AsylwesenChiesa will Asylwesen nach Afrika auslagern – das hat kaum Chancen
SVP-Präsident Marco Chiesa will, dass die Schweiz ihr Asylwesen auslagert, wie Grossbritannien das plant. Migrationsrechtsexperte Constantin Hruschka hält das für unrealistisch.
Darum gehts
Italien weigert sich, Geflüchtete, die in die Schweiz weitergereist sind, zurückzunehmen – obwohl das Erstaufnahmeland für das Asylverfahren zuständig wäre.
Das zeige, dass Schengen-Dublin nicht funktioniert, sagt SVP-Präsident und Ständerat Marco Chiesa. Auch die Schweiz sei am Anschlag.
Die Schweiz müsse prüfen, ob Asylsuchende in ein anderes Land ausgeflogen werden können, wie Grossbritannien das machen will, sagt er.
Es war an Weihnachten, als Italien «Stopp» sagte. Der südliche Nachbar nimmt nun keine Asylsuchenden mehr zurück, für die das Land gemäss Dublin-Abkommen das Verfahren durchführen müsste. Das stellt die Schweiz vor Probleme, denn auch hier sind die Kantone am Anschlag.
Der Tessiner Ständerat und SVP-Präsident Marco Chiesa ruft deshalb aus: Italien begehe Vertragsbruch, Schengen-Dublin funktioniere nicht. Das Asylsystem habe versagt, sagt Chiesa im «Blick». Die Schweiz solle sich an Grossbritannien ein Beispiel nehmen, das via Abkommen mit Ruanda versucht, sein Flüchtlingswesen quasi nach Ostafrika auszulagern (siehe Box).
Im Parlament kam diese Forderung schon mehrmals auf und wurde vom Bundesrat jeweils abschlägig beantwortet, letztmals im August 2022. Bisher habe noch kein Land sein Asylwesen erfolgreich ausgelagert, auch Grossbritannien nicht. Der Bundesrat hält die Idee für unrealistisch.
Rechtlicher Grenzfall
Ebenso Constantin Hruschka, Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten, Asylrechtsexperte und Forscher am Max-Planck-Institut. Die Chancen einer Umsetzung hält er für gering – nicht nur für die Schweiz, sondern auch für Grossbritannien. Wenngleich der Londoner High Court die Ausschaffungen nach Ruanda grundsätzlich gutgeheissen habe, gebe es eine Reihe rechtlicher und organisatorischer Hürden. Zuvor hatte der Menschenrechtsgerichtshof einen Flug nach Ruanda gestoppt.
Zunächst einmal werde der Fall sehr wahrscheinlich an den Supreme Court weitergezogen, sagt Hruschka. Weiter habe der High Court zwar die Flüchtlingskonvention so ausgelegt, dass das Ruanda-Abkommen grundsätzlich geht, jedoch im gleichen Urteil die Klage aller acht Beschwerdeführer gutgeheissen. Das heisst: Im Einzelfall haben Betroffene gute Chancen, sich gegen die Ausschaffung zu wehren.
Das gleiche würde für die Schweiz gelten, sagt Hruschka. «Es gilt der Grundsatz, dass vorrangig dasjenige Land, in dem sich eine Person befindet, für deren Schutz zuständig ist.» Die Auslegung der Flüchtlingskonvention durch das Londoner Gericht ist laut Constantin Hruschka ein Grenzfall: «Nach meiner Interpretation ist es mit der Konvention nicht vereinbar, Leute in ein Land auszuschaffen, zu dem sie keine Verbindung haben.»
Das Asylwesen outsourcen – geht das?
Hingegen stimmt Hruschka der Kritik von Marco Chiesa zu, dass Italien mit dem Aufnahmestopp das Schengen-Abkommen verletzt. Die Sanktionsmöglichkeiten in so einem Fall seien gering, der zuständige Dublin-Ausschuss werde diesen Fall behandeln und die EU werde Italien zu gegebener Zeit wohl mit einer Busse sanktionieren, sagt Hruschka. Dass in der Zwischenzeit die nicht zurückgenommenen Personen in anderen Ländern bleiben, sei von der italienischen Regierung wohl so einkalkuliert.
SVP-Nationalrätin Martina Bircher, die das System Grossbritannien-Ruanda schon vor zwei Jahren gefordert hatte, widerspricht der Ansicht von Hruschka: Der Bundesrat selber komme in einem Bericht zum Schluss, dass die Flüchtlingskonvention nicht sage, in welchem Staat ein Asylverfahren durchgeführt werden müsse und dass Asylsuchende in der Regel den Staat nicht wählen könnten. Sie sei der Meinung, dass die Schweiz das versuchen muss. «Wenn ein Land einer Person Schutz gewährt, muss das nicht unbedingt in dem Land sein, in das die Person geflüchtet ist. Zumal die Schweiz von sicheren Ländern umgeben ist.»
Abkommen
Ruanda nimmt Asylbewerber und bekommt 144 Millionen Euro
Die britische Regierung unter Boris Johnson hat mit Ruanda einen Vertrag abgeschlossen. Demnach kann Grossbritannien Personen, die auf dem Seeweg über den Ärmelkanal eingereist sind, zur Durchführung des Asylverfahrens nach Ruanda transportieren. Dafür bezahlt Grossbritannien Ruanda rund 144 Millionen Euro. Ruanda entscheidet über die Asylgesuche und gewährt entweder in Ruanda selber Asyl, oder die Gesuchsteller werden in ihren Herkunftsstaat zurückgeschickt. Ein erster Flug nach Ruanda wurde im Sommer 2022 vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt. Im Dezember hat der Londoner High Court den Vertrag mit Ruanda grundsätzlich für rechtskonform befunden. (blu)
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