Immer mehr Kinder haben Angst, in die Schule zu gehen

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BildungImmer mehr Kinder haben Angst, in die Schule zu gehen

Immer häufiger fehlen Kinder an Schweizer Schulen. Sie bleiben jedoch nicht der Schule fern, weil sie «keinen Bock» haben, sondern aus Angst.

Gemäss der Pisa-Studie gehören rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler zu Schulabstinenten.
Das Thema beschäftigt die Schweizer Schulen bereits seit Jahren. Wie es scheint, verschlimmert sich die Situation weiter.
Abwesenheiten in Schulen gab es schon immer und wird teils als jugendliche Rebellion angesehen. Doch die Abwesenden werden immer jünger.
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Gemäss der Pisa-Studie gehören rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler zu Schulabstinenten.

Tamedia AG/ Raisa Durandi

Darum gehts

  • In der Schweiz wollen Kinder aus Angst nicht mehr in die Schule gehen.

  • In den vergangenen Jahren hat sich die Situation verschlimmert.

  • Die Gründe für die Schulabwesenheiten sind vielfältig: Probleme mit dem Unterricht und der Lehrperson, Angst vor Mitschülern und Mobbing, Angst, die Eltern allein zu lassen, zu hoher Leistungsdruck.

Immer mehr Schülerinnen und Schüler bleiben der Schule fern – teils über einen langen Zeitraum. Das Thema beschäftigt die Schweizer Schulen bereits seit Jahren. Wie es scheint, verschlimmert sich die Situation weiter. Die Gründe für die Schulabwesenheiten sind vielfältig. Was jedoch immer mehr zum Thema wird: Angst. Das Schweizer Elternmagazin «Fritz&Fränzi» widmet die April-Ausgabe dem Thema.

Gemäss der Pisa-Studie aus dem Jahr 2015 gehören rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schülern zu den Schulabstinenten. «Schwänzen» wird in der Fachsprache Schulabsentismus genannt, also häufiges, unentschuldigtes Fehlen. In einer im Dezember 2023 veröffentlichten Gesundheitsbefragung des Zürcher Schulamtes gaben 15 Prozent der befragten Mädchen und zwölf Prozent der befragten Jungen an, im Schuljahr 2022/23 ganze Schultage gefehlt zu haben, ohne krank gewesen zu sein.

Neuere Daten oder Zahlen, die das Thema Schulangst für die Gesamtschweiz abfragen, gibt es laut dem Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) gegenüber dem Elternmagazin nicht. Grund für die magere Datenlage sei die Vielschichtigkeit der Ursache. Schulpsychologische Beratungsstellen berichten jedoch von einer massiven Zunahme der von Schulangst betroffenen Kinder. Sie gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent aller Schulkinder betroffen sind, heisst es.

Betroffene werden immer jünger

Auch Claudia Solenthaler-Flubacher, Sozialpädagogin und Leiterin des Time-out-Angebots in Schaffhausen, spricht im Artikel von einer Zunahme von Kindern, die wegen Schulangst ihr Angebot aufsuchen. «Früher hatten wir nur Oberstufenschüler, die nicht mehr zur Schule gegangen sind, weil sie keine Lust hatten. Falsche Kollegen, nächte­langes Gamen, solche Dinge.» Seit einigen Jahren kämen auch immer wieder Schüler, die Angst vor dem Schulalltag haben. Häufig seien diese Schüler noch nicht in der Pubertät.

Ähnliches beobachtete Monique Bovay, Sekunderstufenleiterin der Gemeinde Rüegsau: «Heute sehen wir das Phänomen Schulabsentismus vermehrt auch in der Primarschule. Und es beginnt teilweise schon im Kindergarten», sagte sie gegenüber der «Berner Zeitung». Im Schnitt sei ein Kind pro Klasse betroffen. Weiter handle es sich nicht um gelegentliches Schwänzen, sondern teilweise um Abwesenheiten von mehreren Monaten.

Hattest du auch schon Angst, in die Schule zu gehen?

Das sind die Gründe für Schulabsentismus

Franziska Templer ist Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Bern und hat zum Thema Schulabsentismus geforscht. Gegenüber der BZ erörterte sie die Gründe hinter den Abwesenheiten. Fehlen Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum, steckten oft psychische Probleme dahinter. «Einige reagieren mit Rückzug, andere verpassen wegen Klinikaufenthalten und Therapien während längerer Zeit die Schule», so Templer.

Weigern sich Mädchen und Jungen vehement dagegen, in die Schule zu gehen, gebe es andere mögliche Gründe: Probleme mit dem Unterricht und der Lehrperson, Angst vor Mitschülern und Mobbing, Angst, die Eltern allein zu lassen, zu hoher Leistungsdruck. Das seien einige typische Auslöser für Schulabsentismus.

Simone (19) war ein aufgestelltes Kind, doch Schule interessierte ihn nie. Die Situation eskalierte, als er in der fünften Klasse mit einem Messer in der Hand ausrastete. Er flog von der Schule und kam in ein Heim. Im Video erzählt er, wie er es geschafft hatte, eine Lehrstelle zu finden und für eine Zalando-Kampagne zu modeln. (Video: A. Zingg / F. Zanini)

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Mehr Schulabsentismus seit Corona

Auch Irene Fontanilles, Leiterin der Klinikschule an der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Schulabsentismus. «Während der Corona-Lockdowns ist viel Einüben von Sozialverhalten auf der Strecke geblieben. Man muss schliesslich auch lernen, wie man sich von seinen Eltern trennt. Wie man den Anschluss an eine neue Gruppe findet. Wie man damit umgeht, wenn man mal geärgert oder ausgeschlossen wird. Wie man die Aufmerksamkeit von Lehrpersonen erhält, sich zurücknimmt oder sich trotz Lärm konzentriert», sagt sie im Gespräch mit «Fritz&Fränzi».

Während der Pandemie konnte dieses Sozialverhalten nicht trainiert werden. Habe man nun keine Strategien, um mit solchen Situationen umzugehen, könne einen der Schulalltag schnell überfordern und auch Angst einjagen.

Die Folgen: Auswirkungen auf das ganze Leben

Forschungsergebnisse zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die regelmässig dem Unterricht fernbleiben, ein erhöhtes Risiko tragen, ihre schulische Laufbahn vorzeitig zu beenden. Insbesondere in der Oberstufe verringert sich dadurch die Möglichkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden, was langfristige Auswirkungen auf das gesamte spätere Leben haben kann.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

Stand by you Schweiz, Helpline für Angehörige, Tel. 0800 840 400

Psyfinder, qualifizierte Fachpersonen in deiner Nähe

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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