
Vanilla-Sex bezeichnet prüden Sex. Wer diese Vorliebe kritisiert, betreibt sogenanntes Vanilla Shaming.
Pexels/Anna Tarazevich«Vanilla Shaming»Warum konventioneller Sex heute als langweilig abgestempelt wird
Einst als Tabu-Thema betrachtet lösen Kinks nur noch ein müdes Lächeln aus. Darf man deswegen konventionellen Sex als abnormal bezeichnen? Zwei Expertinnen ordnen ein.
BDSM-Praktiken sind im Mainstream angekommen, der Anblick von Sextoys schockt so gut wie niemanden mehr. Während die einen ihre Vorlieben zelebrieren, bevorzugen andere konventionellere Praktiken. Der sogenannte Vanilla-Sex enthält keine sadomasochistischen oder fetischorientierten Elemente – und wird deswegen als prüde abgestempelt.
Hast du den Begriff schon mal gehört?
Ist dir das schon mal passiert? Dann bist du ein Vanilla-Shaming-Opfer. «Vanilla Shaming kann als das Schämen anderer oder sich selbst für Sexualpraktiken, die in unserer Gesellschaft als gewöhnlich oder sanft gesehen werden, verstanden werden», sagt die Zürcher Sexualpädagogin Sarah Klapisch.
Über die Expertin
«Die Ironie daran ist, dass Sex-Positivity – also die Einstellung, das Sexualität eine vielfältige Eigenschaft ist, wofür man sich nicht schämen sollte – als Begründung für Vanilla Shaming genommen wird», so Klapisch weiter. Laut der Therapeutin gibt es kein Richtig oder Falsch, solange alle zwischenmenschlichen Handlungen altersgerecht, enthusiastisch und einvernehmlich sind.

Bei sexuellen Vorlieben gibt es laut Expertin kein Richtig oder Falsch, solange niemand unter Druck gesetzt wird.
Pexels/Cottonbro StudioKinks sind der neue Mainstream
Aber wie ist es dazu gekommen, dass sich das Blatt gewendet hat und konventioneller Sex heute beinah als abnormal gilt? «Ein Auslöser war sicher der Hype um ‹50 Shades of Grey›, der Bondage und Co. unter die Menge gebracht hat», sagt Sexologin Laura Burkhardt.
Über die Expertin
«Ausserdem breitet sich die Sex-Positive-Szene weiter aus – was sehr begrüssenswert ist», so Burkhardt. «Dadurch findet das Thema häufiger in der Öffentlichkeit statt und macht vielleicht mal Lust, etwas Neues auszuprobieren», sagt die Sexologin.

Sextoys gehören mittlerweile zum guten Ton.
Pexels/Anna Shvets«Seit dem Internet lernen wir, wie vielfältig sexuelle Vorlieben sind und wie selten wir damit allein sind», sagt Klapisch. «Dass einige Praktiken heute als cool gelten, ist ein Zeichen dafür, dass wir offener sind – das heisst aber nicht, dass Vanilla-Sex nicht okay ist», so die Therapeutin.
Pornos spielen eine Rolle
Wo konventionell aufhört und kinky anfängt, lässt sich nicht definieren. «Für ein heterosexuelles Paar mit christlicher Sexualmoral ist Analsex vielleicht kinkier als für ein schwules Paar», so Klapisch. Unsere Ideen und Normen sind stark durch Geschichte, Religion und Kultur geprägt. «Was als kinky gilt, ist eine Widerspiegelung des Zeitgeistes», sagt die Therapeutin.

Ob ein Dreier nun kinky ist oder nicht, lässt sich grundsätzlich nicht definieren.
Pexels/Cottonbro StudioLaut den Expertinnen haben auch Mainstream-Pornos Einfluss: «Handlungen, die als extrem gelten, werden durch Mainstream-Pornos normalisiert», sagt Sarah Klapisch. «Dementsprechend wird vor allem unter Jüngeren Druck empfunden, diese Handlungen auszuüben, obwohl sie gar nicht bereit dafür sind», so Klapisch. Laut Laura Burkhardt sieht man in Mainstream-Pornos kaum, dass Menschen ihre Bedürfnisse besprechen und einen Konsens verhandeln. «Das kann vermitteln, dass Grenzüberschreitungen dazugehören – ist man nicht dazu bereit, kann es zu Vanilla Shaming kommen», so die Sexologin.
Kommunikation hilft
Alles, was Druck und Scham auslöst, sei jedoch schädlich. «Eventuell entwickeln sich die sexuellen Bedürfnisse dadurch nicht so, wie es vielleicht der Fall wäre, wenn eine Idee von einer Sexualität bestehen würde, wo alle Vorlieben in Ordnung wären», sagt Burkhardt.

Kommunikation ist laut Expertin der Schlüssel zu einer guten Beziehung.
Pexels/Monstera ProductionDoch was hilft? «Kommunikation», sagen die Expertinnen. «Ein offener Dialog ist schwierig, es braucht Übung, Geduld und Selbstreflexion», so Klapisch. Sind die Unterschiede überwältigend, ist es laut Expertin immer eine Überlegung wert, dies mit einer Fachperson anzuschauen.