«Aus diesem Krieg wird ein bedrohlicheres Russland hervorgehen»

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Emil Kastehelmi«Aus diesem Krieg wird ein bedrohlicheres Russland hervorgehen»

Er sei sehr pessimistisch, sagt der finnische Militärexperte Emil Kastehelmi. Im Interview gehts um die Frage, was ein «ziemlich gutes Endergebnis» im Ukraine-Krieg wäre.

«Je mehr ukrainisches Land die Russen bekommen, desto stärkeren Einfluss können sie auf die Ukraine nehmen», sagt Emil Kastehelmi. (Im Bild: Wladimir Putin am BRICS-Gipfel am 24. Oktober 2024.)
Noch seien die Ukrainer in der Lage, sich zu verteidigen, sagt der finnische Militärexperte.
Mit Blick auf ein Ende des Krieges in der Ukraine sagt Kastelhelmi: «Ich bin sehr pessimistisch. Es gibt so viele Variablen.»
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«Je mehr ukrainisches Land die Russen bekommen, desto stärkeren Einfluss können sie auf die Ukraine nehmen», sagt Emil Kastehelmi. (Im Bild: Wladimir Putin am BRICS-Gipfel am 24. Oktober 2024.)

AFP

Darum gehts

  • «Im Moment sieht es nach keinem guten Ergebnis im Ukraine-Krieg aus.»

  • Im zweiten Teil des Interviews mit Militärexperte Emil Kastehelmi geht es um die Frage, was für die Ukraine ein «ziemlich gutes Endergebnis» wäre.

  • Wir sprechen über pessimistische Aussichten, Ressourcen im Donbass und was Russland aus diesem Krieg gelernt haben wird.

  • Den ersten Teil des Interviews gibt es hier zu lesen.

Wie sieht die aktuelle Lage im Krieg gegen die Ukraine aus?

Die Ukraine befindet sich im Moment in einer sehr schwierigen Situation, sowohl militärisch als auch politisch. Sie hat immense Schwierigkeiten, ihre Ziele zu erreichen, also zu den Grenzen von 1991 zurückzukehren. Im Moment sieht es nicht so aus, als gäbe es in diesem Krieg ein gutes Ergebnis.

«Von einem Frontzusammenbruch würde ich nicht sprechen – noch nicht.»

Emil Kastehelmi

Droht ein Zusammenbruch der Donbass-Front oder ist das zu pessimistisch?

Die Russen nehmen zwar nach und nach Dörfer und Städte ein, aber sie sind nicht in der Lage, einen Durchbruch im konzeptionellen Sinn zu erzielen. Der maximale Vormarsch ist im Schnitt während einer Woche auf vielleicht fünf bis zehn Kilometer begrenzt. Von einem Frontzusammenbruch würde ich also nicht sprechen – zumindest noch nicht. Noch sind die Ukrainer in der Lage, sich zu verteidigen.

«Alles, was Russland im Moment bekommt, sind zerstörte Städte und beschädigte Infrastruktur.»

Emil Kastehelmi
In der ostukrainischen Grossstadt Dnipro am 26. Oktober nach einem russischen Raketenangriff. Vier Menschen, darunter ein Kind, starben.

In der ostukrainischen Grossstadt Dnipro am 26. Oktober nach einem russischen Raketenangriff. Vier Menschen, darunter ein Kind, starben.

AFP

Was will Russland denn wirklich im Donbass?

Die Eroberung des Donbass deckt sich mit den russischen politischen Zielen dieses Krieges. Man will das gesamte Verwaltungsgebiet im Donbass einnehmen.

Klar. Aber wirtschaftlich erscheint im Donbass vieles überholt und aus ökologischer Sicht in katastrophalem Zustand.

Alles, was Russland im Moment bekommt, sind grösstenteils zerstörte Städte und beschädigte Infrastruktur. Es wird eine absurde Menge Geld brauchen, um alles zu reparieren. Die verbliebenen Zivilisten sind alles alte Menschen. Man müsste also eine produktive Arbeiterschaft aus Russland importieren.

