58 Stimmen gingen an Daniel Jositsch – hält er sich Sitz frei?

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Bundesratswahlen 2022Wurde Eva Herzog zum Bauernopfer, um Daniel Jositsch den Weg zu ebnen?

Daniel Jositsch hatte nie offiziell ausgeschlossen, eine allfällige Wahl anzunehmen. Er erhielt schliesslich 58 Stimmen und verhinderte womöglich eine Wahl Eva Herzogs. Doch wie viel Kalkül lag in den Stimmen für ihn?

Daniel Jositsch hatte zwar angegeben, eine wilde Kandidatur sei für ihn ausgeschlossen, jedoch nie offiziell betont, dass er eine Wahl nicht doch annehmen würde.
Nun erhielt er bei den Wahlen beachtliche 58 Stimmen, obwohl alle Fraktionen Elisabeth Baume-Schneider und Eva Herzog zur Wahl empfohlen hatten.
Damit verunmöglichten diese Proteststimmen womöglich eine Wahl Eva Herzogs, die im dritten und letzten Wahlgang 116 Stimmen erhalten hatte …
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Daniel Jositsch hatte zwar angegeben, eine wilde Kandidatur sei für ihn ausgeschlossen, jedoch nie offiziell betont, dass er eine Wahl nicht doch annehmen würde.

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Darum gehts

  • Daniel Jositsch hatte angegeben, das Frauenticket der SP-Fraktion zu akzeptieren und eine wilde Kandidatur auszuschliessen.

  • Er hatte jedoch nie offiziell ausgeschlossen, eine allfällige Wahl nicht doch zu akzeptieren – und erhielt 58 Stimmen.

  • Eine Theorie besagt, dass einige Parlamentsmitglieder die Wahl Elisabeth Baume-Schneiders anstrebten, um dadurch den Weg frei zu machen für einen Deutschschweizer Mann als Nachfolge Bersets.

Nach Simonetta Sommarugas Rücktritt am 2. November schlug die SP dem Parlament ein reines Frauenticket vor. Daniel Jositsch, der das reine Frauenticket im Vorfeld scharf kritisiert hatte, schloss zwar eine wilde Kandidatur aus und gab an, den Entscheid der Fraktion zu akzeptieren.

58 Stimmen für Jositsch

Trotzdem erhielt er bei den heutigen Wahlen 58 Stimmen im ersten Wahlgang und wurde damit zum Sprengkandidaten. Vor ihm lagen zunächst Elisabeth Baume-Schneider mit 96 Stimmen sowie Eva Herzog mit 83 Stimmen, bevor Baume-Schneider im dritten Wahlgang mit 123 Stimmen exakt das absolute Mehr erreichte. Unter den Jositsch-Stimmen gab es wohl viele Proteststimmen, die mit dem reinen Frauenticket der SP nicht einverstanden waren.

Doch wie viel Kalkül lag in den 58 Stimmen, die an den SP-Ständerat gingen? Mit der Wahl der jurassischen Baume-Schneider ist die lateinische Schweiz nun eigentlich im Bundesrat übervertreten – mit Sitzen für Alain Berset aus Freiburg, Guy Parmelin aus dem Waadtland, Ignazio Cassis aus dem Tessin und nun bald Elisabeth Baume-Schneider aus dem Jura.

Soll Deutschschweizer auf Berset folgen?

Ein hartnäckiges Gerücht bereits im Vorfeld der Wahlen war, dass einige Parlamentsmitglieder die Wahl Elisabeth Baume-Schneiders anstreben, um dadurch den Weg frei zu machen für einen Deutschschweizer Mann, wenn es dann irgendwann um die Nachfolge von SP-Bundesrat Alain Berset geht.

Kann Daniel Jositsch noch Bundesrat werden?

Wurde Eva Herzog nun also zum Bauernopfer, um Daniel Jositsch zu einem späteren Zeitpunkt einen Bundesratssitz zu ermöglichen? In den sozialen Medien hagelt es von Vertreterinnen und Vertretern der linken Parteien Kritik für Jositsch, der seine Kandidatur nicht zurückzog.

«Mini-Macho-Aufstand»

Nationalrat und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sieht in den Stimmen für Jositsch einen «Mini-Macho-Aufstand» der SVP, FDP und Mitte. Eine Frau in einer Machtposition sei für viele Männer dieser Parteien offenbar immer noch eine Provokation.

Grünen-Präsident Balthasar Glättli bezeichnet die Stimmen für Daniel Jositsch, nachdem alle Fraktionen Elisabeth Baume-Schneider und Eva Herzog empfohlen hatten, als «ziemlich pubertär».

Für SP-Politiker Marco Kistler hat sich Jositsch mit seinem «Verzicht auf eine Verzichtserklärung» ins Abseits manövriert. Laut Kistler hat sich Jositsch damit die Ausgangslage für die Zukunft kaputtgemacht.

Auch für die Grünen-Politikerin Fleur Weibel ist Jositschs Sprengkandidatur ein No-go – sie bezeichnet sein Verhalten als «peinlich».

SP-Politiker Lewin Lempert, Partner von SP-Nationalrätin Samira Marti, bezeichnet es als «beschämend», dass Jositsch trotz Frauenticket die Stimme von 58 Parlamentsmitgliedern erhalten hat. Man habe sich damit «frontal gegen die Gleichstellung» gestellt.

Anita Fetz, Alt-Ständerätin der SP, gab gegenüber Telebasel an, dass Jositschs Verzicht auf einen Verzicht «schlechter Stil» sei.

Ex-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer bezeichnet die Nichtwahl Herzogs als «Rache des Daniel Jositsch», der sich den Bundesratssitz offenhalten wolle.

Schliesslich kritisiert die frühere Präsidentin der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten Ronja Jansen die Proteststimmen für Jositsch als «traurig». Es sei nie um Gleichstellung gegangen – Jansen sieht in den Stimmen «peinliches Trötzeln von Männern, die sich an Privilegien klammern».

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