexuell eindeutig herabsetzenden Bemerkungen in den Berichten des Chirurgen beschwert habe. «Gleichzeitig drangen Gerüchte an die Chefs, dass dieser Gutachter in der letzten Klinik wegen sexueller Belästigung entlassen wurde. Entschuldigt hat sich keiner meiner Chefs, als endlich klar wurde, dass ich mit meinen damals 55 Jahren wohl kaum die raffinierte Verführerin war, sondern ein Gewohnheitsbelästiger die Gunst der Stunde ausnützte.»
*Initialen geändert
Hast du schon einmal Belästigung am Arbeitsplatz erlebt?
Wirst du oder wird jemand, den du kennst, sexuell belästigt?
Hier findest du Hilfe:
Belästigt.ch, Onlineberatung bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Verzeichnis von Anlaufstellen
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
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