Ukrainische Mineure  in einem Kohlebergwerk im Donbass im Oktober 2024. Die russischen Angriffe haben das ukrainische Energienetz schwer beschädigt. Der grösste Teil der Infrastruktur der Industrie befindet sich ...
... im Donbass-Bergbaubecken im Osten – dem Gebiet, in dem die russische Armee auf dem Vormarsch ist. Derzeit sind ....
... noch eine Handvoll ukrainischer Kohlebergwerke im Donbass-Bergbaubecken in Betrieb.
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Ukrainische Mineure in einem Kohlebergwerk im Donbass im Oktober 2024. Die russischen Angriffe haben das ukrainische Energienetz schwer beschädigt. Der grösste Teil der Infrastruktur der Industrie befindet sich ...

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Es geht also um die natürlichen Ressourcen?

Natürlich gibt es in der Gegend viele natürliche Ressourcen, doch ich bezweifle, dass sie Hauptmotivator sind. Russland will seine Einflusssphäre abstecken. Je mehr ukrainisches Land die Russen bekommen, desto mehr können sie das als Sieg verkaufen – und stärkeren Einfluss auf die Ukraine nehmen.

«Ich bin sehr pessimistisch.»

Emil Kastehelmi

Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, was ein Ende dieses Krieges angeht?

Ich bin sehr pessimistisch. Denn es gibt so viele Variablen: Vieles hängt davon ab, wer der nächste US-Präsident wird. Und dann man fragt sich, ob andere westliche Länder wirklich den politischen Willen aufbringen, die Ukraine langfristig so intensiv zu unterstützen, dass die russische Kriegsmaschinerie gestoppt und Moskau zu fairen Verhandlungen gezwungen werden kann. Selbst wenn Russland an den Verhandlungstisch gezwungen werden könnte – es würde einige strategisch wichtige Gebiete in der Ukraine behalten. Das wird Folgen haben.

Von der Donbasser Bergbau- zur Frontstadt: Umkämpftes Pokrowsk am 15. Oktober 2024.

Von der Donbasser Bergbau- zur Frontstadt: Umkämpftes Pokrowsk am 15. Oktober 2024.

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Welche Folgen?

Russland wird aus diesem Konflikt lernen, dass es sich durch Gewalt in eine bessere Lage bringen kann. Aus diesem Krieg wird somit ein bedrohlicheres Russland hervorgehen, das sich gegen viele westliche Länder behauptet hat – und zwar auf eine Weise, die man vorher noch nicht erlebt hat. Ein Ende des Ukraine-Krieges bedeutet also nicht zwangsläufig das Ende der schwierigen Sicherheitslage in Europa.

«Russland wird aus diesem Konflikt lernen, dass es sich durch Gewalt in eine bessere Lage bringen kann.»

Emil Kastehelmi

Was wäre denn ein erreichbarer Sieg, der den Namen noch verdient?

Das ist eine schwierige Frage. Im grundlegenden Sinne verliert die Siegerpartei nichts von ihrem Territorium. Aber wir müssen realistisch sein. Eine Ukraine, die noch über funktionierende Verteidigungsfähigkeiten verfügt und Teil der Nato wird, wäre ein ziemlich gutes Endergebnis, selbst wenn sie einige Gebiete verliert.

Viele Ukrainer glauben, dass ihr Land der Nato bald beitreten wird. Teilen Sie diesen Optimismus?

Ich wäre nicht so optimistisch. Es gibt noch zu viele Variablen in Bezug auf einen Nato-Beitritt, die auf politischer Ebene, aber auch auf dem Schlachtfeld gelöst werden.

Zu Emil Kastehelmi

Screenshot Youtube

Emil Kastehelmi (29) ist für die finnische Sicherheitsfirma Black Bird Group tätig. Während seines Dienstes als Nachrichtenoffizier in der Karelischen Brigade kam er erstmals mit Open-Source-Informationen in Berührung. 2014 trat Kastehelmi als Leutnant der Reserve bei, danach begann er ein Studium der Politikwissenschaften an der Uni Turku. Seit dem Krieg gegen die Ukraine leitet Kastehelmi als Sonderredaktor der finnischen Zeitung «Iltalehti» eine wöchentliche Sendung zu dem Thema. Darüber hinaus arbeitet Kastehelmi an einem neuen Sachbuch und hält Vorträge über den Krieg in der Ukraine und «Open Source Intelligence».

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